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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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fortwährend schreiben läßt, er sehe vollkommen den Zusammenhang ein und billige
ihn, so finden wir uns nicht in der Lage deö verehrten Freundes. Namentlich
die Ausdrücke sind sowol bei Schopenhauer wie bei Fraucnstädt so unendlich will¬
kürlich, so von der augenblickliche" Stimmung abhängig, so mit populären, d. h.
mit rohen, unentwickelten Vorstellungen zersetzt, daß man niemals recht weiß,
was er grade in dem Augenblicke meint. Fast auf jeder dritten Seite hält Herr
Franenflädt der tiefen Weisheit seines Freundes eine feierliche Lobrede. Zweck¬
mäßiger wäre es gewesen, genau und deutlich darzulegen / worin diese Weisheit
eigentlich bestehe. Nur uoch auf ein Beispiel wollen wir hinweisen. Schopen¬
hauer nennt die Kantsche Ableitung deö "Dinges an sich" die Achillesferse dieser
Philosophie und ist auf diese Entdeckung ziemlich stolz. Nun haben aber diese
Entdeckung sämmtliche Philosophen "ach Kant bereits gemacht, und es wäre daher
nicht unzweckmäßig gewesen, zu zeigen, worin diese Entdeckung sich von den Ent¬
deckungen IacobiS, Fichtes, Schellings, Hegels unterscheidet.

Wir wollen noch, um ans den Inhalt der Schopenhauerschen Philosophie
wenigstens hinzudeuten, einige von den Resultaten, die uns Frauenstädt mittheilt,
anführen, müssen uus aber jedes Urtheils enthalten, da, wie schon erwähnt, die
8pLcies kaoti. nicht auf eine correcte Weise dargestellt ist. Schopenhauer nennt
seine Lehre häufig christlich, und sie hat auch mit dem ursprünglichen Ehristenthnm
einige Verwandschaft, allein viel näher steht sie dem Buddhaismus; denn zu einer
solchen Consequenz in der Veilengnnng des Lebens hat es das Christenthum nie
gebracht. Schopenhauer leugnet absolut jede Freiheit (S. Ä08), wobei er aller¬
dings von Freiheit eine Erklärung gibt, die alle Philosophen in Erstaunen setzen
würde: er identificirt nämlich "frei" mit "grundlos". Auf diese Weise scheint es', daß
es nnr ein Wettstreit denn Freiheit in dem Sinne, daß sie der Nothwendig¬
keit entgegengesetzt sei, hat uoch kein wirklicher Philosoph angenommen. , Allein
es liegt doch etwas mehr darin. Schopenhauer setzt nämlich hinzu, daß sich der
Mensch doch zugleich als zurechnungsfähig fühle, nicht als zurechnungsfähig wegen
seiner That, dem unbedingten und unvermeidlichen Resultat seiner Natur, sondern
wegen dieser Natur selbst, die er sich doch nicht gegeben habe; er fühle in seiner
individuellen Schuld gewissermaßen die Schuld des allgemeinen Weltwillens, der
eine solche Natur hervorgebracht habe nud in seiner Person werde gleichsam Gott
(um diesen populären, von Schopenhauer aber nicht adoptirten Ausdruck der
Deutlichkeit wegen anzuwenden) für die Unvollkommenst seines Willens gezüchtigt.
Daher ist das gesammte menschliche Leben nicht blos in einem bestimmten Falle,
nicht blos zufällig, nicht blos infolge einer besondern Schuld, sondern an sich selbst
elend und schlecht, ja, es wird uoch weiter gegangen und nicht blos das mensch¬
liche Leben, sondern das Leben überhaupt für ein Elend erklärt. Daher gewinnt
auch die.Tugend eine ganz andere Form, als bei den übrigen Philosophen: nicht
das Streben nach Vollkommenheit, nicht die Sclbstdnrchdringnng mit dem sitt-


fortwährend schreiben läßt, er sehe vollkommen den Zusammenhang ein und billige
ihn, so finden wir uns nicht in der Lage deö verehrten Freundes. Namentlich
die Ausdrücke sind sowol bei Schopenhauer wie bei Fraucnstädt so unendlich will¬
kürlich, so von der augenblickliche» Stimmung abhängig, so mit populären, d. h.
mit rohen, unentwickelten Vorstellungen zersetzt, daß man niemals recht weiß,
was er grade in dem Augenblicke meint. Fast auf jeder dritten Seite hält Herr
Franenflädt der tiefen Weisheit seines Freundes eine feierliche Lobrede. Zweck¬
mäßiger wäre es gewesen, genau und deutlich darzulegen / worin diese Weisheit
eigentlich bestehe. Nur uoch auf ein Beispiel wollen wir hinweisen. Schopen¬
hauer nennt die Kantsche Ableitung deö „Dinges an sich" die Achillesferse dieser
Philosophie und ist auf diese Entdeckung ziemlich stolz. Nun haben aber diese
Entdeckung sämmtliche Philosophen »ach Kant bereits gemacht, und es wäre daher
nicht unzweckmäßig gewesen, zu zeigen, worin diese Entdeckung sich von den Ent¬
deckungen IacobiS, Fichtes, Schellings, Hegels unterscheidet.

