Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verlust entbehren. Die Zusammenkünste der Patrioten ans dem Schlosse des
Edelmanns, der Emissär des Tugendbundes, der Reichsgraf, der enragirte
Bonapartist und vollends der Freiherr von Stein, wirkliche Persönlichkeiten,
welche zum Theil dem Roman zu Liebe eine leichte Verhüllung über ihre histo¬
rische Uniform geworfen haben, erscheinen uns unnütz. Was Stein bei sei¬
nen wiederholten Besuchen auf dem Schlosse von Jlitz für Ansichten über die
damalige Lage Preußens geäußert hat, wäre seinem Biographen und uns
nur dann interessant, wenn er diese Aeußerungen daselbst wirklich gethan hätte,
und wenn wir in der Stimmung wären, dies dem Verfasser zu glauben. Wo
geschichtliche Charaktere, wie z. B. Friedrich der Große in "Cabanis" oder
Cromwell in "Woodstock" auftreten, wollen sie entweder als leichte Arabeske ge¬
halten sein und nur dazu dienen, den Hintergrund zu schmücken, oder sie müssen
zweckvoll und ihrem geschichtlichen Wesen entsprechend in den Gang des Romans
eingreifen und als ein integrircnder Theil der Begebenheiten erscheinen. Beide
Positionen erscheinen uns nicht passend für solche geschichtliche Persönlichkeiten,
welche entweder noch am Leben sind, oder unserer Zeit so nahe stehn, daß es
uns noch nicht möglich ist, ihr Wesen in dem gebrochenen künstlichen Licht zu
vertragen, welches der Geist des erfindenden Dichters auf alle seine Gestalten
mit souveräner Macht vertheilt. Unter allen Umständen aber möchte ein Auftre¬
ten geschichtlicher Größen, welches ihnen nur erlaubt, sich über ihre politischen
Ansichten auszusprechen, im Interesse des Lesers zu vermeiden sein.

Auch die Charakterzeichnung des Romans hat einige Störungen durch die
mangelhafte Komposition erlitten. Alle Charaktere eines Romans haben bekannt¬
lich die Eigenthümlichkeit, daß sie fortwährend und mit strenger Consequenz ge¬
schildert werden in ihrer Beziehung auf die Begebenheit, deren Theilnehmer sie
sind. Sie sind für den Zweck des Romans allein vorhanden, nur diejeni¬
gen Aeußerungen menschlicher Individualität, welche direct oder indirect dazu
dienen, die bestimmte Handlung fortzuführen oder nach irgend einer Seite ver¬
ständlich zu Machen, dürfen in dem Roman in den Vordergrund treten. Sie
müssen deshalb von einfacher verständlicher Anlage sein, in ihrem Handeln stets
charakteristisch und zweckvoll, ihre Interessen müssen ganz zusammenfallen mit den
Interessen des Romans. Widersprüche, Unlogisches, Mangel an innerer Einheit,
welche sich anch bei dem stärksten Charakter des wirklichen Lebens in großer An¬
zahl vorfinden, dürfen in dem Roman nur dann dargestellt werden, wenn sie für
die künstlerischen Zwecke desselben nothwendig sind. In diesem Fall wird frei¬
lich die Schilderung solcher inneren Gegensätze einer Persönlichkeit oft grade
das Schönste und Reizendste, was die Kunst zu bilden vermag. Nur durch diese
zweckvolle und planmäßige Charakteristik entsteht in den Personen eines Kunstwerks
der schöne Schein innerer Wahrheit. Diese Wahrheit müssen wir lebhaft empfinden,
um an die Personen glauben und uns für dieselben interessiren zu können, und wir


Verlust entbehren. Die Zusammenkünste der Patrioten ans dem Schlosse des
Edelmanns, der Emissär des Tugendbundes, der Reichsgraf, der enragirte
Bonapartist und vollends der Freiherr von Stein, wirkliche Persönlichkeiten,
welche zum Theil dem Roman zu Liebe eine leichte Verhüllung über ihre histo¬
rische Uniform geworfen haben, erscheinen uns unnütz. Was Stein bei sei¬
nen wiederholten Besuchen auf dem Schlosse von Jlitz für Ansichten über die
damalige Lage Preußens geäußert hat, wäre seinem Biographen und uns
nur dann interessant, wenn er diese Aeußerungen daselbst wirklich gethan hätte,
und wenn wir in der Stimmung wären, dies dem Verfasser zu glauben. Wo
geschichtliche Charaktere, wie z. B. Friedrich der Große in „Cabanis" oder
Cromwell in „Woodstock" auftreten, wollen sie entweder als leichte Arabeske ge¬
halten sein und nur dazu dienen, den Hintergrund zu schmücken, oder sie müssen
zweckvoll und ihrem geschichtlichen Wesen entsprechend in den Gang des Romans
eingreifen und als ein integrircnder Theil der Begebenheiten erscheinen. Beide
Positionen erscheinen uns nicht passend für solche geschichtliche Persönlichkeiten,
welche entweder noch am Leben sind, oder unserer Zeit so nahe stehn, daß es
uns noch nicht möglich ist, ihr Wesen in dem gebrochenen künstlichen Licht zu
vertragen, welches der Geist des erfindenden Dichters auf alle seine Gestalten
mit souveräner Macht vertheilt. Unter allen Umständen aber möchte ein Auftre¬
ten geschichtlicher Größen, welches ihnen nur erlaubt, sich über ihre politischen
Ansichten auszusprechen, im Interesse des Lesers zu vermeiden sein.

