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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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große Strebe" nach Feinheit und Bedeutsamkeit verführt den- Dichter öfters zu
jenen parfümirten Wendungen, an die wir bei unseren Belletristen nnr zu sehr
gewöhnt sind und die dem gute" Geschmack widerstreben. Wenn er dann wieder
nachlässig wird, so verfällt er nicht selten in den entgegengesetzten Fehler, in eine
Sprache, die nicht zu weit von Clauren entfernt ist, so namentlich im 3. Baude,
wo eine von den Heldinnen mit den Füßchen strampelt, mit den Händchen zappelt,
wo ihr Herzchen rumort u. s. w. Zuweilen wird anch ein wahrer und treffender
Gedanke durch einen überküustelten Ausdruck entstellt, z. B. im 3. Bde. S. 197:
"Er wußte nicht, daß das Angeborene eines Gedankens noch kein Beweis für
dessen Erfüllung ist, sondern ein bloßes Ergebniß der langen Fortpflanzung in
den Geschlechtsfolgen sein kann u. s. w." Ferner S. 3S6: "anch sagte ihm
ein schlauer Instinct, daß er, wenn er anders das tüchtige Erlebniß, das that¬
kräftige Gebaren, das ihn lockend dnrchfieberte, nicht verlieren wollte u. f. w."
-- In der Sprache wird der Dichter vor allen Dingen zunächst nach größerer
Einfachheit und Bestimmtheit streben müssen. An Gehalt fehlt es ihm keineswegs.

Daß die Composition des Ganzen unvollkommen ist, hat der Verfasser selbst
gefühlt und bittet deswegen in der Vorrede um Entschuldigung. Der Roman
zerfällt in zwei völlig ungleichartige Theile, in die Kindheit und Jugend des Helden,
und in die Zeit, wo er in die wirkliche Welt eintritt. Dieser Maugel an Ueber¬
einstimmung tritt dadurch noch greller hervor, daß der Dichter nicht etwa einfach
die ganze Biographie hintereinander erzählt, sondern ihn zuerst als vollendeten
Jüngling einführt und ihn dann seine Vorgeschichte in einer Selbstbiographie be¬
richten läßt. Auch selbst dieser Theil, der beinahe zwei Bände umsaßt, ist durch
eine Menge von Episoden verwirrt. Aber dieser Mangel an Komposition bezieht
sich nicht blos auf das Ganze, sondern er zeigt sich auch in allen einzelnen Be¬
gebenheiten, und der Grund davon liegt nicht blos in der Technik, sondern in
einer ganz merkwürdigen Auffassung vom Leben überhaupt, die uns leider mehr
als es wünschenswerth wäre, an die jungdeutsche Literatur erinnert. Ein ein¬
zelnes Beispiel wird uns dieses deutlich macheu.

Der Dichter zeigt uns in der Geschichte des Knabenlebens ganz richtig, daß
in jener Zeit mehr als später, wo wir unsre Phantasie durch Reflexion zu be¬
herrschen gelernt haben, eine ganze Welt von Träumen das wirkliche Leben durch¬
flicht, und daß zum Theil aus der Verwirrung dieses Phautastelebens mit dem
wirklichen die bei Kindern so häufig wahrgenommene Neigung zum Lügen sich
erklärt. Nun aber führt er das im einzelnen aus. Der grüne Heinrich gebraucht
einmal unziemliche Ausdrücke. Man fragt ihn, von wem er diese gelernt habe,
und er bezeichnet ans gut Glück ein paar ältere Schüler, die er weiter gar nicht
kennt. Diese werden in der Classe verhört und dadurch wird Heinrich'zu einer
vollständigen Reihe unerhörter Lügen gebracht, in denen er nicht nnr die angeb¬
liche Begebenheit mit allen möglichen Nebenumständen erzählt, sondern jenen


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große Strebe» nach Feinheit und Bedeutsamkeit verführt den- Dichter öfters zu
jenen parfümirten Wendungen, an die wir bei unseren Belletristen nnr zu sehr
gewöhnt sind und die dem gute» Geschmack widerstreben. Wenn er dann wieder
nachlässig wird, so verfällt er nicht selten in den entgegengesetzten Fehler, in eine
Sprache, die nicht zu weit von Clauren entfernt ist, so namentlich im 3. Baude,
wo eine von den Heldinnen mit den Füßchen strampelt, mit den Händchen zappelt,
wo ihr Herzchen rumort u. s. w. Zuweilen wird anch ein wahrer und treffender
Gedanke durch einen überküustelten Ausdruck entstellt, z. B. im 3. Bde. S. 197:
„Er wußte nicht, daß das Angeborene eines Gedankens noch kein Beweis für
dessen Erfüllung ist, sondern ein bloßes Ergebniß der langen Fortpflanzung in
den Geschlechtsfolgen sein kann u. s. w." Ferner S. 3S6: „anch sagte ihm
ein schlauer Instinct, daß er, wenn er anders das tüchtige Erlebniß, das that¬
kräftige Gebaren, das ihn lockend dnrchfieberte, nicht verlieren wollte u. f. w."
— In der Sprache wird der Dichter vor allen Dingen zunächst nach größerer
Einfachheit und Bestimmtheit streben müssen. An Gehalt fehlt es ihm keineswegs.

