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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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sie auf unsere Zeit wirken. Das ist im allgemeinen ganz richtig. -- Nur ver¬
gessen, die so räsvnnircn, daß wir bei unserer ganzen Erziehung und Bildung nud
in allen Lebensverhältnissen vou so vielem nicht aus unserer Zeit nnmittcll'ar Ent¬
sprungenen influirt werden,,daß unsere Vorstellungen, unser Denken und Empfin¬
den zum großen Theil darauf basirt; so daß jeues Traditionelle recht eigentlich
mit zu unserer Zeit gehört, und wir uns nur reflectirend bewußt werden, daß es
nicht unmittelbar aus ihr hervorgegangen ist. Ist dies schon in allen Verhält¬
nissen der Fall, so in besonders hohem Grade bei der Kunst, welche die einmal
erkannte und geltende Wahrheit festhält, als Norm und leitende Regel für alle
Zeiten, nur, wo es Noth thut, modificirend und weiter entwickelnd. -- Weit ent¬
fernt also, daß Knnstproductivueu, die alles Traditionelle aufgebe", dadurch mehr
auf ihre Zeit wirken, werden sie im Gegentheile den richtigen Eindruck verfehlen.

In keiner Kunst hat das Traditionelle (und zwar das der Antike) sich fester
und reiner erhalten, als in der Sculptur. Das liegt nicht allein in der hohen
Vollendung, welche die Alten in dieser Kunst erreicht hatten, sondern noch vielmehr
in dem Wesen dieser Kunst. Sie hat nur ein Mittel des Ausdrucks, die Form.
-- Diese muß also zur höchsten Vollkommenheit und Schönheit ausgebildet wer¬
de". Mit Recht hält sich daher die Sculptur an den nackten menschlichen Körper,
als den bei weitem schönsten Vorwurf für die Form; oder wo bekleidete Figuren
erfordert werden, bildet sie einfache Gewänder, die im Fluß oder in der Fülle
den Falten augenehme und der Bewegung der Gestalt entsprechende Lineen dar¬
bieten. Bei Porträtstatneu natürlich und allem, was sich ans eine bestimmte
Zeit bezieht, wird das Costüm und Gepräge derselbe" mit Recht verlangt; aber
grade da zeigt sich auch recht klar, wie wenig diese Kunst eigentlich bestimmt ist,
Porträt, Costüm und was dahin gehört, darzustellen; denn bei allem Streben
nach individuellem Leben und naturwahrer Ausführung des Details, welche uns
den Schein des Lebens gewähren, und so einen Ersatz geben soll für den hier
unvermeidlichen Verlust der reinen und vollkommenen Schönheit, erreicht die
Sculptur hierin doch eine nur sehr bedingte Vollkommenheit, da sie eben immer
nur wieder die Form (und zwar eine verhältnißmäßig unschöne) gibt ohne stoff¬
liche'Wirkung derselben in Fleisch, Haaren, Kleidern, Metall u. s. w.; dazu fehlt
ihr Farbe, Licht und Luft, welche sie der Malerei überlassen muß. Wie sehr die
Bildhauer selbst diese Schwierigkeit bei Costümfiguren einsehen, bekunden sie aufs
entschiedenste, da sie theils bei anliegendem Costüm die Form des Körpers gern
so viel wie möglich durchwalteu lassen, theils zu weiten Mänteln ihre Zuflucht
nehmen, die gar zu unschönes verdecken und zugleich durch große wvhlvertheilte
Faltenmassen wenigstens in etwas der Schönheit der Form genügen. Meines Be-
dünkens gehört auch wirklich nicht viel Scharfblick dazu, um zu bemerken, daß
die unbekleidete männliche Brust, Arme und Rücken schöner in der Form sind,
als ein Osfizierfrack mit Epauletten und Knöpfen, das nackte Bein schönere, reinere


sie auf unsere Zeit wirken. Das ist im allgemeinen ganz richtig. — Nur ver¬
gessen, die so räsvnnircn, daß wir bei unserer ganzen Erziehung und Bildung nud
in allen Lebensverhältnissen vou so vielem nicht aus unserer Zeit nnmittcll'ar Ent¬
sprungenen influirt werden,,daß unsere Vorstellungen, unser Denken und Empfin¬
den zum großen Theil darauf basirt; so daß jeues Traditionelle recht eigentlich
mit zu unserer Zeit gehört, und wir uns nur reflectirend bewußt werden, daß es
nicht unmittelbar aus ihr hervorgegangen ist. Ist dies schon in allen Verhält¬
nissen der Fall, so in besonders hohem Grade bei der Kunst, welche die einmal
erkannte und geltende Wahrheit festhält, als Norm und leitende Regel für alle
Zeiten, nur, wo es Noth thut, modificirend und weiter entwickelnd. — Weit ent¬
fernt also, daß Knnstproductivueu, die alles Traditionelle aufgebe», dadurch mehr
auf ihre Zeit wirken, werden sie im Gegentheile den richtigen Eindruck verfehlen.

In keiner Kunst hat das Traditionelle (und zwar das der Antike) sich fester
und reiner erhalten, als in der Sculptur. Das liegt nicht allein in der hohen
Vollendung, welche die Alten in dieser Kunst erreicht hatten, sondern noch vielmehr
in dem Wesen dieser Kunst. Sie hat nur ein Mittel des Ausdrucks, die Form.
— Diese muß also zur höchsten Vollkommenheit und Schönheit ausgebildet wer¬
de». Mit Recht hält sich daher die Sculptur an den nackten menschlichen Körper,
als den bei weitem schönsten Vorwurf für die Form; oder wo bekleidete Figuren
erfordert werden, bildet sie einfache Gewänder, die im Fluß oder in der Fülle
den Falten augenehme und der Bewegung der Gestalt entsprechende Lineen dar¬
bieten. Bei Porträtstatneu natürlich und allem, was sich ans eine bestimmte
Zeit bezieht, wird das Costüm und Gepräge derselbe« mit Recht verlangt; aber
grade da zeigt sich auch recht klar, wie wenig diese Kunst eigentlich bestimmt ist,
Porträt, Costüm und was dahin gehört, darzustellen; denn bei allem Streben
nach individuellem Leben und naturwahrer Ausführung des Details, welche uns
den Schein des Lebens gewähren, und so einen Ersatz geben soll für den hier
unvermeidlichen Verlust der reinen und vollkommenen Schönheit, erreicht die
Sculptur hierin doch eine nur sehr bedingte Vollkommenheit, da sie eben immer
nur wieder die Form (und zwar eine verhältnißmäßig unschöne) gibt ohne stoff¬
liche'Wirkung derselben in Fleisch, Haaren, Kleidern, Metall u. s. w.; dazu fehlt
ihr Farbe, Licht und Luft, welche sie der Malerei überlassen muß. Wie sehr die
Bildhauer selbst diese Schwierigkeit bei Costümfiguren einsehen, bekunden sie aufs
entschiedenste, da sie theils bei anliegendem Costüm die Form des Körpers gern
so viel wie möglich durchwalteu lassen, theils zu weiten Mänteln ihre Zuflucht
nehmen, die gar zu unschönes verdecken und zugleich durch große wvhlvertheilte
Faltenmassen wenigstens in etwas der Schönheit der Form genügen. Meines Be-
dünkens gehört auch wirklich nicht viel Scharfblick dazu, um zu bemerken, daß
die unbekleidete männliche Brust, Arme und Rücken schöner in der Form sind,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/252>, abgerufen am 22.07.2024.