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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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selbst wenn sie geschickt und geistreich ausgeführt werden, was man hier meistens
wahrhaftig nicht sagen kann.

Man sieht, diese Charakteristik ist ganz in demselben Sinn decorativ, wie
die Sage und die Sprache behandelt worden ist. So werden auch Heerbann
und Gottesgericht in allem einzelnen Detail pedantisch ausgeführt und ausgemalt,
was aber sowenig zu einer lebhaften Anschauung verhilft, als wenn Pallas,
Kemenate und andere mittelalterliche Ausdrücke angewandt werden. Denn nicht das
Poetische wird hier dargestellt, sondern immer nur das Beiwerk des Costums und
sogar diese ausführlichen musikalischen Schilderungen erinnern an die schlechten
Ritterromane mit ihren langweiligen Beschreibungen. Man nehme den Zweikampf.
Unwillkürlich denkt man an den Zweikampf im Don Juan; wie einfach ist dort
durch das Nächstliegende Motiv der Imitation in Geige und Baß eine leichte,
vollkommen genügende Andeutung gegeben. Hier kämpfen die beiden Gegner anch
kanonisch im Orchester, aber wie mählig elephantenkälberhaft treten sie mit Po¬
saunen, Tuba, Fagott, Hörnern und Trompeten gerüstet auf; dazu ein furioses
Motiv in den Geigen und Accorde der übrigen Blasinstrumente -- gegen diese
unerhörte Kraftanstrengung im Orchester kann die auf der Bühne nur ein Kinder¬
spiel sein. Vielleicht muß man, "in in der Illusion zu bleiben, hier nur mit
halbem Auge sehen, um besser hören zu könnten.

Ganz anderer Art ist die schon berührte Scene im zweiten Act, wo der
Morgen dämmert. Es ist eine poetische Reminiscenz, daß man sich in der
frischen Morgenfrühe, wenn die Thürmer von ihren, vom ersten Sonnenstrahl
getroffenen Zinnen grüßend zublasen, eigenthümlich angeregt fühlt; aber es ist
ein Mißverständniß, wenn man glaubt, diese Stimmung dadurch reproduciren
zu können, daß man auf der Bühne von Thurm herab ein triviales Trompeterstück
blasen läßt, wie es in Wirklichkeit geblasen werden mag. Denn die poetische
Stimmung beruhte auf einem Zusammenwirken der verschiedenartigsten Umstände,
von denen auf der Bühne nichts bleibt, als die Trompeten und die Trivialität.
In dergleichen Zügen verräth sich der Dilettant, der allenfalls eine poetische
Stimmung beobachten kann, aber sie nicht durch seiue Darstellung wieder hervor¬
zurufen vermag. Nein decorativ ist die dann folgende Musik, welche das Wesen und
Treiben im Burghof, Wasserholen (als wenn uns die Reinlichkeit der Brabanter
etwas anginge!) u. tgi. schildert, was rein unmusikalisch ist, weshalb wir auch
den Rath erhalten haben, nicht hinzuhören. Nachdem wir aus der Scylla des
endlose" 0 aur in die Charybdis der 6 Trompeten gefallen sind, geht wieder
die Musik zu einer stummen Scene an: die Edlen und Stadtbewohner versammeln
sich -- es ist als ob man in einen Guckkasten sähe. Diese scenischen Arrangements,
welche vielleicht auf sehr großen Buhnen eine Art von realistischer Illusion
hervorbringen können, obgleich sie die Phantasie eines gebildeten Menschen sowenig
als den Empirismus eines ungebildeten ganz zu befriedigen vermögen, haben für


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selbst wenn sie geschickt und geistreich ausgeführt werden, was man hier meistens
wahrhaftig nicht sagen kann.

Man sieht, diese Charakteristik ist ganz in demselben Sinn decorativ, wie
die Sage und die Sprache behandelt worden ist. So werden auch Heerbann
und Gottesgericht in allem einzelnen Detail pedantisch ausgeführt und ausgemalt,
was aber sowenig zu einer lebhaften Anschauung verhilft, als wenn Pallas,
Kemenate und andere mittelalterliche Ausdrücke angewandt werden. Denn nicht das
Poetische wird hier dargestellt, sondern immer nur das Beiwerk des Costums und
sogar diese ausführlichen musikalischen Schilderungen erinnern an die schlechten
Ritterromane mit ihren langweiligen Beschreibungen. Man nehme den Zweikampf.
Unwillkürlich denkt man an den Zweikampf im Don Juan; wie einfach ist dort
durch das Nächstliegende Motiv der Imitation in Geige und Baß eine leichte,
vollkommen genügende Andeutung gegeben. Hier kämpfen die beiden Gegner anch
kanonisch im Orchester, aber wie mählig elephantenkälberhaft treten sie mit Po¬
saunen, Tuba, Fagott, Hörnern und Trompeten gerüstet auf; dazu ein furioses
Motiv in den Geigen und Accorde der übrigen Blasinstrumente — gegen diese
unerhörte Kraftanstrengung im Orchester kann die auf der Bühne nur ein Kinder¬
spiel sein. Vielleicht muß man, »in in der Illusion zu bleiben, hier nur mit
halbem Auge sehen, um besser hören zu könnten.

Ganz anderer Art ist die schon berührte Scene im zweiten Act, wo der
Morgen dämmert. Es ist eine poetische Reminiscenz, daß man sich in der
frischen Morgenfrühe, wenn die Thürmer von ihren, vom ersten Sonnenstrahl
getroffenen Zinnen grüßend zublasen, eigenthümlich angeregt fühlt; aber es ist
ein Mißverständniß, wenn man glaubt, diese Stimmung dadurch reproduciren
zu können, daß man auf der Bühne von Thurm herab ein triviales Trompeterstück
blasen läßt, wie es in Wirklichkeit geblasen werden mag. Denn die poetische
Stimmung beruhte auf einem Zusammenwirken der verschiedenartigsten Umstände,
von denen auf der Bühne nichts bleibt, als die Trompeten und die Trivialität.
In dergleichen Zügen verräth sich der Dilettant, der allenfalls eine poetische
Stimmung beobachten kann, aber sie nicht durch seiue Darstellung wieder hervor¬
zurufen vermag. Nein decorativ ist die dann folgende Musik, welche das Wesen und
Treiben im Burghof, Wasserholen (als wenn uns die Reinlichkeit der Brabanter
etwas anginge!) u. tgi. schildert, was rein unmusikalisch ist, weshalb wir auch
den Rath erhalten haben, nicht hinzuhören. Nachdem wir aus der Scylla des
endlose» 0 aur in die Charybdis der 6 Trompeten gefallen sind, geht wieder
die Musik zu einer stummen Scene an: die Edlen und Stadtbewohner versammeln
sich — es ist als ob man in einen Guckkasten sähe. Diese scenischen Arrangements,
welche vielleicht auf sehr großen Buhnen eine Art von realistischer Illusion
hervorbringen können, obgleich sie die Phantasie eines gebildeten Menschen sowenig
als den Empirismus eines ungebildeten ganz zu befriedigen vermögen, haben für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/145>, abgerufen am 25.08.2024.