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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Vaterland angreifen zu müssen. Keine Partei denkt daran, oder will es wissen,
daß ein Nachgeben gegen Oestreich der Anfang des Endes der Schweiz wäre
oder doch ein Parallclstück zum zerrüttende" Jammer der orientalischen Frage.

So Hort man allerdings nur klagende Stimmen gegen die Bundespolitik,
welche die Augsb. Allgemeine und andere östreichische Blätter sorgfältig sammeln,
um der pentarchischen Welt den innern Zerfall der Schweiz, die Nothwendigkeit
einer "paciscirenden Intervention" mit kläglich gefalteten Händen aä oeuw"
zu demonstriren. Viäs dieselbe Politik contr-i Osmanisches Reich.

Natürlich wird auch für die Schweiz der Grundsatz nicht in Anwendung
gebracht, daß die großen Masse" schweigen, je lauter die Minderheiten schreien.
Es wäre ja bann der wohlgefällige Schlußresrain nicht anzubringen: IlelveUam
esse äÄsnäüm. Und wie wir heute sehen, daß jene, Politik mit frecher Scham¬
losigkeit Rußlands Gewaltschritte lobpreist und die klerikalen Attentate gegen
den Bestand der deutschen Staaten beifällig begrüßt, ohne der kläglichen Folgen
zu gedenken, die ihr selber mit einem Siege ihrer Banner zu Theil werden würden,
so achtet sie es in ihrem verblendeten Haß gegen die Selbständigkeit der Schweiz
gering, daß deren Mediatisirung durch den Südosten sofort Frankreichs ener¬
gischen Gegenkampf hervorrufen und den europäischen Krieg als Kampf aller
gegen alle entflammen müßte. Wäre damit eine Entscheidung abzusehen, nun
wohl, dann hätte solche Politik doch noch eine" Sir"; wenn anch keinen bessern,
als die rothe Demokratie, welche zuerst alles niederreißen will, um daun mit den
Steinen des Chaos zu bauen. Aber der endliche Friede müßte nothwendig von
entscheidungsloser Erschöpfung herbeigeführt werden. Und wer zöge den Vortheil?
Nicht die politischen Mächte, noch weniger ein politisches Princip, sondern jene
staatsfeindliche Gewalt, die vou Italien herauf die Schweiz mit ihren Netzen
überspinnt, um Westdeutschland, Westeuropa feindselig zu überziehen, während der
vstkatholische Slawiömus unter Rußlands Auspicien zur furchtbaren Macht Mittel¬
europas vom Osten her würde.

Was ist das Verbrechen der Schweiz? Daß sie sich 1848 nicht in zerrüt¬
tenden Bruderkämpfen entnervte, daß sie sich nicht im Treiben.des Radicalismus
verlor, daß selbst die, bedenkliche Uebung des politischen Gastrechts ihrem innern
Marke jenen Giftstoff nicht von neuem einimpfte, der sie seit 1816 zum willenlosen
Prügelknaben pentarchischer Rivalitätskampfe abgeschwächt hatte. Man vergibt es
ihr nicht, daß sie den Weg fand, das zu werden, was ihr die europäischen Tractate
zugestanden hatten: ein selbstständiger Bundesstaat. Sie sollte ein Staatenbund
bleiben, jeder Einmischung offen, jedem fremden Interesse verfügbar. Deutschland
weiß es ja am genausten, welche Feindschaft der Vorsatz stark zu werden bringt;
Preußen hat dnrch alle Bußen noch heut den stillen Argwohn und die geheime Feind¬
seligkeit der Cabinete nicht gesühnt, weil noch immer zu besorgen steht, daß die Natur-
nothwendigkeit in ihm sich endlich doch noch stärker erweisen werde als die Bürg-


Grenzboten. I. 1864. 28

Vaterland angreifen zu müssen. Keine Partei denkt daran, oder will es wissen,
daß ein Nachgeben gegen Oestreich der Anfang des Endes der Schweiz wäre
oder doch ein Parallclstück zum zerrüttende» Jammer der orientalischen Frage.

So Hort man allerdings nur klagende Stimmen gegen die Bundespolitik,
welche die Augsb. Allgemeine und andere östreichische Blätter sorgfältig sammeln,
um der pentarchischen Welt den innern Zerfall der Schweiz, die Nothwendigkeit
einer „paciscirenden Intervention" mit kläglich gefalteten Händen aä oeuw«
zu demonstriren. Viäs dieselbe Politik contr-i Osmanisches Reich.

Natürlich wird auch für die Schweiz der Grundsatz nicht in Anwendung
gebracht, daß die großen Masse« schweigen, je lauter die Minderheiten schreien.
Es wäre ja bann der wohlgefällige Schlußresrain nicht anzubringen: IlelveUam
esse äÄsnäüm. Und wie wir heute sehen, daß jene, Politik mit frecher Scham¬
losigkeit Rußlands Gewaltschritte lobpreist und die klerikalen Attentate gegen
den Bestand der deutschen Staaten beifällig begrüßt, ohne der kläglichen Folgen
zu gedenken, die ihr selber mit einem Siege ihrer Banner zu Theil werden würden,
so achtet sie es in ihrem verblendeten Haß gegen die Selbständigkeit der Schweiz
gering, daß deren Mediatisirung durch den Südosten sofort Frankreichs ener¬
gischen Gegenkampf hervorrufen und den europäischen Krieg als Kampf aller
gegen alle entflammen müßte. Wäre damit eine Entscheidung abzusehen, nun
wohl, dann hätte solche Politik doch noch eine» Sir»; wenn anch keinen bessern,
als die rothe Demokratie, welche zuerst alles niederreißen will, um daun mit den
Steinen des Chaos zu bauen. Aber der endliche Friede müßte nothwendig von
entscheidungsloser Erschöpfung herbeigeführt werden. Und wer zöge den Vortheil?
Nicht die politischen Mächte, noch weniger ein politisches Princip, sondern jene
staatsfeindliche Gewalt, die vou Italien herauf die Schweiz mit ihren Netzen
überspinnt, um Westdeutschland, Westeuropa feindselig zu überziehen, während der
vstkatholische Slawiömus unter Rußlands Auspicien zur furchtbaren Macht Mittel¬
europas vom Osten her würde.

