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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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kann. Und jener theokratische Universalstaat, den sie als Centralsonne ihres
ganzen Systems erglänzen laßt -- was'ist e", anders, als eine Despotie alles
Lebens, gegen welche selbst die Republik Francias, das alte Chinescnthum, die alt¬
asiatischen Tyranneien und das japanesische Reich wie Paradiese freier Mensch¬
lichkeit dastehen. Während ihr Princip das Volk verachtet, muß es nothwendig
jede monarchistische Staatsgewalt und am meisten diejenige bis zum Kampf aufs
Messer befehden, die auf historischer Grundlage im conservativen Princip ihr Le¬
benselement findet. Eines der Mittel und Instrumente zum Kampfe gegen eine
organische Festigung des buudesgcuössischeu StaatSbcstaudeS schien die ultramon-
tane Partei in den östreichischen Forderungen an die Schweiz zu finden. Indessen
ging sie in deren Unterstützung zu froh und frohlockend voran, machte die östrei¬
chische Sache so sehr zur ihrigen, daß auch bei den besten schweizer Katholiken
der politische Verdacht gegen laudeSverrätherische Parteigängers nicht ausblieb,
nud deu Klerikern neue Einbuße an moralischen: Einflüsse bereitete. Oestreich
selbst hat sich überdies mit seinen Maßnahmen gegen Tessin verrechnet. Es ist
bekannt, daß dieser Canton nie sehr eidgenössisch gesinnt und es vielleicht zumeist
darum nicht war, weil er seines Lebens Unterhalt zumeist in der Lombardei, im
Venetianischen und noch tiefer hinunter bis inS Römische, also außerhalb der po¬
litischen Heimat gewinnt. Oestreich internirte nun die Ticinesen, um sie durch
Hunger zu zwingen, ein minder bundessrenudlicheS Regiment bei sich einzusetzen,
als es trotzdem die letzten Jahre gebracht hatten. Die Blätter der schweizer Ul¬
tramontanen riefen schadenfroh: wählt eure Regierung in einem Oestreich gefälligen
Sinne und ihr habt deu alten Erwerb, habt keine Noth mehr. Anstatt princi¬
pieller Deklarationen sendeten dagegen die' bnndesgetreuen Cantone mit großen
Opfern und eiserner Konsequenz den Ticinesen Unterstützungen in ihrer materiellen
Noth, deren Milderung die bestürzte, von allen Seiten bedrängte Cantonöre-
gieruug nicht mit energischen Mitteln betrieb. Der Bundesrath gewann dadurch
Zeit und Gelegenheit zu seiner temporisirenden und zähen Politik, die Oestreichs
Zähigkeit die Spitze bietet und am Ende doch vielleicht diese überflügelt, da zwar
in Tessin die Noth groß, aber in der nördlichen Lombardei noch viel großer ist.
Oestreich hatte in seinem Calcül vergessen, daß die Arbeiter und die Zufuhren
aus dem Tessin seinen'Provinzen eine Lebensnothwendigkeit sind.

Ein so ereignisloser Kampf gegenseitigen Anshungerns hat auf derjenigen
Seite freilich keine bewundernden Ionrnalruse zu erwarten, wo die öffentliche
Presse nicht bureaukratisch dictirt wird. Die Ultramontanen beschuldigen die
Bundesregierung, sie lasse das Volk verhungern; die Radicalen drängen zu
"energischem Handeln", obgleich sie ebensowenig eine Vorstellung davon haben,
was zu thun sei, wie die weiland deutscheu Demokraten; die Konservativen, d. i. die
Männer des patrizischen Cantvnlitranmes, wünschen zum großen Theil vasalleuhafte
Zuvorkommenheit gegen Oestreichs Dictate, um ihre Säckel nicht für das allgemeine


kann. Und jener theokratische Universalstaat, den sie als Centralsonne ihres
ganzen Systems erglänzen laßt — was'ist e«, anders, als eine Despotie alles
Lebens, gegen welche selbst die Republik Francias, das alte Chinescnthum, die alt¬
asiatischen Tyranneien und das japanesische Reich wie Paradiese freier Mensch¬
lichkeit dastehen. Während ihr Princip das Volk verachtet, muß es nothwendig
jede monarchistische Staatsgewalt und am meisten diejenige bis zum Kampf aufs
Messer befehden, die auf historischer Grundlage im conservativen Princip ihr Le¬
benselement findet. Eines der Mittel und Instrumente zum Kampfe gegen eine
organische Festigung des buudesgcuössischeu StaatSbcstaudeS schien die ultramon-
tane Partei in den östreichischen Forderungen an die Schweiz zu finden. Indessen
ging sie in deren Unterstützung zu froh und frohlockend voran, machte die östrei¬
chische Sache so sehr zur ihrigen, daß auch bei den besten schweizer Katholiken
der politische Verdacht gegen laudeSverrätherische Parteigängers nicht ausblieb,
nud deu Klerikern neue Einbuße an moralischen: Einflüsse bereitete. Oestreich
selbst hat sich überdies mit seinen Maßnahmen gegen Tessin verrechnet. Es ist
bekannt, daß dieser Canton nie sehr eidgenössisch gesinnt und es vielleicht zumeist
darum nicht war, weil er seines Lebens Unterhalt zumeist in der Lombardei, im
Venetianischen und noch tiefer hinunter bis inS Römische, also außerhalb der po¬
litischen Heimat gewinnt. Oestreich internirte nun die Ticinesen, um sie durch
Hunger zu zwingen, ein minder bundessrenudlicheS Regiment bei sich einzusetzen,
als es trotzdem die letzten Jahre gebracht hatten. Die Blätter der schweizer Ul¬
tramontanen riefen schadenfroh: wählt eure Regierung in einem Oestreich gefälligen
Sinne und ihr habt deu alten Erwerb, habt keine Noth mehr. Anstatt princi¬
pieller Deklarationen sendeten dagegen die' bnndesgetreuen Cantone mit großen
Opfern und eiserner Konsequenz den Ticinesen Unterstützungen in ihrer materiellen
Noth, deren Milderung die bestürzte, von allen Seiten bedrängte Cantonöre-
gieruug nicht mit energischen Mitteln betrieb. Der Bundesrath gewann dadurch
Zeit und Gelegenheit zu seiner temporisirenden und zähen Politik, die Oestreichs
Zähigkeit die Spitze bietet und am Ende doch vielleicht diese überflügelt, da zwar
in Tessin die Noth groß, aber in der nördlichen Lombardei noch viel großer ist.
Oestreich hatte in seinem Calcül vergessen, daß die Arbeiter und die Zufuhren
aus dem Tessin seinen'Provinzen eine Lebensnothwendigkeit sind.

Ein so ereignisloser Kampf gegenseitigen Anshungerns hat auf derjenigen
Seite freilich keine bewundernden Ionrnalruse zu erwarten, wo die öffentliche
Presse nicht bureaukratisch dictirt wird. Die Ultramontanen beschuldigen die
Bundesregierung, sie lasse das Volk verhungern; die Radicalen drängen zu
„energischem Handeln", obgleich sie ebensowenig eine Vorstellung davon haben,
was zu thun sei, wie die weiland deutscheu Demokraten; die Konservativen, d. i. die
Männer des patrizischen Cantvnlitranmes, wünschen zum großen Theil vasalleuhafte
Zuvorkommenheit gegen Oestreichs Dictate, um ihre Säckel nicht für das allgemeine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/224>, abgerufen am 03.07.2024.