Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ehe leben 59,147 Männer und "9,660 Frauen. Auf die Familie fallen im
Durchschnitt drei bis vier lebende Kinder. Von den Neugebornen kommt je eins
ans 28 Einwohner, während nach Dietericis Berechnungen im ganzen preußischen
Staat während des Zeitraums 1748--1840 je 24,und während des Zeitraums
1800--1846 je 24,"" Lebende eine neue Geburt bedingen. Das Verhältniß ist
besonders merkwürdig wegen seiner Konsistenz. Die unehelich Gebornen haben
sich 1852 zu den ehelich Gebornen wie 1 zu 6,"^ verhalten. Darin spricht sich
ein nicht unerfreulicher Fortschritt gegen früher aus, wo z. B. im Jahr 1817
fast schon auf 4 eheliche Kinder ein uneheliches traf. Wir erwähnen zur>Ver-
gleichung, daß das Verhältniß im preußischen Staat 1:14, in England 1:14,7,
in Oestreich 1:8,"", in Oldenburg 1 : 1S,n, in Hannover 1:11," , und in
Mecklenburg gar 1 : 4,? steht. Die große Metropole der Civilisation steht also
nach dieser Seite hin hoher auf der Staffel der öffentlichen Sittlichkeit, als das
entlegene kleine Land mit noch nicht dritthalbtausend Einwohnern auf der Geviert
nelle, aus dem das Mittelalter seinen Abmarsch noch immer nicht antreten will.

Wie es sich im Fortschritt der Zeiten mit der Sterblichkeit bessert, darüber
ein einziger Beleg. Von 1748 bis 1790 fiel in Preußen ein Todesfall auf 31
Lebende; vou 1816 bis 1846 nur noch anf 34. In Berlin starb 1852 ein
Mensch ans 38, nämlich ein männliches Individuum auf 33,? gegen ein weibliches
Individuum auf 42,^, da das starke Geschlecht nirgends aus der Erde so zähe
Dauer hat wie das schöne. Wir heben einige der bezeichnendsten Daten über
die als Todesursachen angegebenen Krankheiten heraus. Die Schwindsucht der
Lungen oder des Halses raffte über 11 pCt., die Abzehrung zwischen 9 und
10 pCt. aller Gestorbenen hin; am Schlagfluß verendeten 5 pCt., an der Ent¬
kräftung beinahe ebensoviel; je 4 pCt. forderten Nervenfieber, Brechdurchfall und
Scharlach. Dem Säuferwahnsinn, diesem Product des neunzehnten Jahrhunderts,
erlagen 40 Männer und eine Frau.

Wenden wir uns von diesem wenig anziehenden Capitel zu den Beschäf¬
tigungen der Gesunden. Bekanuterweise ist es uoch nicht so lange her, daß
Berlin eine einflußreiche Rolle in der nationalen Production Deutschlands spielt.
In die,öde und flache Mark gebannt, ans ihre militärische und administrative
Bedeutung beschränkt, hat diese merkwürdige Stadt selbst erst zu verhältnißmäßig
später Stunde deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst in ihren Mauern will¬
kommen geheißen. Kaum aber war der neue Bund geschlossen, so gewann er
ans der Stelle daS höchste Lebe", und es fehlte uicht viel, daß er die älteren
Verhältnisse beider Theile alle miteinander in den Hintergrund schob. Nicht
anders scheint es nun mit Handel und Industrie zu gehen. Wie viele unsrer
Leser mögen sich schon daran gewöhnt haben, die preußische Hauptstadt als eine
Fabrikstadt ersten Ranges zu betrachten? Wenn sie es noch nicht sein sollte,
neben Manchester oder Lyon gestellt, so doch ohne Frage unter ihren deutschen


Ehe leben 59,147 Männer und »9,660 Frauen. Auf die Familie fallen im
Durchschnitt drei bis vier lebende Kinder. Von den Neugebornen kommt je eins
ans 28 Einwohner, während nach Dietericis Berechnungen im ganzen preußischen
Staat während des Zeitraums 1748—1840 je 24,und während des Zeitraums
1800—1846 je 24,»» Lebende eine neue Geburt bedingen. Das Verhältniß ist
besonders merkwürdig wegen seiner Konsistenz. Die unehelich Gebornen haben
sich 1852 zu den ehelich Gebornen wie 1 zu 6,»^ verhalten. Darin spricht sich
ein nicht unerfreulicher Fortschritt gegen früher aus, wo z. B. im Jahr 1817
fast schon auf 4 eheliche Kinder ein uneheliches traf. Wir erwähnen zur>Ver-
gleichung, daß das Verhältniß im preußischen Staat 1:14, in England 1:14,7,
in Oestreich 1:8,»», in Oldenburg 1 : 1S,n, in Hannover 1:11,» , und in
Mecklenburg gar 1 : 4,? steht. Die große Metropole der Civilisation steht also
nach dieser Seite hin hoher auf der Staffel der öffentlichen Sittlichkeit, als das
entlegene kleine Land mit noch nicht dritthalbtausend Einwohnern auf der Geviert
nelle, aus dem das Mittelalter seinen Abmarsch noch immer nicht antreten will.