Auch die Charakterzeichnung des Romans hat einige Störungen durch die
mangelhafte Komposition erlitten. Alle Charaktere eines Romans haben bekannt¬
lich die Eigenthümlichkeit, daß sie fortwährend und mit strenger Consequenz ge¬
schildert werden in ihrer Beziehung auf die Begebenheit, deren Theilnehmer sie
sind. Sie sind für den Zweck des Romans allein vorhanden, nur diejeni¬
gen Aeußerungen menschlicher Individualität, welche direct oder indirect dazu
dienen, die bestimmte Handlung fortzuführen oder nach irgend einer Seite ver¬
ständlich zu Machen, dürfen in dem Roman in den Vordergrund treten. Sie
müssen deshalb von einfacher verständlicher Anlage sein, in ihrem Handeln stets
charakteristisch und zweckvoll, ihre Interessen müssen ganz zusammenfallen mit den
Interessen des Romans. Widersprüche, Unlogisches, Mangel an innerer Einheit,
welche sich anch bei dem stärksten Charakter des wirklichen Lebens in großer An¬
zahl vorfinden, dürfen in dem Roman nur dann dargestellt werden, wenn sie für
die künstlerischen Zwecke desselben nothwendig sind. In diesem Fall wird frei¬
lich die Schilderung solcher inneren Gegensätze einer Persönlichkeit oft grade
das Schönste und Reizendste, was die Kunst zu bilden vermag. Nur durch diese
zweckvolle und planmäßige Charakteristik entsteht in den Personen eines Kunstwerks
der schöne Schein innerer Wahrheit. Diese Wahrheit müssen wir lebhaft empfinden,
um an die Personen glauben und uns für dieselben interessiren zu können, und wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97579"/>
          <p xml:id="ID_873" prev="#ID_872"> Verlust entbehren. Die Zusammenkünste der Patrioten ans dem Schlosse des<lb/>
Edelmanns, der Emissär des Tugendbundes, der Reichsgraf, der enragirte<lb/>
Bonapartist und vollends der Freiherr von Stein, wirkliche Persönlichkeiten,<lb/>
welche zum Theil dem Roman zu Liebe eine leichte Verhüllung über ihre histo¬<lb/>
rische Uniform geworfen haben, erscheinen uns unnütz. Was Stein bei sei¬<lb/>
nen wiederholten Besuchen auf dem Schlosse von Jlitz für Ansichten über die<lb/>
damalige Lage Preußens geäußert hat, wäre seinem Biographen und uns<lb/>
nur dann interessant, wenn er diese Aeußerungen daselbst wirklich gethan hätte,<lb/>
und wenn wir in der Stimmung wären, dies dem Verfasser zu glauben. Wo<lb/>
geschichtliche Charaktere, wie z. B. Friedrich der Große in &#x201E;Cabanis" oder<lb/>
Cromwell in &#x201E;Woodstock" auftreten, wollen sie entweder als leichte Arabeske ge¬<lb/>
halten sein und nur dazu dienen, den Hintergrund zu schmücken, oder sie müssen<lb/>
zweckvoll und ihrem geschichtlichen Wesen entsprechend in den Gang des Romans<lb/>
eingreifen und als ein integrircnder Theil der Begebenheiten erscheinen. Beide<lb/>
Positionen erscheinen uns nicht passend für solche geschichtliche Persönlichkeiten,<lb/>
welche entweder noch am Leben sind, oder unserer Zeit so nahe stehn, daß es<lb/>
uns noch nicht möglich ist, ihr Wesen in dem gebrochenen künstlichen Licht zu<lb/>
vertragen, welches der Geist des erfindenden Dichters auf alle seine Gestalten<lb/>
mit souveräner Macht vertheilt. Unter allen Umständen aber möchte ein Auftre¬<lb/>
ten geschichtlicher Größen, welches ihnen nur erlaubt, sich über ihre politischen<lb/>
Ansichten auszusprechen, im Interesse des Lesers zu vermeiden sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874" next="#ID_875"> Auch die Charakterzeichnung des Romans hat einige Störungen durch die<lb/>
mangelhafte Komposition erlitten. Alle Charaktere eines Romans haben bekannt¬<lb/>
lich die Eigenthümlichkeit, daß sie fortwährend und mit strenger Consequenz ge¬<lb/>
schildert werden in ihrer Beziehung auf die Begebenheit, deren Theilnehmer sie<lb/>
sind. Sie sind für den Zweck des Romans allein vorhanden, nur diejeni¬<lb/>
gen Aeußerungen menschlicher Individualität, welche direct oder indirect dazu<lb/>
dienen, die bestimmte Handlung fortzuführen oder nach irgend einer Seite ver¬<lb/>
ständlich zu Machen, dürfen in dem Roman in den Vordergrund treten. Sie<lb/>
müssen deshalb von einfacher verständlicher Anlage sein, in ihrem Handeln stets<lb/>
