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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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kommen beipflichtet und in welchem behauptet wird, Fichte habe mit jenem
Ausdruck von seinen Schülern eine gewisse Inspiration wie die Propheten ver¬
langt. Das ist allerdings von Halbphilosophen, die Fichte widerlegten, ohne ihn
zu kennen, sehr häufig der Welt verkündigt worden, aber es ist ein um so un¬
verzeihlicheres Mißverständniß, da Fichte uicht einmal, sondern wenigstens zwanzig¬
mal sich vollkommen klar und ausführlich über diesen Begriff ausspricht. Er sagt
vollkommen richtig, daß die Philosophie wie jede andere Wissenschaft uicht ans
einer bloßen, in sich ruhenden Kette von Schlüssen bestehen könne, sondern daß irgend
eine Basis da sein müsse, ans die man sich beziehen könne. Diese Basis nennt er
die intellectuelle Anschauung, die dasselbe vertritt, was im gewöhnlichen Leben
die sinnliche Anschauung, in der Mathematik die Grundsätze sind. Wem in der
Mathematik der Satz zweifelhaft ist, daß wenn zwei Größen einer dritten
gleich sind, sie sich selbst gleich sein müssen, dem wird man in der That keinen
mathematischen Satz beibringen können, "ut wer blind geboren ist, dem kann man
Jahrelang die wunderbarsten Dinge vorreden, nud er wird doch uicht zu unter¬
scheiden wissen, was grün und was roth ist. So ist es mit der intellektuellen
Anschauung in der Philosophie. Der Grundsatz, ans den"Fichte sein System ba-
sirt, ist die Erscheinung des Bewußtseins, daß, wenn man Ich sagt, man sich
zugleich als Subject und als Object, als Betrachtenden nud als Betrachte¬
tes weiß, daß man zugleich Thätigkeit (Wille) und Intelligenz ist. Diese intel¬
lectuelle Anschauung will Fichte nicht weiter beweisen, er appellirt an sie. Wer sie
nicht hat, von dem sagt er, daß er allerdings keinen philosophischen Satz ver¬
stehen würde. Nun scheint uns aber das Postulat dieser intellectuellen Anschauung
sehr bescheiden zu sein und gar nicht ans einer besonders inspirirter Begabung,
sondern auf dem ganz gewöhnlichen Menschenverstande zu beruhen, und wenn
Fichte sagt, wer diese intellectuelle Anschauung nicht hat, der kann meine Philo¬
sophie nicht verstehe", so meint er damit nnr, wer zu dumm, zu einfältig ist, um
überhaupt zu deuten. -- Wir haben diesen einen Punkt etwas ausführlicher be¬
sprochen, um auf den ganz unerhörten Leichtsinn hinzuweisen, mit dem die beiden
Herren über fremde Philosophie urtheilen, ohne sie zu kennen. Aber ähnliche
Einfälle, bei denen dem Leser Hören und Sehen vergeht, finden sich alle Angen-
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Was die weitere Auseinandersetzung betrifft, so werden uns zwar einzelne
recht interessante Einfälle gegeben, und bei manchen liegt auch die unmittelbare
Billigung nahe. Wenn z. B. Schopenhauer die Nach-Kantschen Philosophen
deshalb tadelt, daß sie ihr ganzes Lehrgebände auf einen einzelnen Begriff basiren
und ein künstliches Centrum des Universums suckeu, da doch der Mittelpunkt der
Welt überall ist, wo man steht, so scheint uns dieser Tadel vollkommen begründet.
Aber es ist Herrn Franenstädt nicht gelungen, in diesen Einfällen den innern
Zusammenhang herauszufinden, und wenn er sich von seinem "verehrten Freund"


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kommen beipflichtet und in welchem behauptet wird, Fichte habe mit jenem
Ausdruck von seinen Schülern eine gewisse Inspiration wie die Propheten ver¬
langt. Das ist allerdings von Halbphilosophen, die Fichte widerlegten, ohne ihn
zu kennen, sehr häufig der Welt verkündigt worden, aber es ist ein um so un¬
verzeihlicheres Mißverständniß, da Fichte uicht einmal, sondern wenigstens zwanzig¬
mal sich vollkommen klar und ausführlich über diesen Begriff ausspricht. Er sagt
vollkommen richtig, daß die Philosophie wie jede andere Wissenschaft uicht ans
einer bloßen, in sich ruhenden Kette von Schlüssen bestehen könne, sondern daß irgend
eine Basis da sein müsse, ans die man sich beziehen könne. Diese Basis nennt er
die intellectuelle Anschauung, die dasselbe vertritt, was im gewöhnlichen Leben
die sinnliche Anschauung, in der Mathematik die Grundsätze sind. Wem in der
Mathematik der Satz zweifelhaft ist, daß wenn zwei Größen einer dritten
gleich sind, sie sich selbst gleich sein müssen, dem wird man in der That keinen
mathematischen Satz beibringen können, »ut wer blind geboren ist, dem kann man
Jahrelang die wunderbarsten Dinge vorreden, nud er wird doch uicht zu unter¬
scheiden wissen, was grün und was roth ist. So ist es mit der intellektuellen
Anschauung in der Philosophie. Der Grundsatz, ans den»Fichte sein System ba-
sirt, ist die Erscheinung des Bewußtseins, daß, wenn man Ich sagt, man sich
zugleich als Subject und als Object, als Betrachtenden nud als Betrachte¬
tes weiß, daß man zugleich Thätigkeit (Wille) und Intelligenz ist. Diese intel¬
lectuelle Anschauung will Fichte nicht weiter beweisen, er appellirt an sie. Wer sie
nicht hat, von dem sagt er, daß er allerdings keinen philosophischen Satz ver¬
stehen würde. Nun scheint uns aber das Postulat dieser intellectuellen Anschauung
sehr bescheiden zu sein und gar nicht ans einer besonders inspirirter Begabung,
sondern auf dem ganz gewöhnlichen Menschenverstande zu beruhen, und wenn
Fichte sagt, wer diese intellectuelle Anschauung nicht hat, der kann meine Philo¬
sophie nicht verstehe», so meint er damit nnr, wer zu dumm, zu einfältig ist, um
überhaupt zu deuten. — Wir haben diesen einen Punkt etwas ausführlicher be¬
sprochen, um auf den ganz unerhörten Leichtsinn hinzuweisen, mit dem die beiden
Herren über fremde Philosophie urtheilen, ohne sie zu kennen. Aber ähnliche
Einfälle, bei denen dem Leser Hören und Sehen vergeht, finden sich alle Angen-
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deshalb tadelt, daß sie ihr ganzes Lehrgebände auf einen einzelnen Begriff basiren
und ein künstliches Centrum des Universums suckeu, da doch der Mittelpunkt der
Welt überall ist, wo man steht, so scheint uns dieser Tadel vollkommen begründet.
Aber es ist Herrn Franenstädt nicht gelungen, in diesen Einfällen den innern
Zusammenhang herauszufinden, und wenn er sich von seinem „verehrten Freund"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/339>, abgerufen am 22.07.2024.