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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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und ausdrucksvollere Linecn bietet, als Hosen oder Reiterstiefeln. Und so wollen
wir unsere Krieger ans der Schloßbrücke schon nackt behalten und uns nicht
darüber grämen, daß sie nicht bestimmte Generale oder Krieger einer bestimmten
Zeit vorstellen, welche nöthig hätten, Waffenrock, Hosen u. s. w. anzulegen. --

Doch weiter: Man sagt, wenn sie nun einmal nicht in modernem Costum
sein sollen, so dürsten sie darum noch nicht nackt, wenigstens könnten die an¬
stößigsten Partien verdeckt sein. -- Wenn ans irgend einem künstlerischen Grnnde
ein Gewand erfordert wird, das geschickt diese Partie mitbedecken könnte, meinet¬
wegen; so ists auch bei einigen Figuren geschehen. Bei andern dagegen in le¬
bendig starker Bewegung war es wünschenswerther, das Lineenspiel der ganzen
Gestalt unverkürzt zu geben; daher blieb mit Recht das ganze Gewand fort; denn
ein ganzes Gewand ist zur Verhüllung nöthig, ein absichtlicher Zipfel
beleidigt das ästhetische Gefühl; auch würde selbst dieser noch immer den Flnsz
der Lineen störend unterbrechen. -- Wie mißlich es übrigens mit so absichtlicher
Verhüllung ist, zeigt sich recht evident bei der sonst so schonen Gruppe von
Schievelbein, wo der Zipfel eines in ziemlich unwahrscheinlicher Weise fliegenden
Gewandes höchst sichtbarlich allein den Anstand präsentirt. Es wird uns also
schon nichts übrig bleiben, als die Statuen bisweilen ganz ohne Gewand zu
statuiren; oder sollen wir zu dem sonst beliebten Feigenblatt zopfigen Andenkens
unsere Zuflucht nehmen? -

Endlich ist gesagt worden: In Museen dürften dergleichen unanständige
Statuen stehn, nur nicht ans öffentlicher Straße. Ich entgegne darauf, daß das
Museum ebenso für jedermann bestimmt ist, als die Straße; und wenn in jenes
nur wenige Leute hineingehen, so liegts eben nur daran, daß sich verhältni߬
mäßig wenige für Kunstwerke interessire". -- Sollte es wirklich Leute geben,
welche dnrch diesen schrecklichen Anblick demoralisirt werden, so bin ich überzeugt,
daß dieselben ihr Talent zur Demoralisation auch schon auf andere Weise aus¬
gebildet hätten. Und wessen Gefühl dadurch beleidigt wird, der mag das ein¬
fache Mittel ergreifen, nicht Hinznsehen. Die Schloßbrücke ist breit und läßt den
Blicken Raum genug übrig.

Soviel gegen den Vorwurf unziemlicher Nacktheit. -- Der andere, daß die
ganze Auffassungsweise in diese" Gruppen, die Bildung von Minerven und Vic-
torien, nicht in die Vorstellungen unserer Zeit und in die christliche Kunst passe,
hat ane!) nur scheinbar etwas für sich. Es ist hier anders in der Sculptur,
anders in der Malerei. Diese strebt in ihrer Darstellung stets mehr oder weniger
"ach der Illusion der Wirklichkeit. Da sie in Form, Farbe, Licht und in der
ganzen materiellen Wirkung den Schein des Lebens nachahmt, verlangen wir
auch hier Gestalten, die dem Leben unmittelbar entnommen sind; und verlangen
ste um so mehr, je lauschender der materielle Schein des Lebens wiedergegeben
A. Nur selten gestatten wir dem Leben nicht direct, entnommene Gestalten, als


und ausdrucksvollere Linecn bietet, als Hosen oder Reiterstiefeln. Und so wollen
wir unsere Krieger ans der Schloßbrücke schon nackt behalten und uns nicht
darüber grämen, daß sie nicht bestimmte Generale oder Krieger einer bestimmten
Zeit vorstellen, welche nöthig hätten, Waffenrock, Hosen u. s. w. anzulegen. —

Doch weiter: Man sagt, wenn sie nun einmal nicht in modernem Costum
sein sollen, so dürsten sie darum noch nicht nackt, wenigstens könnten die an¬
stößigsten Partien verdeckt sein. — Wenn ans irgend einem künstlerischen Grnnde
ein Gewand erfordert wird, das geschickt diese Partie mitbedecken könnte, meinet¬
wegen; so ists auch bei einigen Figuren geschehen. Bei andern dagegen in le¬
bendig starker Bewegung war es wünschenswerther, das Lineenspiel der ganzen
Gestalt unverkürzt zu geben; daher blieb mit Recht das ganze Gewand fort; denn
ein ganzes Gewand ist zur Verhüllung nöthig, ein absichtlicher Zipfel
beleidigt das ästhetische Gefühl; auch würde selbst dieser noch immer den Flnsz
der Lineen störend unterbrechen. — Wie mißlich es übrigens mit so absichtlicher
Verhüllung ist, zeigt sich recht evident bei der sonst so schonen Gruppe von
Schievelbein, wo der Zipfel eines in ziemlich unwahrscheinlicher Weise fliegenden
Gewandes höchst sichtbarlich allein den Anstand präsentirt. Es wird uns also
schon nichts übrig bleiben, als die Statuen bisweilen ganz ohne Gewand zu
statuiren; oder sollen wir zu dem sonst beliebten Feigenblatt zopfigen Andenkens
unsere Zuflucht nehmen? -

Endlich ist gesagt worden: In Museen dürften dergleichen unanständige
Statuen stehn, nur nicht ans öffentlicher Straße. Ich entgegne darauf, daß das
Museum ebenso für jedermann bestimmt ist, als die Straße; und wenn in jenes
nur wenige Leute hineingehen, so liegts eben nur daran, daß sich verhältni߬
mäßig wenige für Kunstwerke interessire». — Sollte es wirklich Leute geben,
welche dnrch diesen schrecklichen Anblick demoralisirt werden, so bin ich überzeugt,
daß dieselben ihr Talent zur Demoralisation auch schon auf andere Weise aus¬
gebildet hätten. Und wessen Gefühl dadurch beleidigt wird, der mag das ein¬
fache Mittel ergreifen, nicht Hinznsehen. Die Schloßbrücke ist breit und läßt den
Blicken Raum genug übrig.

Soviel gegen den Vorwurf unziemlicher Nacktheit. — Der andere, daß die
ganze Auffassungsweise in diese» Gruppen, die Bildung von Minerven und Vic-
torien, nicht in die Vorstellungen unserer Zeit und in die christliche Kunst passe,
hat ane!) nur scheinbar etwas für sich. Es ist hier anders in der Sculptur,
anders in der Malerei. Diese strebt in ihrer Darstellung stets mehr oder weniger
»ach der Illusion der Wirklichkeit. Da sie in Form, Farbe, Licht und in der
ganzen materiellen Wirkung den Schein des Lebens nachahmt, verlangen wir
auch hier Gestalten, die dem Leben unmittelbar entnommen sind; und verlangen
ste um so mehr, je lauschender der materielle Schein des Lebens wiedergegeben
A. Nur selten gestatten wir dem Leben nicht direct, entnommene Gestalten, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/253>, abgerufen am 22.07.2024.