Wie es sich im Fortschritt der Zeiten mit der Sterblichkeit bessert, darüber
ein einziger Beleg. Von 1748 bis 1790 fiel in Preußen ein Todesfall auf 31
Lebende; vou 1816 bis 1846 nur noch anf 34. In Berlin starb 1852 ein
Mensch ans 38, nämlich ein männliches Individuum auf 33,? gegen ein weibliches
Individuum auf 42,^, da das starke Geschlecht nirgends aus der Erde so zähe
Dauer hat wie das schöne. Wir heben einige der bezeichnendsten Daten über
die als Todesursachen angegebenen Krankheiten heraus. Die Schwindsucht der
Lungen oder des Halses raffte über 11 pCt., die Abzehrung zwischen 9 und
10 pCt. aller Gestorbenen hin; am Schlagfluß verendeten 5 pCt., an der Ent¬
kräftung beinahe ebensoviel; je 4 pCt. forderten Nervenfieber, Brechdurchfall und
Scharlach. Dem Säuferwahnsinn, diesem Product des neunzehnten Jahrhunderts,
erlagen 40 Männer und eine Frau.

Wenden wir uns von diesem wenig anziehenden Capitel zu den Beschäf¬
tigungen der Gesunden. Bekanuterweise ist es uoch nicht so lange her, daß
Berlin eine einflußreiche Rolle in der nationalen Production Deutschlands spielt.
In die,öde und flache Mark gebannt, ans ihre militärische und administrative
Bedeutung beschränkt, hat diese merkwürdige Stadt selbst erst zu verhältnißmäßig
später Stunde deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst in ihren Mauern will¬
kommen geheißen. Kaum aber war der neue Bund geschlossen, so gewann er
ans der Stelle daS höchste Lebe», und es fehlte uicht viel, daß er die älteren
Verhältnisse beider Theile alle miteinander in den Hintergrund schob. Nicht
anders scheint es nun mit Handel und Industrie zu gehen. Wie viele unsrer
Leser mögen sich schon daran gewöhnt haben, die preußische Hauptstadt als eine
Fabrikstadt ersten Ranges zu betrachten? Wenn sie es noch nicht sein sollte,
neben Manchester oder Lyon gestellt, so doch ohne Frage unter ihren deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97542"/>
          <p xml:id="ID_766" prev="#ID_765"> Ehe leben 59,147 Männer und »9,660 Frauen. Auf die Familie fallen im<lb/>
Durchschnitt drei bis vier lebende Kinder. Von den Neugebornen kommt je eins<lb/>
ans 28 Einwohner, während nach Dietericis Berechnungen im ganzen preußischen<lb/>
Staat während des Zeitraums 1748&#x2014;1840 je 24,und während des Zeitraums<lb/>
1800&#x2014;1846 je 24,»» Lebende eine neue Geburt bedingen. Das Verhältniß ist<lb/>
besonders merkwürdig wegen seiner Konsistenz. Die unehelich Gebornen haben<lb/>
sich 1852 zu den ehelich Gebornen wie 1 zu 6,»^ verhalten. Darin spricht sich<lb/>
ein nicht unerfreulicher Fortschritt gegen früher aus, wo z. B. im Jahr 1817<lb/>
fast schon auf 4 eheliche Kinder ein uneheliches traf. Wir erwähnen zur&gt;Ver-<lb/>
gleichung, daß das Verhältniß im preußischen Staat 1:14, in England 1:14,7,<lb/>
in Oestreich 1:8,»», in Oldenburg 1 : 1S,n, in Hannover 1:11,» , und in<lb/>
Mecklenburg gar 1 : 4,? steht. Die große Metropole der Civilisation steht also<lb/>
nach dieser Seite hin hoher auf der Staffel der öffentlichen Sittlichkeit, als das<lb/>
entlegene kleine Land mit noch nicht dritthalbtausend Einwohnern auf der Geviert<lb/>
nelle, aus dem das Mittelalter seinen Abmarsch noch immer nicht antreten will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_767"> Wie es sich im Fortschritt der Zeiten mit der Sterblichkeit bessert, darüber<lb/>
ein einziger Beleg. Von 1748 bis 1790 fiel in Preußen ein Todesfall auf 31<lb/>
Lebende; vou 1816 bis 1846 nur noch anf 34. In Berlin starb 1852 ein<lb/>
Mensch ans 38, nämlich ein männliches Individuum auf 33,? gegen ein weibliches<lb/>
Individuum auf 42,^, da das starke Geschlecht nirgends aus der Erde so zähe<lb/>
Dauer hat wie das schöne. Wir heben einige der bezeichnendsten Daten über<lb/>
die als Todesursachen angegebenen Krankheiten heraus. Die Schwindsucht der<lb/>
Lungen oder des Halses raffte über 11 pCt., die Abzehrung zwischen 9 und<lb/>
10 pCt. aller Gestorbenen hin; am Schlagfluß verendeten 5 pCt., an der Ent¬<lb/>
kräftung beinahe ebensoviel; je 4 pCt. forderten Nervenfieber, Brechdurchfall und<lb/>
Scharlach. Dem Säuferwahnsinn, diesem Product des neunzehnten Jahrhunderts,<lb/>
