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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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schalten seiner Diplomatie gegen jeden Versuch des nationalen Unternehmungs¬
geistes. Was aber in Deutschland glücklich zu verhindern war, dazu hatte man
in der Schweiz keine Zeit. Die Bundesverfassung vom 12. Sept. -I8i8 wuchs
in die Cantone sest und eine kluge Politik ihrer Leiter und Vollzieher baute zuerst
die materiellen Grundlagen einheitlicher Gemeinsamkeit fest, ehe sie in dem Aus¬
bau principieller Einzelnheiten vorschritt. So lang dieser Bau nicht vollkommen
geschlossen sei -- meinte die gegnerische Politik -- liege noch kein unumstößliches
kalt accompli vor. ?as trop ü"z M<z, war allerdings Metternichs kluge War¬
nung in solchen Fällen. Aber man hatte auch nicht daran geglaubt, daß das
Volksleben sich so rasch der neuen Schöpfung bemächtigen und sich darin schneller
einheimeln würde, als selbst der kühnste Optimist gehofft hatte. Daß dies kalt,
aeoompU entstand, war das andere Verbrechen der Schweiz und wurde ihr dann
besonders zum Verbrechen angerechnet, als zur östreichischen Drohung: die Ver¬
fassung von 4 848 sei von den Großmächten nicht garantirt, ihre Nichtanerken¬
nung resp. Wiederaufhebung verstehe sich demnach von selbst -- weder England
noch Frankreich, noch selbst Preußen Chorus machten.

Es ist natürlich, daß heute, da die specifisch schöpferische Periode des neuen
Bundes vorüber ist, die großen Mengen des Volkes nicht mehr mit dem ersten
Feuereifer an dem Werke mitarbeiten. Auch die glühendste Liebe wird allmälig
zur ruhigern Freundschaft, welche vom nationalen Interesse aus das locale zurück¬
blickt. Dieser Moment schien nun zu neuen Angriffen der günstigste. Da trat
plötzlich der eherne Fuß der orientalischen Weltfrage abermals verwirrend in die
scinangelegten Fäden. Oestreich allein blieb consequent in Bereitung äußerer
Schwierigkeiten, während in das innere Entwickelungsleben wenigstens nicht offen
hineiugcstört werden konnte, denn die übrigen Großmächte würden es keineswegs
ruhig ansehen können, falls Oestreich einseitig mit diplomatischen oder gar mili¬
tärischen Operationen vorschritte.

In diesem Januar kam die legislative Staatsgewalt von neuem zu¬
sammen. Möglich' ist. es, daß sie auch diese äußern Fragen bespricht, obgleich nicht
allzu wahrscheinlich. Ihre Hauptaufgabe ist der Entscheid über die Vorlagen der
Bundesregierung. Drei Entwürfe sind es vor allem, welche die allgemeine Auf¬
merksamkeit in Anspruch nehmen. Indem der Bund den Waffenunterricht der
Scharfschützen nicht blos in der Necrutenperiode, sondern während der ganzen
Dienstpflichtzeit übernehmen will, soll die Uniformität der eidgenössischen Wehr¬
kraft in der eigentlich nationalen Waffe zur Vollendung gebracht werden. Schwer¬
lich wird diesem Entwürfe ein erheblicher Widerstand begegnen. Nicht unwahr¬
scheinlich dürfte dagegen der Erfolg in dieser Frage bei der nächsten Sessio"
den beinahe unumgänglichen Vorschlag zur Folge haben, daß eine gleiche
UnterrichtSceutralisatio" auch bei der Linie eingeführt werde. -- Ebensowenig
Widersacher und wol noch wenigere findet sicherlich der Antrag auf eine überall


schalten seiner Diplomatie gegen jeden Versuch des nationalen Unternehmungs¬
geistes. Was aber in Deutschland glücklich zu verhindern war, dazu hatte man
in der Schweiz keine Zeit. Die Bundesverfassung vom 12. Sept. -I8i8 wuchs
in die Cantone sest und eine kluge Politik ihrer Leiter und Vollzieher baute zuerst
die materiellen Grundlagen einheitlicher Gemeinsamkeit fest, ehe sie in dem Aus¬
bau principieller Einzelnheiten vorschritt. So lang dieser Bau nicht vollkommen
geschlossen sei — meinte die gegnerische Politik — liege noch kein unumstößliches
kalt accompli vor. ?as trop ü«z M<z, war allerdings Metternichs kluge War¬
nung in solchen Fällen. Aber man hatte auch nicht daran geglaubt, daß das
Volksleben sich so rasch der neuen Schöpfung bemächtigen und sich darin schneller
einheimeln würde, als selbst der kühnste Optimist gehofft hatte. Daß dies kalt,
aeoompU entstand, war das andere Verbrechen der Schweiz und wurde ihr dann
besonders zum Verbrechen angerechnet, als zur östreichischen Drohung: die Ver¬
fassung von 4 848 sei von den Großmächten nicht garantirt, ihre Nichtanerken¬
nung resp. Wiederaufhebung verstehe sich demnach von selbst — weder England
noch Frankreich, noch selbst Preußen Chorus machten.