Was ist das Verbrechen der Schweiz? Daß sie sich 1848 nicht in zerrüt¬
tenden Bruderkämpfen entnervte, daß sie sich nicht im Treiben.des Radicalismus
verlor, daß selbst die, bedenkliche Uebung des politischen Gastrechts ihrem innern
Marke jenen Giftstoff nicht von neuem einimpfte, der sie seit 1816 zum willenlosen
Prügelknaben pentarchischer Rivalitätskampfe abgeschwächt hatte. Man vergibt es
ihr nicht, daß sie den Weg fand, das zu werden, was ihr die europäischen Tractate
zugestanden hatten: ein selbstständiger Bundesstaat. Sie sollte ein Staatenbund
bleiben, jeder Einmischung offen, jedem fremden Interesse verfügbar. Deutschland
weiß es ja am genausten, welche Feindschaft der Vorsatz stark zu werden bringt;
Preußen hat dnrch alle Bußen noch heut den stillen Argwohn und die geheime Feind¬
seligkeit der Cabinete nicht gesühnt, weil noch immer zu besorgen steht, daß die Natur-
nothwendigkeit in ihm sich endlich doch noch stärker erweisen werde als die Bürg-


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[0225] Vaterland angreifen zu müssen. Keine Partei denkt daran, oder will es wissen, daß ein Nachgeben gegen Oestreich der Anfang des Endes der Schweiz wäre oder doch ein Parallclstück zum zerrüttende» Jammer der orientalischen Frage. So Hort man allerdings nur klagende Stimmen gegen die Bundespolitik, welche die Augsb. Allgemeine und andere östreichische Blätter sorgfältig sammeln, um der pentarchischen Welt den innern Zerfall der Schweiz, die Nothwendigkeit einer „paciscirenden Intervention" mit kläglich gefalteten Händen aä oeuw« zu demonstriren. Viäs dieselbe Politik contr-i Osmanisches Reich. Natürlich wird auch für die Schweiz der Grundsatz nicht in Anwendung gebracht, daß die großen Masse« schweigen, je lauter die Minderheiten schreien. Es wäre ja bann der wohlgefällige Schlußresrain nicht anzubringen: IlelveUam esse äÄsnäüm. Und wie wir heute sehen, daß jene, Politik mit frecher Scham¬ losigkeit Rußlands Gewaltschritte lobpreist und die klerikalen Attentate gegen den Bestand der deutschen Staaten beifällig begrüßt, ohne der kläglichen Folgen zu gedenken, die ihr selber mit einem Siege ihrer Banner zu Theil werden würden, so achtet sie es in ihrem verblendeten Haß gegen die Selbständigkeit der Schweiz gering, daß deren Mediatisirung durch den Südosten sofort Frankreichs ener¬ gischen Gegenkampf hervorrufen und den europäischen Krieg als Kampf aller gegen alle entflammen müßte. Wäre damit eine Entscheidung abzusehen, nun wohl, dann hätte solche Politik doch noch eine» Sir»; wenn anch keinen bessern, als die rothe Demokratie, welche zuerst alles niederreißen will, um daun mit den Steinen des Chaos zu bauen. Aber der endliche Friede müßte nothwendig von entscheidungsloser Erschöpfung herbeigeführt werden. Und wer zöge den Vortheil? Nicht die politischen Mächte, noch weniger ein politisches Princip, sondern jene staatsfeindliche Gewalt, die vou Italien herauf die Schweiz mit ihren Netzen überspinnt, um Westdeutschland, Westeuropa feindselig zu überziehen, während der vstkatholische Slawiömus unter Rußlands Auspicien zur furchtbaren Macht Mittel¬ europas vom Osten her würde. Was ist das Verbrechen der Schweiz? Daß sie sich 1848 nicht in zerrüt¬ tenden Bruderkämpfen entnervte, daß sie sich nicht im Treiben.des Radicalismus verlor, daß selbst die, bedenkliche Uebung des politischen Gastrechts ihrem innern Marke jenen Giftstoff nicht von neuem einimpfte, der sie seit 1816 zum willenlosen Prügelknaben pentarchischer Rivalitätskampfe abgeschwächt hatte. Man vergibt es ihr nicht, daß sie den Weg fand, das zu werden, was ihr die europäischen Tractate zugestanden hatten: ein selbstständiger Bundesstaat. Sie sollte ein Staatenbund bleiben, jeder Einmischung offen, jedem fremden Interesse verfügbar. Deutschland weiß es ja am genausten, welche Feindschaft der Vorsatz stark zu werden bringt; Preußen hat dnrch alle Bußen noch heut den stillen Argwohn und die geheime Feind¬ seligkeit der Cabinete nicht gesühnt, weil noch immer zu besorgen steht, daß die Natur- nothwendigkeit in ihm sich endlich doch noch stärker erweisen werde als die Bürg- Grenzboten. I. 1864. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/225>, abgerufen am 23.07.2024.