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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Schwestern. Im Jahr 1828 machte Berlin zuerst die Bekanntschaft der Dampf¬
maschinen; im Jahr 1840 besaß sie deren 43 von 774 Pferdekraft, und nur
ein Dutzend Jahre später 322 von 3600 Pferdekraft. Nach diesem Beispiel
mag man den industriellen Fortschritt der Stadt überhaupt schätzen.

Wir ziehen uns auf unsere Zahlen zurück, als auf die sichersten Beweismittel,
wo es sich um die Befestigung wenig bekannter Thatsachen handelt. 261 Fabriken
mit 4399 Arbeitern sind in der Verfertigung von linnenen, wollenen, baumwolle¬
nen und seidenen Kleidungsstoffen beschäftigt, nachdem 733-1 Webcstühle und 5
Maschinenspinnereien mit 7260 Feinspindeln ihnen vorgearbeitet haben. Die
verschiedenartigen Erze, Metalle und Mineralien des Bergbaus verwerthen 114
Anstalten mit 5584 Arbeitern, unter denen die Eisengießereien bei weitem den
ersten Platz behaupten. Dazu fügen wir die Anmerkung, daß Bvrsigs Werke in
Alt-Moabit besonders aufgeführt sind, mit ihren 694 Arbeitern und ihren 800,000
Thalern jährlicher Production. Die Zahl der übrigen Fabriken und fabrikartigen
Anlagen ist Legion. Darunter sind etwa am stärksten diejenigen vertreten, welche
Leder und Lederwaaren, Tabak und Cigarren, Portefeuilles, Schirme, Seife, Licht
und Oel, künstliche Blumen und endlich die Genüsse der durstigen Kehle, Bier
und Spirituosen erzeugen.

An dem kleinen Gewerbe Berlins ließe sich die neuere Geschichte des deutschen
Handwerks theils der größeren Verhältnisse, theils der vorhandenen genauen
Daten wegen vielleicht erfolgreicher verfolgen als an irgend einer andern Stadt.
Wir besitzen unter anderen eine Gewerbetabelle aus dem Jahr 1822, welche die
Statistik aller Classen von Handwerkern ebenso vollständig und 'beinahe in der¬
selben Ordnung enthält, wie die von 1832. Man hat also ein vortreffliches
Mittel zu berechnen, welche Fortschritte die verschiedenen Gewerbe während des
letztverflossenen Menschenalters gemacht haben, in welchem Grade das preußische
Gemisch von Zunftzwang und Gewerbefreiheit ihrer Vermehrung an selbstständigen
Meistern entgegengetreten ist, wieviel von ihnen endlich durch das allzu üppige
Gedeihen der Fabrikindustrie allmälig aufgesogen werde. Mit einigem Bedauern
beschränken wir uns auf die folgenden, übersichtlichen und kurzeu Andenrungen.
Berlin hatte 1822 192,383 Einwohner, 1832 aber 423,846. Halten wir diese
Ziffern als Grundlage fest, so werden sich für die Entwickelung der Handwerke
drei, oder wenn man will, vier Kategorien der Beurtheilung ergeben. In der
ersten stehen die, welche an ihrem absoluten Bestand verloren haben, natürlich
die mindest zahlreiche Classe von allen. Es gehören ihr eigentlich nur die Gerber
und Seifensieder an, welche die concurrirende Fabrikarbeit von 109 und 33
Meistern im Jahre 1822 auf die bescheidene Zahl von 74 und 37 im Jahre
^832 heruntergedrückt hat. Das sind also aussterbende Kleingewerbe. Lang¬
samer vorgeschritten als die Masse der Bevölkerung ist eine zweite Reihe, in der
die Bäcker, Zimmermeister, Töpfer und Schlosser die namhaftesten sind. Doch


Grenzboten, I. -!8S4. 37

Schwestern. Im Jahr 1828 machte Berlin zuerst die Bekanntschaft der Dampf¬
maschinen; im Jahr 1840 besaß sie deren 43 von 774 Pferdekraft, und nur
ein Dutzend Jahre später 322 von 3600 Pferdekraft. Nach diesem Beispiel
mag man den industriellen Fortschritt der Stadt überhaupt schätzen.

Wir ziehen uns auf unsere Zahlen zurück, als auf die sichersten Beweismittel,
wo es sich um die Befestigung wenig bekannter Thatsachen handelt. 261 Fabriken
mit 4399 Arbeitern sind in der Verfertigung von linnenen, wollenen, baumwolle¬
nen und seidenen Kleidungsstoffen beschäftigt, nachdem 733-1 Webcstühle und 5
Maschinenspinnereien mit 7260 Feinspindeln ihnen vorgearbeitet haben. Die
verschiedenartigen Erze, Metalle und Mineralien des Bergbaus verwerthen 114
Anstalten mit 5584 Arbeitern, unter denen die Eisengießereien bei weitem den
ersten Platz behaupten. Dazu fügen wir die Anmerkung, daß Bvrsigs Werke in
Alt-Moabit besonders aufgeführt sind, mit ihren 694 Arbeitern und ihren 800,000
Thalern jährlicher Production. Die Zahl der übrigen Fabriken und fabrikartigen
Anlagen ist Legion. Darunter sind etwa am stärksten diejenigen vertreten, welche
Leder und Lederwaaren, Tabak und Cigarren, Portefeuilles, Schirme, Seife, Licht
und Oel, künstliche Blumen und endlich die Genüsse der durstigen Kehle, Bier
und Spirituosen erzeugen.

