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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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alte selbstständige Stellung nach außen zurückzukehren, und die frühere freisinnige
Handelspolitik des 16. und 17. Jahrhunderts wieder anzunehmen. Aber allgemein
bekannte Ursachen zerstörten diese Aussicht, und die Aunahme der 2i Artikel
brachte die Niederlande in einen traurigen politischen und finanziellen Zustand,
wie selbst der am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts nicht gewesen war. Der
europäische Liberalismus jubelte damals jeder Ungerechtigkeit, jeder Bedrängnis) zu,
welche die Uebermacht den Holländern bereitete.

Galt es doch den Kampf der Freiheit gegen die Knechtung! Mochte dabei
auch uoch so viel Täuschung sein, und die wichtigsten materielle" Interessen des
eignen Volkes dadurch beeinträchtigt werden, der damalige Liberalismus kehrte sich
an solche Kleinigkeiten nicht viel mehr, als seine verschlechterte Auflage, der heutige
Radicalismus. Vor allen freute sich der deutsche Kosmopolit, daß es den
Mynhcers, dem Krämcrvvlke, so, übel erging, in der Regel nur der neuen bel¬
gischen Freiheitstanne wegen, mit Ausnahme einzelner Patrioten, welche das
",Ius<in,' ü, til wer" nicht hatten vergessen tonnen und nun diese Heimsuchung
für eine gerechte Strafe hielten. Aber selbst diese Wenigen verstanden von
den damals noch wenig beachteten, und gegen den Liberalismus für nichts geach¬
teten vvlköivirthschaftlichen Interesse" wenig, und so blieben viele der wichtigsten
Ursachen und Folgen der belgischen Revolution in Deutschland ""beachtet. Sie
waren etwa diese.

England war für die Vernuiguug Belgiens mit Holland gewesen, um ein
scheinbares Aequivalent für die geraubten holländischen Kolonien zu geben, welche
es nicht zurückgebe" wollte, damit der holländische Großhandel nicht "ueber ans¬
tehe; das neue Königreich sollte in Industrie, Kolonien, Schiffahrt und Handel
eine' Macht, etwa des dritten Ranges sein, zugleich Deutschland vom Meere und
von seinen Stammverwandten abscheiden.

Aber was England vom holländischen Handel gefürchtet hatte, sah es bald
darauf vou der belgischen Industrie viel ernstlicher bedroht, indem dieselbe vom
König Wilhelm I., der el" besserer Kaufmann als Landesvater war, ans das eif¬
rigste befördert, von der neu geschaffenen Handelömaatschappy ans Kosten der
nördlichen Niederlande kräftig unterstützt wurde, und mit dem fertige" Apparate
der holländischen Capitalien, Schiffe u"d Cvloiüe" ausgerüstet einen Aufschwung
nahm, der die britische Politik bald ebensosehr für eine Trennung, als früher
für eine Verbindung der beiden Länder arbeiten ließ.

Der -deutsche Liberalismus bedachte nicht, daß eine Trennung der beiden Län¬
der Belgien in Frankreichs oder Englands, anstatt in Deutschlands schützende
Arme treiben, die nördliche" Niederlande Deutschland mir noch mehr entfremden
mußte; er harte keine Worte für den Verlust an nationaler Würde und Land,
welchen Deutschland durch die Vcrscheukuug der Hälfte von Luxemburg gegen
einen widerrechtlich und widernatürlich von jetzt an mit den Niederlanden ver-


, Greiizboten. I. -152

alte selbstständige Stellung nach außen zurückzukehren, und die frühere freisinnige
Handelspolitik des 16. und 17. Jahrhunderts wieder anzunehmen. Aber allgemein
bekannte Ursachen zerstörten diese Aussicht, und die Aunahme der 2i Artikel
brachte die Niederlande in einen traurigen politischen und finanziellen Zustand,
wie selbst der am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts nicht gewesen war. Der
europäische Liberalismus jubelte damals jeder Ungerechtigkeit, jeder Bedrängnis) zu,
welche die Uebermacht den Holländern bereitete.

Galt es doch den Kampf der Freiheit gegen die Knechtung! Mochte dabei
auch uoch so viel Täuschung sein, und die wichtigsten materielle» Interessen des
eignen Volkes dadurch beeinträchtigt werden, der damalige Liberalismus kehrte sich
an solche Kleinigkeiten nicht viel mehr, als seine verschlechterte Auflage, der heutige
Radicalismus. Vor allen freute sich der deutsche Kosmopolit, daß es den
Mynhcers, dem Krämcrvvlke, so, übel erging, in der Regel nur der neuen bel¬
gischen Freiheitstanne wegen, mit Ausnahme einzelner Patrioten, welche das
„,Ius<in,' ü, til wer" nicht hatten vergessen tonnen und nun diese Heimsuchung
für eine gerechte Strafe hielten. Aber selbst diese Wenigen verstanden von
den damals noch wenig beachteten, und gegen den Liberalismus für nichts geach¬
teten vvlköivirthschaftlichen Interesse» wenig, und so blieben viele der wichtigsten
Ursachen und Folgen der belgischen Revolution in Deutschland »»beachtet. Sie
waren etwa diese.

