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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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unserer jetzigen Konstitution je sein kann; und es war jedenfalls zu besorgen, daß,
wenn die Erwartung getäuscht wurde, wie doch geschehen mußte, die unschuldige
Königin für den Unverstand' ihrer sie anbetenden Unterthanen bestraft werden
würde. Die Vernünftigen protestirten gegen jede Erwartung, daß eine zweite
englische Königin das Genie der Elisabeth, ohne ihre despotischen, Tendenzen
oder ihre mütterliche Sorge als Königin gegen ihr Volk in einem Zeitalter besäße,
wo die Function selbst durch das Wachsen des Repräsentativsystems vernichtet und
der Souverän nicht mehr der politische Regierer von England ist. Die Ver¬
ständigen mochten protestiren; aber das Volk -- bis zu deu aufgeklärtesten
Classen desselben hinaus -- erwartete vou Königin Victoria Dinge, beinahe so
wunderbar, als wenn sie, in Begleitung der heiligen'Jungfrau, des heiligen
Franciscus, Daniel O'Connells und Lord Normanbys, nach dem Felsen vou Cassel
ginge, und die alte Kathedrale von Minister und den katholischen Glauben wieder
aufbaute. Jetzt, wo wir eine tugendhafte Königin hätten, stark in der Kraft der
Jngend, würde alles gut gehen: -- die Lords würden gut mit den Gemeinen
arbeiten --- das Volk würde erzogen werden -- jeder würde Beschäftigung und
Nahrung haben -- alle Reformen würden durchgeführt werden -- und sie selbst
würde niemals eine Sache unrecht machen oder einen Irrthum begehen. Die
Wenige", welche darauf aufmerksam machten, daß sie menschlich und königlich und
nur achtzehn Jahre wäre, -- daß es ein unendlicher Segen sei, daß sie rein und
gewissenhaft wäre und im höchsten Grade wahrhaft und aufrichtig; -- daß es
genng sei, serner zu hoffen, daß sie ernstlich Willens sein würde zu lernen,
sorgsam in der Wahl ihrer Rathgeber und offen in Anerkennung ihrer eigenen
Irrthümer; und daß es eine große Ungerechtigkeit sei, von ihr zu verlangen,
was sie niemals vollbringen könnte, und dann die Enttäuschung, sie selbst entgelten
zu lassen; -- diese Wenigen hielt man für kalt und lässig in ihrer Treue, und
die Regung der nationalen Freude ließ ihre Ideen nicht aufkommen. In Wahrheit,
sie selbst fühlten die Gefahr, von ihrer richtigen Meinung und Klugheit abgeleitet
zu werden., als sie ihre Königin bei ihrer Prvclämirnng mit Augen sahen. Als
dieselbe am Morgen nach ihrem Regierungsantritt im Palast von Se. James an
einem Fenster stand -- und Wenige wußten, daß sie sich dort zeigen würde --
das Gesicht bleich und von Thränen-feucht, aber ruhig und schmucklos ernst
als ihr einfaches schwarzes Kleid und die Flechten ihres brannen Haars ihr das
Ansehen qnäkerartiger Nettigkeit gaben, welche den Ernst erhöhte -- da war es
kaum möglich, nach solchem Anblick von edler Gelassenheit nicht ausschweifende
Hoffnungen zu fassen -- und nicht zu vergessen, daß, wenn auch Unvoll-
kommenheit bei der Souveränin selbst außer Frage wäre, es doch Beschränkungen
in ihrer Stellung gab, welche ihr für die Erlösung ihres Volkes nur die Macht
ließen, ihre Rathgeber verständig zu wählen und unberechenbaren Einfluß zu üben
durch ein von der Höhe der Gesellschaft nach außen glänzendes Muster der Tugend.




unserer jetzigen Konstitution je sein kann; und es war jedenfalls zu besorgen, daß,
wenn die Erwartung getäuscht wurde, wie doch geschehen mußte, die unschuldige
Königin für den Unverstand' ihrer sie anbetenden Unterthanen bestraft werden
würde. Die Vernünftigen protestirten gegen jede Erwartung, daß eine zweite
englische Königin das Genie der Elisabeth, ohne ihre despotischen, Tendenzen
oder ihre mütterliche Sorge als Königin gegen ihr Volk in einem Zeitalter besäße,
wo die Function selbst durch das Wachsen des Repräsentativsystems vernichtet und
der Souverän nicht mehr der politische Regierer von England ist. Die Ver¬
ständigen mochten protestiren; aber das Volk — bis zu deu aufgeklärtesten
Classen desselben hinaus — erwartete vou Königin Victoria Dinge, beinahe so
wunderbar, als wenn sie, in Begleitung der heiligen'Jungfrau, des heiligen
Franciscus, Daniel O'Connells und Lord Normanbys, nach dem Felsen vou Cassel
ginge, und die alte Kathedrale von Minister und den katholischen Glauben wieder
aufbaute. Jetzt, wo wir eine tugendhafte Königin hätten, stark in der Kraft der
Jngend, würde alles gut gehen: — die Lords würden gut mit den Gemeinen
arbeiten —- das Volk würde erzogen werden — jeder würde Beschäftigung und
Nahrung haben — alle Reformen würden durchgeführt werden — und sie selbst
würde niemals eine Sache unrecht machen oder einen Irrthum begehen. Die
Wenige», welche darauf aufmerksam machten, daß sie menschlich und königlich und
nur achtzehn Jahre wäre, — daß es ein unendlicher Segen sei, daß sie rein und
gewissenhaft wäre und im höchsten Grade wahrhaft und aufrichtig; — daß es
genng sei, serner zu hoffen, daß sie ernstlich Willens sein würde zu lernen,
sorgsam in der Wahl ihrer Rathgeber und offen in Anerkennung ihrer eigenen
Irrthümer; und daß es eine große Ungerechtigkeit sei, von ihr zu verlangen,
was sie niemals vollbringen könnte, und dann die Enttäuschung, sie selbst entgelten
zu lassen; — diese Wenigen hielt man für kalt und lässig in ihrer Treue, und
die Regung der nationalen Freude ließ ihre Ideen nicht aufkommen. In Wahrheit,
sie selbst fühlten die Gefahr, von ihrer richtigen Meinung und Klugheit abgeleitet
zu werden., als sie ihre Königin bei ihrer Prvclämirnng mit Augen sahen. Als
dieselbe am Morgen nach ihrem Regierungsantritt im Palast von Se. James an
einem Fenster stand — und Wenige wußten, daß sie sich dort zeigen würde —
das Gesicht bleich und von Thränen-feucht, aber ruhig und schmucklos ernst
als ihr einfaches schwarzes Kleid und die Flechten ihres brannen Haars ihr das
Ansehen qnäkerartiger Nettigkeit gaben, welche den Ernst erhöhte — da war es
kaum möglich, nach solchem Anblick von edler Gelassenheit nicht ausschweifende
Hoffnungen zu fassen — und nicht zu vergessen, daß, wenn auch Unvoll-
kommenheit bei der Souveränin selbst außer Frage wäre, es doch Beschränkungen
in ihrer Stellung gab, welche ihr für die Erlösung ihres Volkes nur die Macht
ließen, ihre Rathgeber verständig zu wählen und unberechenbaren Einfluß zu üben
durch ein von der Höhe der Gesellschaft nach außen glänzendes Muster der Tugend.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/32>, abgerufen am 30.06.2024.