An dem kleinen Gewerbe Berlins ließe sich die neuere Geschichte des deutschen
Handwerks theils der größeren Verhältnisse, theils der vorhandenen genauen
Daten wegen vielleicht erfolgreicher verfolgen als an irgend einer andern Stadt.
Wir besitzen unter anderen eine Gewerbetabelle aus dem Jahr 1822, welche die
Statistik aller Classen von Handwerkern ebenso vollständig und 'beinahe in der¬
selben Ordnung enthält, wie die von 1832. Man hat also ein vortreffliches
Mittel zu berechnen, welche Fortschritte die verschiedenen Gewerbe während des
letztverflossenen Menschenalters gemacht haben, in welchem Grade das preußische
Gemisch von Zunftzwang und Gewerbefreiheit ihrer Vermehrung an selbstständigen
Meistern entgegengetreten ist, wieviel von ihnen endlich durch das allzu üppige
Gedeihen der Fabrikindustrie allmälig aufgesogen werde. Mit einigem Bedauern
beschränken wir uns auf die folgenden, übersichtlichen und kurzeu Andenrungen.
Berlin hatte 1822 192,383 Einwohner, 1832 aber 423,846. Halten wir diese
Ziffern als Grundlage fest, so werden sich für die Entwickelung der Handwerke
drei, oder wenn man will, vier Kategorien der Beurtheilung ergeben. In der
ersten stehen die, welche an ihrem absoluten Bestand verloren haben, natürlich
die mindest zahlreiche Classe von allen. Es gehören ihr eigentlich nur die Gerber
und Seifensieder an, welche die concurrirende Fabrikarbeit von 109 und 33
Meistern im Jahre 1822 auf die bescheidene Zahl von 74 und 37 im Jahre
^832 heruntergedrückt hat. Das sind also aussterbende Kleingewerbe. Lang¬
samer vorgeschritten als die Masse der Bevölkerung ist eine zweite Reihe, in der
die Bäcker, Zimmermeister, Töpfer und Schlosser die namhaftesten sind. Doch


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[0297] Schwestern. Im Jahr 1828 machte Berlin zuerst die Bekanntschaft der Dampf¬ maschinen; im Jahr 1840 besaß sie deren 43 von 774 Pferdekraft, und nur ein Dutzend Jahre später 322 von 3600 Pferdekraft. Nach diesem Beispiel mag man den industriellen Fortschritt der Stadt überhaupt schätzen. Wir ziehen uns auf unsere Zahlen zurück, als auf die sichersten Beweismittel, wo es sich um die Befestigung wenig bekannter Thatsachen handelt. 261 Fabriken mit 4399 Arbeitern sind in der Verfertigung von linnenen, wollenen, baumwolle¬ nen und seidenen Kleidungsstoffen beschäftigt, nachdem 733-1 Webcstühle und 5 Maschinenspinnereien mit 7260 Feinspindeln ihnen vorgearbeitet haben. Die verschiedenartigen Erze, Metalle und Mineralien des Bergbaus verwerthen 114 Anstalten mit 5584 Arbeitern, unter denen die Eisengießereien bei weitem den ersten Platz behaupten. Dazu fügen wir die Anmerkung, daß Bvrsigs Werke in Alt-Moabit besonders aufgeführt sind, mit ihren 694 Arbeitern und ihren 800,000 Thalern jährlicher Production. Die Zahl der übrigen Fabriken und fabrikartigen Anlagen ist Legion. Darunter sind etwa am stärksten diejenigen vertreten, welche Leder und Lederwaaren, Tabak und Cigarren, Portefeuilles, Schirme, Seife, Licht und Oel, künstliche Blumen und endlich die Genüsse der durstigen Kehle, Bier und Spirituosen erzeugen. An dem kleinen Gewerbe Berlins ließe sich die neuere Geschichte des deutschen Handwerks theils der größeren Verhältnisse, theils der vorhandenen genauen Daten wegen vielleicht erfolgreicher verfolgen als an irgend einer andern Stadt. Wir besitzen unter anderen eine Gewerbetabelle aus dem Jahr 1822, welche die Statistik aller Classen von Handwerkern ebenso vollständig und 'beinahe in der¬ selben Ordnung enthält, wie die von 1832. Man hat also ein vortreffliches Mittel zu berechnen, welche Fortschritte die verschiedenen Gewerbe während des letztverflossenen Menschenalters gemacht haben, in welchem Grade das preußische Gemisch von Zunftzwang und Gewerbefreiheit ihrer Vermehrung an selbstständigen Meistern entgegengetreten ist, wieviel von ihnen endlich durch das allzu üppige Gedeihen der Fabrikindustrie allmälig aufgesogen werde. Mit einigem Bedauern beschränken wir uns auf die folgenden, übersichtlichen und kurzeu Andenrungen. Berlin hatte 1822 192,383 Einwohner, 1832 aber 423,846. Halten wir diese Ziffern als Grundlage fest, so werden sich für die Entwickelung der Handwerke drei, oder wenn man will, vier Kategorien der Beurtheilung ergeben. In der ersten stehen die, welche an ihrem absoluten Bestand verloren haben, natürlich die mindest zahlreiche Classe von allen. Es gehören ihr eigentlich nur die Gerber und Seifensieder an, welche die concurrirende Fabrikarbeit von 109 und 33 Meistern im Jahre 1822 auf die bescheidene Zahl von 74 und 37 im Jahre ^832 heruntergedrückt hat. Das sind also aussterbende Kleingewerbe. Lang¬ samer vorgeschritten als die Masse der Bevölkerung ist eine zweite Reihe, in der die Bäcker, Zimmermeister, Töpfer und Schlosser die namhaftesten sind. Doch Grenzboten, I. -!8S4. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/297>, abgerufen am 29.06.2024.