England war für die Vernuiguug Belgiens mit Holland gewesen, um ein
scheinbares Aequivalent für die geraubten holländischen Kolonien zu geben, welche
es nicht zurückgebe« wollte, damit der holländische Großhandel nicht »ueber ans¬
tehe; das neue Königreich sollte in Industrie, Kolonien, Schiffahrt und Handel
eine' Macht, etwa des dritten Ranges sein, zugleich Deutschland vom Meere und
von seinen Stammverwandten abscheiden.

Aber was England vom holländischen Handel gefürchtet hatte, sah es bald
darauf vou der belgischen Industrie viel ernstlicher bedroht, indem dieselbe vom
König Wilhelm I., der el» besserer Kaufmann als Landesvater war, ans das eif¬
rigste befördert, von der neu geschaffenen Handelömaatschappy ans Kosten der
nördlichen Niederlande kräftig unterstützt wurde, und mit dem fertige» Apparate
der holländischen Capitalien, Schiffe u»d Cvloiüe» ausgerüstet einen Aufschwung
nahm, der die britische Politik bald ebensosehr für eine Trennung, als früher
für eine Verbindung der beiden Länder arbeiten ließ.

Der -deutsche Liberalismus bedachte nicht, daß eine Trennung der beiden Län¬
der Belgien in Frankreichs oder Englands, anstatt in Deutschlands schützende
Arme treiben, die nördliche» Niederlande Deutschland mir noch mehr entfremden
mußte; er harte keine Worte für den Verlust an nationaler Würde und Land,
welchen Deutschland durch die Vcrscheukuug der Hälfte von Luxemburg gegen
einen widerrechtlich und widernatürlich von jetzt an mit den Niederlanden ver-


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[0417] alte selbstständige Stellung nach außen zurückzukehren, und die frühere freisinnige Handelspolitik des 16. und 17. Jahrhunderts wieder anzunehmen. Aber allgemein bekannte Ursachen zerstörten diese Aussicht, und die Aunahme der 2i Artikel brachte die Niederlande in einen traurigen politischen und finanziellen Zustand, wie selbst der am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts nicht gewesen war. Der europäische Liberalismus jubelte damals jeder Ungerechtigkeit, jeder Bedrängnis) zu, welche die Uebermacht den Holländern bereitete. Galt es doch den Kampf der Freiheit gegen die Knechtung! Mochte dabei auch uoch so viel Täuschung sein, und die wichtigsten materielle» Interessen des eignen Volkes dadurch beeinträchtigt werden, der damalige Liberalismus kehrte sich an solche Kleinigkeiten nicht viel mehr, als seine verschlechterte Auflage, der heutige Radicalismus. Vor allen freute sich der deutsche Kosmopolit, daß es den Mynhcers, dem Krämcrvvlke, so, übel erging, in der Regel nur der neuen bel¬ gischen Freiheitstanne wegen, mit Ausnahme einzelner Patrioten, welche das „,Ius<in,' ü, til wer" nicht hatten vergessen tonnen und nun diese Heimsuchung für eine gerechte Strafe hielten. Aber selbst diese Wenigen verstanden von den damals noch wenig beachteten, und gegen den Liberalismus für nichts geach¬ teten vvlköivirthschaftlichen Interesse» wenig, und so blieben viele der wichtigsten Ursachen und Folgen der belgischen Revolution in Deutschland »»beachtet. Sie waren etwa diese. England war für die Vernuiguug Belgiens mit Holland gewesen, um ein scheinbares Aequivalent für die geraubten holländischen Kolonien zu geben, welche es nicht zurückgebe« wollte, damit der holländische Großhandel nicht »ueber ans¬ tehe; das neue Königreich sollte in Industrie, Kolonien, Schiffahrt und Handel eine' Macht, etwa des dritten Ranges sein, zugleich Deutschland vom Meere und von seinen Stammverwandten abscheiden. Aber was England vom holländischen Handel gefürchtet hatte, sah es bald darauf vou der belgischen Industrie viel ernstlicher bedroht, indem dieselbe vom König Wilhelm I., der el» besserer Kaufmann als Landesvater war, ans das eif¬ rigste befördert, von der neu geschaffenen Handelömaatschappy ans Kosten der nördlichen Niederlande kräftig unterstützt wurde, und mit dem fertige» Apparate der holländischen Capitalien, Schiffe u»d Cvloiüe» ausgerüstet einen Aufschwung nahm, der die britische Politik bald ebensosehr für eine Trennung, als früher für eine Verbindung der beiden Länder arbeiten ließ. Der -deutsche Liberalismus bedachte nicht, daß eine Trennung der beiden Län¬ der Belgien in Frankreichs oder Englands, anstatt in Deutschlands schützende Arme treiben, die nördliche» Niederlande Deutschland mir noch mehr entfremden mußte; er harte keine Worte für den Verlust an nationaler Würde und Land, welchen Deutschland durch die Vcrscheukuug der Hälfte von Luxemburg gegen einen widerrechtlich und widernatürlich von jetzt an mit den Niederlanden ver- , Greiizboten. I. -152

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/417>, abgerufen am 03.07.2024.