Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Einleitung ist zugleich charakteristisch für Wagners polyphonische Schreib¬
art. Er beschäftigt gern viele Stimmen zugleich, allein ohne die einzelnen in dem
Sinne selbstständig zu führe", wie diese Bezeichnung sonst in der Composition gil¬
tig ist, vielmehr aus dem Bedürfniß, in jedem Augenblick Stimmen zur Verfügung
zu haben. Nach augenblicklicher Lust und Laune, wenn ihm ein Einfall kommt,
läßt er eine Stimme für sich gehen, aber ohne bestimmte Konsequenz, und mau
wird nicht leicht sagen können, wievielstimmig ein Satz sei. Mit den Chören ist
es ebenso. Gewöhnlich gebraucht er 8 Männerstimmen, allein die Mäunerchöre
sind weit entfernt achtstimmig zu sein, auch in den Chören des zweiten Acts
uicht, welche mehr eine bestimmte Form haben und zum Theil sogar einen Anlauf
zu imitatorischer Schreibart nehmen. Hier, wo es am leichtesten zu beobachten ist,
ist. die Imitation fast immer nur zweistimmig und die übrigen Stimmen sind mei¬
stens nur Füll-, oft nur Flickstimmen, die hier und da eine" melodischen Gang
haben, aber nicht selbstständig werden. Ebensowenig kann man dies von den Chor¬
sätzen sagen, in denen, um ein lebendiges Bild einer bewegten Masse zu geben,
viele Stimmen angewandt und eine Phrase in kleinen Partikeln uuter sie ver¬
theilt wird. Kurz überall ist diese Polyphonie nicht die Folge des Reichthums
an Ideen und der Geschicklichkeit in cousequenter Bearbeitung und künstlerischer
Darstellung, sondern wiederum nur eine Verschwendung der äußeren Mittel, und
verschwenden kann auch die Armuth.

Kehren wir zu der rein instrumentalen Charakteristik zurück, so finden wir
hier wiederum dieselbe äußerliche Decorationsarbeit, wie wir sie nach anderen
Richtungen sahen. Es fehlt nicht viel, daß die Stereotypie der Motive auch hier
in einer Stereotypie der Jnstrumentation sich wiederholte. Gewisse Instrumente
haben fast schon eine sichere Bedeutung, z. B. Posaunen, Hörner und Trompeten
bedeuten, königliche Würde, tiefe Clarinettöne tückische Bosheit; wo an Krieg,
Kampf, Ritter erinnert wird, kommen irgendwie Trompeten zum Vorschein, ge¬
wisse Jnstrumentalcombinationen charakterisiren Elsa, Lohengrin u. s. w. Es ist,
als sollten wir zu der Kunststufe zurückkehren, wo die Maler ihren Personen
Zettel beschrieben und sich der Farben bedienten, um verschiedene Personen zu
charakterisiren. Das Fabelhasteste in dieser Art von Charakteristik sind die vier
Trompeten, welche, den König begleiten, und so oft er kommt und handelt, oder
in seinem Namen der Heerrufer, eine und dieselbe Fanfare blasen. Und zwar
blasen sie immer in Oclur; so oft diese vier Rothröcke kommen, weiß man sicher,
daß es nach Lclur geht, in die allerentlegensten Tonarten fallen sie, wie ein un¬
erbittliches Fatum, mitunter haben sie schon angesetzt, und wir sind noch weit von
Ockur, da geht es denn auch curios zu bis man hineinkommt. Noch dazu ist
dies prädestinirte O nur nur eine Caprice, deun Wagner gebraucht sonst Ventil-
trompeten. Dergleichen Uebungen schnell aus allen möglichen Tonarten nach
e"or zu moduliren, gilt immer für einen mäßigen Spaß in ernsthafter Musik,


Diese Einleitung ist zugleich charakteristisch für Wagners polyphonische Schreib¬