charakteristisch und zweckvoll, ihre Interessen müssen ganz zusammenfallen mit den<lb/>
Interessen des Romans. Widersprüche, Unlogisches, Mangel an innerer Einheit,<lb/>
welche sich anch bei dem stärksten Charakter des wirklichen Lebens in großer An¬<lb/>
zahl vorfinden, dürfen in dem Roman nur dann dargestellt werden, wenn sie für<lb/>
die künstlerischen Zwecke desselben nothwendig sind. In diesem Fall wird frei¬<lb/>
lich die Schilderung solcher inneren Gegensätze einer Persönlichkeit oft grade<lb/>
das Schönste und Reizendste, was die Kunst zu bilden vermag. Nur durch diese<lb/>
zweckvolle und planmäßige Charakteristik entsteht in den Personen eines Kunstwerks<lb/>
der schöne Schein innerer Wahrheit. Diese Wahrheit müssen wir lebhaft empfinden,<lb/>
um an die Personen glauben und uns für dieselben interessiren zu können, und wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] Verlust entbehren. Die Zusammenkünste der Patrioten ans dem Schlosse des Edelmanns, der Emissär des Tugendbundes, der Reichsgraf, der enragirte Bonapartist und vollends der Freiherr von Stein, wirkliche Persönlichkeiten, welche zum Theil dem Roman zu Liebe eine leichte Verhüllung über ihre histo¬ rische Uniform geworfen haben, erscheinen uns unnütz. Was Stein bei sei¬ nen wiederholten Besuchen auf dem Schlosse von Jlitz für Ansichten über die damalige Lage Preußens geäußert hat, wäre seinem Biographen und uns nur dann interessant, wenn er diese Aeußerungen daselbst wirklich gethan hätte, und wenn wir in der Stimmung wären, dies dem Verfasser zu glauben. Wo geschichtliche Charaktere, wie z. B. Friedrich der Große in „Cabanis" oder Cromwell in „Woodstock" auftreten, wollen sie entweder als leichte Arabeske ge¬ halten sein und nur dazu dienen, den Hintergrund zu schmücken, oder sie müssen zweckvoll und ihrem geschichtlichen Wesen entsprechend in den Gang des Romans eingreifen und als ein integrircnder Theil der Begebenheiten erscheinen. Beide Positionen erscheinen uns nicht passend für solche geschichtliche Persönlichkeiten, welche entweder noch am Leben sind, oder unserer Zeit so nahe stehn, daß es uns noch nicht möglich ist, ihr Wesen in dem gebrochenen künstlichen Licht zu vertragen, welches der Geist des erfindenden Dichters auf alle seine Gestalten mit souveräner Macht vertheilt. Unter allen Umständen aber möchte ein Auftre¬ ten geschichtlicher Größen, welches ihnen nur erlaubt, sich über ihre politischen Ansichten auszusprechen, im Interesse des Lesers zu vermeiden sein. Auch die Charakterzeichnung des Romans hat einige Störungen durch die mangelhafte Komposition erlitten. Alle Charaktere eines Romans haben bekannt¬ lich die Eigenthümlichkeit, daß sie fortwährend und mit strenger Consequenz ge¬ schildert werden in ihrer Beziehung auf die Begebenheit, deren Theilnehmer sie sind. Sie sind für den Zweck des Romans allein vorhanden, nur diejeni¬ gen Aeußerungen menschlicher Individualität, welche direct oder indirect dazu dienen, die bestimmte Handlung fortzuführen oder nach irgend einer Seite ver¬ ständlich zu Machen, dürfen in dem Roman in den Vordergrund treten. Sie müssen deshalb von einfacher verständlicher Anlage sein, in ihrem Handeln stets charakteristisch und zweckvoll, ihre Interessen müssen ganz zusammenfallen mit den Interessen des Romans. Widersprüche, Unlogisches, Mangel an innerer Einheit, welche sich anch bei dem stärksten Charakter des wirklichen Lebens in großer An¬ zahl vorfinden, dürfen in dem Roman nur dann dargestellt werden, wenn sie für die künstlerischen Zwecke desselben nothwendig sind. In diesem Fall wird frei¬ lich die Schilderung solcher inneren Gegensätze einer Persönlichkeit oft grade das Schönste und Reizendste, was die Kunst zu bilden vermag. Nur durch diese zweckvolle und planmäßige Charakteristik entsteht in den Personen eines Kunstwerks der schöne Schein innerer Wahrheit. Diese Wahrheit müssen wir lebhaft empfinden, um an die Personen glauben und uns für dieselben interessiren zu können, und wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/333>, abgerufen am 22.07.2024.