Daß die Composition des Ganzen unvollkommen ist, hat der Verfasser selbst
gefühlt und bittet deswegen in der Vorrede um Entschuldigung. Der Roman
zerfällt in zwei völlig ungleichartige Theile, in die Kindheit und Jugend des Helden,
und in die Zeit, wo er in die wirkliche Welt eintritt. Dieser Maugel an Ueber¬
einstimmung tritt dadurch noch greller hervor, daß der Dichter nicht etwa einfach
die ganze Biographie hintereinander erzählt, sondern ihn zuerst als vollendeten
Jüngling einführt und ihn dann seine Vorgeschichte in einer Selbstbiographie be¬
richten läßt. Auch selbst dieser Theil, der beinahe zwei Bände umsaßt, ist durch
eine Menge von Episoden verwirrt. Aber dieser Mangel an Komposition bezieht
sich nicht blos auf das Ganze, sondern er zeigt sich auch in allen einzelnen Be¬
gebenheiten, und der Grund davon liegt nicht blos in der Technik, sondern in
einer ganz merkwürdigen Auffassung vom Leben überhaupt, die uns leider mehr
als es wünschenswerth wäre, an die jungdeutsche Literatur erinnert. Ein ein¬
zelnes Beispiel wird uns dieses deutlich macheu.

Der Dichter zeigt uns in der Geschichte des Knabenlebens ganz richtig, daß
in jener Zeit mehr als später, wo wir unsre Phantasie durch Reflexion zu be¬
herrschen gelernt haben, eine ganze Welt von Träumen das wirkliche Leben durch¬
flicht, und daß zum Theil aus der Verwirrung dieses Phautastelebens mit dem
wirklichen die bei Kindern so häufig wahrgenommene Neigung zum Lügen sich
erklärt. Nun aber führt er das im einzelnen aus. Der grüne Heinrich gebraucht
einmal unziemliche Ausdrücke. Man fragt ihn, von wem er diese gelernt habe,
und er bezeichnet ans gut Glück ein paar ältere Schüler, die er weiter gar nicht
kennt. Diese werden in der Classe verhört und dadurch wird Heinrich'zu einer
vollständigen Reihe unerhörter Lügen gebracht, in denen er nicht nnr die angeb¬
liche Begebenheit mit allen möglichen Nebenumständen erzählt, sondern jenen


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[0411] große Strebe» nach Feinheit und Bedeutsamkeit verführt den- Dichter öfters zu jenen parfümirten Wendungen, an die wir bei unseren Belletristen nnr zu sehr gewöhnt sind und die dem gute» Geschmack widerstreben. Wenn er dann wieder nachlässig wird, so verfällt er nicht selten in den entgegengesetzten Fehler, in eine Sprache, die nicht zu weit von Clauren entfernt ist, so namentlich im 3. Baude, wo eine von den Heldinnen mit den Füßchen strampelt, mit den Händchen zappelt, wo ihr Herzchen rumort u. s. w. Zuweilen wird anch ein wahrer und treffender Gedanke durch einen überküustelten Ausdruck entstellt, z. B. im 3. Bde. S. 197: „Er wußte nicht, daß das Angeborene eines Gedankens noch kein Beweis für dessen Erfüllung ist, sondern ein bloßes Ergebniß der langen Fortpflanzung in den Geschlechtsfolgen sein kann u. s. w." Ferner S. 3S6: „anch sagte ihm ein schlauer Instinct, daß er, wenn er anders das tüchtige Erlebniß, das that¬ kräftige Gebaren, das ihn lockend dnrchfieberte, nicht verlieren wollte u. f. w." — In der Sprache wird der Dichter vor allen Dingen zunächst nach größerer Einfachheit und Bestimmtheit streben müssen. An Gehalt fehlt es ihm keineswegs. Daß die Composition des Ganzen unvollkommen ist, hat der Verfasser selbst gefühlt und bittet deswegen in der Vorrede um Entschuldigung. Der Roman zerfällt in zwei völlig ungleichartige Theile, in die Kindheit und Jugend des Helden, und in die Zeit, wo er in die wirkliche Welt eintritt. Dieser Maugel an Ueber¬ einstimmung tritt dadurch noch greller hervor, daß der Dichter nicht etwa einfach die ganze Biographie hintereinander erzählt, sondern ihn zuerst als vollendeten Jüngling einführt und ihn dann seine Vorgeschichte in einer Selbstbiographie be¬ richten läßt. Auch selbst dieser Theil, der beinahe zwei Bände umsaßt, ist durch eine Menge von Episoden verwirrt. Aber dieser Mangel an Komposition bezieht sich nicht blos auf das Ganze, sondern er zeigt sich auch in allen einzelnen Be¬ gebenheiten, und der Grund davon liegt nicht blos in der Technik, sondern in einer ganz merkwürdigen Auffassung vom Leben überhaupt, die uns leider mehr als es wünschenswerth wäre, an die jungdeutsche Literatur erinnert. Ein ein¬ zelnes Beispiel wird uns dieses deutlich macheu. Der Dichter zeigt uns in der Geschichte des Knabenlebens ganz richtig, daß in jener Zeit mehr als später, wo wir unsre Phantasie durch Reflexion zu be¬ herrschen gelernt haben, eine ganze Welt von Träumen das wirkliche Leben durch¬ flicht, und daß zum Theil aus der Verwirrung dieses Phautastelebens mit dem wirklichen die bei Kindern so häufig wahrgenommene Neigung zum Lügen sich erklärt. Nun aber führt er das im einzelnen aus. Der grüne Heinrich gebraucht einmal unziemliche Ausdrücke. Man fragt ihn, von wem er diese gelernt habe, und er bezeichnet ans gut Glück ein paar ältere Schüler, die er weiter gar nicht kennt. Diese werden in der Classe verhört und dadurch wird Heinrich'zu einer vollständigen Reihe unerhörter Lügen gebracht, in denen er nicht nnr die angeb¬ liche Begebenheit mit allen möglichen Nebenumständen erzählt, sondern jenen 31 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/411>, abgerufen am 22.07.2024.