art. Er beschäftigt gern viele Stimmen zugleich, allein ohne die einzelnen in dem
Sinne selbstständig zu führe«, wie diese Bezeichnung sonst in der Composition gil¬
tig ist, vielmehr aus dem Bedürfniß, in jedem Augenblick Stimmen zur Verfügung
zu haben. Nach augenblicklicher Lust und Laune, wenn ihm ein Einfall kommt,
läßt er eine Stimme für sich gehen, aber ohne bestimmte Konsequenz, und mau
wird nicht leicht sagen können, wievielstimmig ein Satz sei. Mit den Chören ist
es ebenso. Gewöhnlich gebraucht er 8 Männerstimmen, allein die Mäunerchöre
sind weit entfernt achtstimmig zu sein, auch in den Chören des zweiten Acts
uicht, welche mehr eine bestimmte Form haben und zum Theil sogar einen Anlauf
zu imitatorischer Schreibart nehmen. Hier, wo es am leichtesten zu beobachten ist,
ist. die Imitation fast immer nur zweistimmig und die übrigen Stimmen sind mei¬
stens nur Füll-, oft nur Flickstimmen, die hier und da eine» melodischen Gang
haben, aber nicht selbstständig werden. Ebensowenig kann man dies von den Chor¬
sätzen sagen, in denen, um ein lebendiges Bild einer bewegten Masse zu geben,
viele Stimmen angewandt und eine Phrase in kleinen Partikeln uuter sie ver¬
theilt wird. Kurz überall ist diese Polyphonie nicht die Folge des Reichthums
an Ideen und der Geschicklichkeit in cousequenter Bearbeitung und künstlerischer
Darstellung, sondern wiederum nur eine Verschwendung der äußeren Mittel, und
verschwenden kann auch die Armuth.

Kehren wir zu der rein instrumentalen Charakteristik zurück, so finden wir
hier wiederum dieselbe äußerliche Decorationsarbeit, wie wir sie nach anderen
Richtungen sahen. Es fehlt nicht viel, daß die Stereotypie der Motive auch hier
in einer Stereotypie der Jnstrumentation sich wiederholte. Gewisse Instrumente
haben fast schon eine sichere Bedeutung, z. B. Posaunen, Hörner und Trompeten
bedeuten, königliche Würde, tiefe Clarinettöne tückische Bosheit; wo an Krieg,
Kampf, Ritter erinnert wird, kommen irgendwie Trompeten zum Vorschein, ge¬
wisse Jnstrumentalcombinationen charakterisiren Elsa, Lohengrin u. s. w. Es ist,
als sollten wir zu der Kunststufe zurückkehren, wo die Maler ihren Personen
Zettel beschrieben und sich der Farben bedienten, um verschiedene Personen zu
charakterisiren. Das Fabelhasteste in dieser Art von Charakteristik sind die vier
Trompeten, welche, den König begleiten, und so oft er kommt und handelt, oder
in seinem Namen der Heerrufer, eine und dieselbe Fanfare blasen. Und zwar
blasen sie immer in Oclur; so oft diese vier Rothröcke kommen, weiß man sicher,
daß es nach Lclur geht, in die allerentlegensten Tonarten fallen sie, wie ein un¬
erbittliches Fatum, mitunter haben sie schon angesetzt, und wir sind noch weit von
Ockur, da geht es denn auch curios zu bis man hineinkommt. Noch dazu ist
dies prädestinirte O nur nur eine Caprice, deun Wagner gebraucht sonst Ventil-
trompeten. Dergleichen Uebungen schnell aus allen möglichen Tonarten nach
e«or zu moduliren, gilt immer für einen mäßigen Spaß in ernsthafter Musik,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97390"/>
            <p xml:id="ID_369"> Diese Einleitung ist zugleich charakteristisch für Wagners polyphonische Schreib¬<lb/>
art. Er beschäftigt gern viele Stimmen zugleich, allein ohne die einzelnen in dem<lb/>