Es ist natürlich, daß heute, da die specifisch schöpferische Periode des neuen
Bundes vorüber ist, die großen Mengen des Volkes nicht mehr mit dem ersten
Feuereifer an dem Werke mitarbeiten. Auch die glühendste Liebe wird allmälig
zur ruhigern Freundschaft, welche vom nationalen Interesse aus das locale zurück¬
blickt. Dieser Moment schien nun zu neuen Angriffen der günstigste. Da trat
plötzlich der eherne Fuß der orientalischen Weltfrage abermals verwirrend in die
scinangelegten Fäden. Oestreich allein blieb consequent in Bereitung äußerer
Schwierigkeiten, während in das innere Entwickelungsleben wenigstens nicht offen
hineiugcstört werden konnte, denn die übrigen Großmächte würden es keineswegs
ruhig ansehen können, falls Oestreich einseitig mit diplomatischen oder gar mili¬
tärischen Operationen vorschritte.

In diesem Januar kam die legislative Staatsgewalt von neuem zu¬
sammen. Möglich' ist. es, daß sie auch diese äußern Fragen bespricht, obgleich nicht
allzu wahrscheinlich. Ihre Hauptaufgabe ist der Entscheid über die Vorlagen der
Bundesregierung. Drei Entwürfe sind es vor allem, welche die allgemeine Auf¬
merksamkeit in Anspruch nehmen. Indem der Bund den Waffenunterricht der
Scharfschützen nicht blos in der Necrutenperiode, sondern während der ganzen
Dienstpflichtzeit übernehmen will, soll die Uniformität der eidgenössischen Wehr¬
kraft in der eigentlich nationalen Waffe zur Vollendung gebracht werden. Schwer¬
lich wird diesem Entwürfe ein erheblicher Widerstand begegnen. Nicht unwahr¬
scheinlich dürfte dagegen der Erfolg in dieser Frage bei der nächsten Sessio"
den beinahe unumgänglichen Vorschlag zur Folge haben, daß eine gleiche
UnterrichtSceutralisatio» auch bei der Linie eingeführt werde. — Ebensowenig
Widersacher und wol noch wenigere findet sicherlich der Antrag auf eine überall


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[0226] schalten seiner Diplomatie gegen jeden Versuch des nationalen Unternehmungs¬ geistes. Was aber in Deutschland glücklich zu verhindern war, dazu hatte man in der Schweiz keine Zeit. Die Bundesverfassung vom 12. Sept. -I8i8 wuchs in die Cantone sest und eine kluge Politik ihrer Leiter und Vollzieher baute zuerst die materiellen Grundlagen einheitlicher Gemeinsamkeit fest, ehe sie in dem Aus¬ bau principieller Einzelnheiten vorschritt. So lang dieser Bau nicht vollkommen geschlossen sei — meinte die gegnerische Politik — liege noch kein unumstößliches kalt accompli vor. ?as trop ü«z M<z, war allerdings Metternichs kluge War¬ nung in solchen Fällen. Aber man hatte auch nicht daran geglaubt, daß das Volksleben sich so rasch der neuen Schöpfung bemächtigen und sich darin schneller einheimeln würde, als selbst der kühnste Optimist gehofft hatte. Daß dies kalt, aeoompU entstand, war das andere Verbrechen der Schweiz und wurde ihr dann besonders zum Verbrechen angerechnet, als zur östreichischen Drohung: die Ver¬ fassung von 4 848 sei von den Großmächten nicht garantirt, ihre Nichtanerken¬ nung resp. Wiederaufhebung verstehe sich demnach von selbst — weder England noch Frankreich, noch selbst Preußen Chorus machten. Es ist natürlich, daß heute, da die specifisch schöpferische Periode des neuen Bundes vorüber ist, die großen Mengen des Volkes nicht mehr mit dem ersten Feuereifer an dem Werke mitarbeiten. Auch die glühendste Liebe wird allmälig zur ruhigern Freundschaft, welche vom nationalen Interesse aus das locale zurück¬ blickt. Dieser Moment schien nun zu neuen Angriffen der günstigste. Da trat plötzlich der eherne Fuß der orientalischen Weltfrage abermals verwirrend in die scinangelegten Fäden. Oestreich allein blieb consequent in Bereitung äußerer Schwierigkeiten, während in das innere Entwickelungsleben wenigstens nicht offen hineiugcstört werden konnte, denn die übrigen Großmächte würden es keineswegs ruhig ansehen können, falls Oestreich einseitig mit diplomatischen oder gar mili¬ tärischen Operationen vorschritte. In diesem Januar kam die legislative Staatsgewalt von neuem zu¬ sammen. Möglich' ist. es, daß sie auch diese äußern Fragen bespricht, obgleich nicht allzu wahrscheinlich. Ihre Hauptaufgabe ist der Entscheid über die Vorlagen der Bundesregierung. Drei Entwürfe sind es vor allem, welche die allgemeine Auf¬ merksamkeit in Anspruch nehmen. Indem der Bund den Waffenunterricht der Scharfschützen nicht blos in der Necrutenperiode, sondern während der ganzen Dienstpflichtzeit übernehmen will, soll die Uniformität der eidgenössischen Wehr¬ kraft in der eigentlich nationalen Waffe zur Vollendung gebracht werden. Schwer¬ lich wird diesem Entwürfe ein erheblicher Widerstand begegnen. Nicht unwahr¬ scheinlich dürfte dagegen der Erfolg in dieser Frage bei der nächsten Sessio" den beinahe unumgänglichen Vorschlag zur Folge haben, daß eine gleiche UnterrichtSceutralisatio» auch bei der Linie eingeführt werde. — Ebensowenig Widersacher und wol noch wenigere findet sicherlich der Antrag auf eine überall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/226>, abgerufen am 22.07.2024.