Wir wollen noch, um ans den Inhalt der Schopenhauerschen Philosophie
wenigstens hinzudeuten, einige von den Resultaten, die uns Frauenstädt mittheilt,
anführen, müssen uus aber jedes Urtheils enthalten, da, wie schon erwähnt, die
8pLcies kaoti. nicht auf eine correcte Weise dargestellt ist. Schopenhauer nennt
seine Lehre häufig christlich, und sie hat auch mit dem ursprünglichen Ehristenthnm
einige Verwandschaft, allein viel näher steht sie dem Buddhaismus; denn zu einer
solchen Consequenz in der Veilengnnng des Lebens hat es das Christenthum nie
gebracht. Schopenhauer leugnet absolut jede Freiheit (S. Ä08), wobei er aller¬
dings von Freiheit eine Erklärung gibt, die alle Philosophen in Erstaunen setzen
würde: er identificirt nämlich „frei" mit „grundlos". Auf diese Weise scheint es', daß
es nnr ein Wettstreit denn Freiheit in dem Sinne, daß sie der Nothwendig¬
keit entgegengesetzt sei, hat uoch kein wirklicher Philosoph angenommen. , Allein
es liegt doch etwas mehr darin. Schopenhauer setzt nämlich hinzu, daß sich der
Mensch doch zugleich als zurechnungsfähig fühle, nicht als zurechnungsfähig wegen
seiner That, dem unbedingten und unvermeidlichen Resultat seiner Natur, sondern
wegen dieser Natur selbst, die er sich doch nicht gegeben habe; er fühle in seiner
individuellen Schuld gewissermaßen die Schuld des allgemeinen Weltwillens, der
eine solche Natur hervorgebracht habe nud in seiner Person werde gleichsam Gott
(um diesen populären, von Schopenhauer aber nicht adoptirten Ausdruck der
Deutlichkeit wegen anzuwenden) für die Unvollkommenst seines Willens gezüchtigt.
Daher ist das gesammte menschliche Leben nicht blos in einem bestimmten Falle,
nicht blos zufällig, nicht blos infolge einer besondern Schuld, sondern an sich selbst
elend und schlecht, ja, es wird uoch weiter gegangen und nicht blos das mensch¬
liche Leben, sondern das Leben überhaupt für ein Elend erklärt. Daher gewinnt
auch die.Tugend eine ganz andere Form, als bei den übrigen Philosophen: nicht
das Streben nach Vollkommenheit, nicht die Sclbstdnrchdringnng mit dem sitt-


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[0340] fortwährend schreiben läßt, er sehe vollkommen den Zusammenhang ein und billige ihn, so finden wir uns nicht in der Lage deö verehrten Freundes. Namentlich die Ausdrücke sind sowol bei Schopenhauer wie bei Fraucnstädt so unendlich will¬ kürlich, so von der augenblickliche» Stimmung abhängig, so mit populären, d. h. mit rohen, unentwickelten Vorstellungen zersetzt, daß man niemals recht weiß, was er grade in dem Augenblicke meint. Fast auf jeder dritten Seite hält Herr Franenflädt der tiefen Weisheit seines Freundes eine feierliche Lobrede. Zweck¬ mäßiger wäre es gewesen, genau und deutlich darzulegen / worin diese Weisheit eigentlich bestehe. Nur uoch auf ein Beispiel wollen wir hinweisen. Schopen¬ hauer nennt die Kantsche Ableitung deö „Dinges an sich" die Achillesferse dieser Philosophie und ist auf diese Entdeckung ziemlich stolz. Nun haben aber diese Entdeckung sämmtliche Philosophen »ach Kant bereits gemacht, und es wäre daher nicht unzweckmäßig gewesen, zu zeigen, worin diese Entdeckung sich von den Ent¬ deckungen IacobiS, Fichtes, Schellings, Hegels unterscheidet. Wir wollen noch, um ans den Inhalt der Schopenhauerschen Philosophie wenigstens hinzudeuten, einige von den Resultaten, die uns Frauenstädt mittheilt, anführen, müssen uus aber jedes Urtheils enthalten, da, wie schon erwähnt, die 8pLcies kaoti. nicht auf eine correcte Weise dargestellt ist. Schopenhauer nennt seine Lehre häufig christlich, und sie hat auch mit dem ursprünglichen Ehristenthnm einige Verwandschaft, allein viel näher steht sie dem Buddhaismus; denn zu einer solchen Consequenz in der Veilengnnng des Lebens hat es das Christenthum nie gebracht. Schopenhauer leugnet absolut jede Freiheit (S. Ä08), wobei er aller¬ dings von Freiheit eine Erklärung gibt, die alle Philosophen in Erstaunen setzen würde: er identificirt nämlich „frei" mit „grundlos". Auf diese Weise scheint es', daß es nnr ein Wettstreit denn Freiheit in dem Sinne, daß sie der Nothwendig¬ keit entgegengesetzt sei, hat uoch kein wirklicher Philosoph angenommen. , Allein es liegt doch etwas mehr darin. Schopenhauer setzt nämlich hinzu, daß sich der Mensch doch zugleich als zurechnungsfähig fühle, nicht als zurechnungsfähig wegen seiner That, dem unbedingten und unvermeidlichen Resultat seiner Natur, sondern wegen dieser Natur selbst, die er sich doch nicht gegeben habe; er fühle in seiner individuellen Schuld gewissermaßen die Schuld des allgemeinen Weltwillens, der eine solche Natur hervorgebracht habe nud in seiner Person werde gleichsam Gott (um diesen populären, von Schopenhauer aber nicht adoptirten Ausdruck der Deutlichkeit wegen anzuwenden) für die Unvollkommenst seines Willens gezüchtigt. Daher ist das gesammte menschliche Leben nicht blos in einem bestimmten Falle, nicht blos zufällig, nicht blos infolge einer besondern Schuld, sondern an sich selbst elend und schlecht, ja, es wird uoch weiter gegangen und nicht blos das mensch¬ liche Leben, sondern das Leben überhaupt für ein Elend erklärt. Daher gewinnt auch die.Tugend eine ganz andere Form, als bei den übrigen Philosophen: nicht das Streben nach Vollkommenheit, nicht die Sclbstdnrchdringnng mit dem sitt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/340>, abgerufen am 22.07.2024.