erlagen 40 Männer und eine Frau.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_768" next="#ID_769"> Wenden wir uns von diesem wenig anziehenden Capitel zu den Beschäf¬<lb/>
tigungen der Gesunden. Bekanuterweise ist es uoch nicht so lange her, daß<lb/>
Berlin eine einflußreiche Rolle in der nationalen Production Deutschlands spielt.<lb/>
In die,öde und flache Mark gebannt, ans ihre militärische und administrative<lb/>
Bedeutung beschränkt, hat diese merkwürdige Stadt selbst erst zu verhältnißmäßig<lb/>
später Stunde deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst in ihren Mauern will¬<lb/>
kommen geheißen. Kaum aber war der neue Bund geschlossen, so gewann er<lb/>
ans der Stelle daS höchste Lebe», und es fehlte uicht viel, daß er die älteren<lb/>
Verhältnisse beider Theile alle miteinander in den Hintergrund schob. Nicht<lb/>
anders scheint es nun mit Handel und Industrie zu gehen. Wie viele unsrer<lb/>
Leser mögen sich schon daran gewöhnt haben, die preußische Hauptstadt als eine<lb/>
Fabrikstadt ersten Ranges zu betrachten? Wenn sie es noch nicht sein sollte,<lb/>
neben Manchester oder Lyon gestellt, so doch ohne Frage unter ihren deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Ehe leben 59,147 Männer und »9,660 Frauen. Auf die Familie fallen im Durchschnitt drei bis vier lebende Kinder. Von den Neugebornen kommt je eins ans 28 Einwohner, während nach Dietericis Berechnungen im ganzen preußischen Staat während des Zeitraums 1748—1840 je 24,und während des Zeitraums 1800—1846 je 24,»» Lebende eine neue Geburt bedingen. Das Verhältniß ist besonders merkwürdig wegen seiner Konsistenz. Die unehelich Gebornen haben sich 1852 zu den ehelich Gebornen wie 1 zu 6,»^ verhalten. Darin spricht sich ein nicht unerfreulicher Fortschritt gegen früher aus, wo z. B. im Jahr 1817 fast schon auf 4 eheliche Kinder ein uneheliches traf. Wir erwähnen zur>Ver- gleichung, daß das Verhältniß im preußischen Staat 1:14, in England 1:14,7, in Oestreich 1:8,»», in Oldenburg 1 : 1S,n, in Hannover 1:11,» , und in Mecklenburg gar 1 : 4,? steht. Die große Metropole der Civilisation steht also nach dieser Seite hin hoher auf der Staffel der öffentlichen Sittlichkeit, als das entlegene kleine Land mit noch nicht dritthalbtausend Einwohnern auf der Geviert nelle, aus dem das Mittelalter seinen Abmarsch noch immer nicht antreten will. Wie es sich im Fortschritt der Zeiten mit der Sterblichkeit bessert, darüber ein einziger Beleg. Von 1748 bis 1790 fiel in Preußen ein Todesfall auf 31 Lebende; vou 1816 bis 1846 nur noch anf 34. In Berlin starb 1852 ein Mensch ans 38, nämlich ein männliches Individuum auf 33,? gegen ein weibliches Individuum auf 42,^, da das starke Geschlecht nirgends aus der Erde so zähe Dauer hat wie das schöne. Wir heben einige der bezeichnendsten Daten über die als Todesursachen angegebenen Krankheiten heraus. Die Schwindsucht der Lungen oder des Halses raffte über 11 pCt., die Abzehrung zwischen 9 und 10 pCt. aller Gestorbenen hin; am Schlagfluß verendeten 5 pCt., an der Ent¬ kräftung beinahe ebensoviel; je 4 pCt. forderten Nervenfieber, Brechdurchfall und Scharlach. Dem Säuferwahnsinn, diesem Product des neunzehnten Jahrhunderts, erlagen 40 Männer und eine Frau. Wenden wir uns von diesem wenig anziehenden Capitel zu den Beschäf¬ tigungen der Gesunden. Bekanuterweise ist es uoch nicht so lange her, daß Berlin eine einflußreiche Rolle in der nationalen Production Deutschlands spielt. In die,öde und flache Mark gebannt, ans ihre militärische und administrative Bedeutung beschränkt, hat diese merkwürdige Stadt selbst erst zu verhältnißmäßig später Stunde deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst in ihren Mauern will¬ kommen geheißen. Kaum aber war der neue Bund geschlossen, so gewann er ans der Stelle daS höchste Lebe», und es fehlte uicht viel, daß er die älteren Verhältnisse beider Theile alle miteinander in den Hintergrund schob. Nicht anders scheint es nun mit Handel und Industrie zu gehen. Wie viele unsrer Leser mögen sich schon daran gewöhnt haben, die preußische Hauptstadt als eine Fabrikstadt ersten Ranges zu betrachten? Wenn sie es noch nicht sein sollte, neben Manchester oder Lyon gestellt, so doch ohne Frage unter ihren deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/296>, abgerufen am 26.06.2024.