Sinne selbstständig zu führe«, wie diese Bezeichnung sonst in der Composition gil¬<lb/>
tig ist, vielmehr aus dem Bedürfniß, in jedem Augenblick Stimmen zur Verfügung<lb/>
zu haben. Nach augenblicklicher Lust und Laune, wenn ihm ein Einfall kommt,<lb/>
läßt er eine Stimme für sich gehen, aber ohne bestimmte Konsequenz, und mau<lb/>
wird nicht leicht sagen können, wievielstimmig ein Satz sei. Mit den Chören ist<lb/>
es ebenso. Gewöhnlich gebraucht er 8 Männerstimmen, allein die Mäunerchöre<lb/>
sind weit entfernt achtstimmig zu sein, auch in den Chören des zweiten Acts<lb/>
uicht, welche mehr eine bestimmte Form haben und zum Theil sogar einen Anlauf<lb/>
zu imitatorischer Schreibart nehmen. Hier, wo es am leichtesten zu beobachten ist,<lb/>
ist. die Imitation fast immer nur zweistimmig und die übrigen Stimmen sind mei¬<lb/>
stens nur Füll-, oft nur Flickstimmen, die hier und da eine» melodischen Gang<lb/>
haben, aber nicht selbstständig werden. Ebensowenig kann man dies von den Chor¬<lb/>
sätzen sagen, in denen, um ein lebendiges Bild einer bewegten Masse zu geben,<lb/>
viele Stimmen angewandt und eine Phrase in kleinen Partikeln uuter sie ver¬<lb/>
theilt wird. Kurz überall ist diese Polyphonie nicht die Folge des Reichthums<lb/>
an Ideen und der Geschicklichkeit in cousequenter Bearbeitung und künstlerischer<lb/>
Darstellung, sondern wiederum nur eine Verschwendung der äußeren Mittel, und<lb/>
verschwenden kann auch die Armuth.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_370" next="#ID_371"> Kehren wir zu der rein instrumentalen Charakteristik zurück, so finden wir<lb/>
hier wiederum dieselbe äußerliche Decorationsarbeit, wie wir sie nach anderen<lb/>
Richtungen sahen. Es fehlt nicht viel, daß die Stereotypie der Motive auch hier<lb/>
in einer Stereotypie der Jnstrumentation sich wiederholte. Gewisse Instrumente<lb/>
haben fast schon eine sichere Bedeutung, z. B. Posaunen, Hörner und Trompeten<lb/>
bedeuten, königliche Würde, tiefe Clarinettöne tückische Bosheit; wo an Krieg,<lb/>
Kampf, Ritter erinnert wird, kommen irgendwie Trompeten zum Vorschein, ge¬<lb/>
wisse Jnstrumentalcombinationen charakterisiren Elsa, Lohengrin u. s. w. Es ist,<lb/>
als sollten wir zu der Kunststufe zurückkehren, wo die Maler ihren Personen<lb/>
Zettel beschrieben und sich der Farben bedienten, um verschiedene Personen zu<lb/>
charakterisiren. Das Fabelhasteste in dieser Art von Charakteristik sind die vier<lb/>
Trompeten, welche, den König begleiten, und so oft er kommt und handelt, oder<lb/>
in seinem Namen der Heerrufer, eine und dieselbe Fanfare blasen. Und zwar<lb/>
blasen sie immer in Oclur; so oft diese vier Rothröcke kommen, weiß man sicher,<lb/>
daß es nach Lclur geht, in die allerentlegensten Tonarten fallen sie, wie ein un¬<lb/>
erbittliches Fatum, mitunter haben sie schon angesetzt, und wir sind noch weit von<lb/>
Ockur, da geht es denn auch curios zu bis man hineinkommt. Noch dazu ist<lb/>
dies prädestinirte O nur nur eine Caprice, deun Wagner gebraucht sonst Ventil-<lb/>
trompeten. Dergleichen Uebungen schnell aus allen möglichen Tonarten nach<lb/>
e«or zu moduliren, gilt immer für einen mäßigen Spaß in ernsthafter Musik,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0144] Diese Einleitung ist zugleich charakteristisch für Wagners polyphonische Schreib¬ art. Er beschäftigt gern viele Stimmen zugleich, allein ohne die einzelnen in dem Sinne selbstständig zu führe«, wie diese Bezeichnung sonst in der Composition gil¬ tig ist, vielmehr aus dem Bedürfniß, in jedem Augenblick Stimmen zur Verfügung zu haben. Nach augenblicklicher Lust und Laune, wenn ihm ein Einfall kommt, läßt er eine Stimme für sich gehen, aber ohne bestimmte Konsequenz, und mau wird nicht leicht sagen können, wievielstimmig ein Satz sei. Mit den Chören ist es ebenso. Gewöhnlich gebraucht er 8 Männerstimmen, allein die Mäunerchöre sind weit entfernt achtstimmig zu sein, auch in den Chören des zweiten Acts uicht, welche mehr eine bestimmte Form haben und zum Theil sogar einen Anlauf zu imitatorischer Schreibart nehmen. Hier, wo es am leichtesten zu beobachten ist, ist. die Imitation fast immer nur zweistimmig und die übrigen Stimmen sind mei¬ stens nur Füll-, oft nur Flickstimmen, die hier und da eine» melodischen Gang haben, aber nicht selbstständig werden. Ebensowenig kann man dies von den Chor¬ sätzen sagen, in denen, um ein lebendiges Bild einer bewegten Masse zu geben, viele Stimmen angewandt und eine Phrase in kleinen Partikeln uuter sie ver¬ theilt wird. Kurz überall ist diese Polyphonie nicht die Folge des Reichthums an Ideen und der Geschicklichkeit in cousequenter Bearbeitung und künstlerischer Darstellung, sondern wiederum nur eine Verschwendung der äußeren Mittel, und verschwenden kann auch die Armuth. Kehren wir zu der rein instrumentalen Charakteristik zurück, so finden wir hier wiederum dieselbe äußerliche Decorationsarbeit, wie wir sie nach anderen Richtungen sahen. Es fehlt nicht viel, daß die Stereotypie der Motive auch hier in einer Stereotypie der Jnstrumentation sich wiederholte. Gewisse Instrumente haben fast schon eine sichere Bedeutung, z. B. Posaunen, Hörner und Trompeten bedeuten, königliche Würde, tiefe Clarinettöne tückische Bosheit; wo an Krieg, Kampf, Ritter erinnert wird, kommen irgendwie Trompeten zum Vorschein, ge¬ wisse Jnstrumentalcombinationen charakterisiren Elsa, Lohengrin u. s. w. Es ist, als sollten wir zu der Kunststufe zurückkehren, wo die Maler ihren Personen Zettel beschrieben und sich der Farben bedienten, um verschiedene Personen zu charakterisiren. Das Fabelhasteste in dieser Art von Charakteristik sind die vier Trompeten, welche, den König begleiten, und so oft er kommt und handelt, oder in seinem Namen der Heerrufer, eine und dieselbe Fanfare blasen. Und zwar blasen sie immer in Oclur; so oft diese vier Rothröcke kommen, weiß man sicher, daß es nach Lclur geht, in die allerentlegensten Tonarten fallen sie, wie ein un¬ erbittliches Fatum, mitunter haben sie schon angesetzt, und wir sind noch weit von Ockur, da geht es denn auch curios zu bis man hineinkommt. Noch dazu ist dies prädestinirte O nur nur eine Caprice, deun Wagner gebraucht sonst Ventil- trompeten. Dergleichen Uebungen schnell aus allen möglichen Tonarten nach e«or zu moduliren, gilt immer für einen mäßigen Spaß in ernsthafter Musik,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/144
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/144>, abgerufen am 22.07.2024.