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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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das dichterische Kunstwerk keine Bedeutung und die Musik derselben dienstbar zu
machen ist unwürdig.

Vielleicht das ärgste der Art ist der Marsch im dritten Act, während dessen
die vier Heerhaufen der Brabanter einziehen, Der eigentliche Marsch wird von
den Bläsern des Orchesters vorgetragen, die Saiteninstrumente schildern mit einer
unermüdlichen Triolenfigur das Trampeln der Pferde und den Tumult der heranziehen¬
den Heerhaufen, von denen jeder zwei Trompeten in eigener Tonart zur Verfügung
hat, welche eine lange Fanfare in dem einförmigen, etwas rohen Trompeter¬
stil blasen. Die in fangen an, worauf der Marsch in derselben Tonart
gespielt wird; als derselbe eine Wendung nach v macht, fallen die I) Trompeten
ein und wir bleiben in 1) aur hängen; diese werden von den ? Trompeten über¬
rascht und nachdem diese sich ausgeblasen haben, geht der Marsch wieder in? an;
bei der nämlichen Wendung der Harmonie --" so genau ist das Exercitium --
fallen die IZ Trompeten ein. Nun denkt man, es könnte genug sein mit 8 Trompeten
und 4 Tonarten, da fällt man durch einen Trugschluß in <ü aur hinein, die
verhängnißvolle Fanfare ertönt, der König kommt mit seinen unvermeidlichen
Stabstrompetern und wir hören den Marsch endlich zum letzten Mal in L aur --
man glaubt in einer Bereiterbnde zu sitzen. Nachdem man dies Dutzend Trompeten
als Zugabe eines wohlbesetzten Orchesters hat hinnehmen müssen, ist man aller¬
dings ziemlich bombenfest geworden, und wenn der König darauf mit Begleitung
aller Blechinstrumente singt, so gemahnt er doch nur an Zettel, der brüllen
wollte, wie eine saugende Nachtigall. Aber was für eine Kunst ist das, welche
solche Mittel in Anspruch nimmt, um eine Exercierplatz-Illusion zur Unterhaltung
der Strudel- und Prndelwitze zu realisiren?

Aus unseren Betrachtungen geht hervor, daß wenn Wagner gleich geschickter
ist in der Handhabung der musikalischen als der poetischen Technik, doch von
einem Stil seiner Musik nicht die Rede sein kann/ Die erste Bedingung des
Stils ist Eigenthümlichkeit der Productionskraft, welche man einem Manne nicht
zuschreiben kann, bei dem man nicht nnr die Einflüsse Webers, Marschncrs, Mendels¬
sohns, Meyerbeers u. A. im Ganzen und Einzelnen nachweisen kann, sondern dessen
künstlerische Eigenthümlichkeit wesentlich darin besteht, daß eine Anzahl heterogener
Bildungselemente unserer Zeit bei ihm in bedenkliche Confusion gerathen sind.
Ferner ist Stil bedingt durch die Fähigkeit des Künstlers, den künstlerischen Stoff
in der innersten Tiefe seiner Natur zu erfassen und so zu gestalten, daß das subjective
und Objective im Kunstwerk sich durchdringe, und endlich, um diese künstlerische
Schöpfung zu vollziehen, die Einsicht in die Form und Technik und die Meisterschaft
in der Behandlung derselben als künstlerischer Mittel zu ein?in künstlerischen Zweck.
Eine ans Mißverständniß und Uebertreibung hervorgegangene willkürliche Theorie
bei mangelndem Sinn für Motivirung und Gestaltung aus dem Ganzen, und
eine einseitige Virtuosität, die nur äußerliche Mittel für äußerliche Zwecke zu


das dichterische Kunstwerk keine Bedeutung und die Musik derselben dienstbar zu
machen ist unwürdig.

Vielleicht das ärgste der Art ist der Marsch im dritten Act, während dessen
die vier Heerhaufen der Brabanter einziehen, Der eigentliche Marsch wird von
den Bläsern des Orchesters vorgetragen, die Saiteninstrumente schildern mit einer
unermüdlichen Triolenfigur das Trampeln der Pferde und den Tumult der heranziehen¬
den Heerhaufen, von denen jeder zwei Trompeten in eigener Tonart zur Verfügung
hat, welche eine lange Fanfare in dem einförmigen, etwas rohen Trompeter¬
stil blasen. Die in fangen an, worauf der Marsch in derselben Tonart
gespielt wird; als derselbe eine Wendung nach v macht, fallen die I) Trompeten
ein und wir bleiben in 1) aur hängen; diese werden von den ? Trompeten über¬
rascht und nachdem diese sich ausgeblasen haben, geht der Marsch wieder in? an;
bei der nämlichen Wendung der Harmonie —" so genau ist das Exercitium —
fallen die IZ Trompeten ein. Nun denkt man, es könnte genug sein mit 8 Trompeten
und 4 Tonarten, da fällt man durch einen Trugschluß in <ü aur hinein, die
verhängnißvolle Fanfare ertönt, der König kommt mit seinen unvermeidlichen
Stabstrompetern und wir hören den Marsch endlich zum letzten Mal in L aur —
man glaubt in einer Bereiterbnde zu sitzen. Nachdem man dies Dutzend Trompeten
als Zugabe eines wohlbesetzten Orchesters hat hinnehmen müssen, ist man aller¬
dings ziemlich bombenfest geworden, und wenn der König darauf mit Begleitung
aller Blechinstrumente singt, so gemahnt er doch nur an Zettel, der brüllen
wollte, wie eine saugende Nachtigall. Aber was für eine Kunst ist das, welche
solche Mittel in Anspruch nimmt, um eine Exercierplatz-Illusion zur Unterhaltung
der Strudel- und Prndelwitze zu realisiren?

Aus unseren Betrachtungen geht hervor, daß wenn Wagner gleich geschickter
ist in der Handhabung der musikalischen als der poetischen Technik, doch von
einem Stil seiner Musik nicht die Rede sein kann/ Die erste Bedingung des
Stils ist Eigenthümlichkeit der Productionskraft, welche man einem Manne nicht
zuschreiben kann, bei dem man nicht nnr die Einflüsse Webers, Marschncrs, Mendels¬
sohns, Meyerbeers u. A. im Ganzen und Einzelnen nachweisen kann, sondern dessen
künstlerische Eigenthümlichkeit wesentlich darin besteht, daß eine Anzahl heterogener
Bildungselemente unserer Zeit bei ihm in bedenkliche Confusion gerathen sind.
Ferner ist Stil bedingt durch die Fähigkeit des Künstlers, den künstlerischen Stoff
in der innersten Tiefe seiner Natur zu erfassen und so zu gestalten, daß das subjective
und Objective im Kunstwerk sich durchdringe, und endlich, um diese künstlerische
Schöpfung zu vollziehen, die Einsicht in die Form und Technik und die Meisterschaft
in der Behandlung derselben als künstlerischer Mittel zu ein?in künstlerischen Zweck.
Eine ans Mißverständniß und Uebertreibung hervorgegangene willkürliche Theorie
bei mangelndem Sinn für Motivirung und Gestaltung aus dem Ganzen, und
eine einseitige Virtuosität, die nur äußerliche Mittel für äußerliche Zwecke zu


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[0146] das dichterische Kunstwerk keine Bedeutung und die Musik derselben dienstbar zu machen ist unwürdig. Vielleicht das ärgste der Art ist der Marsch im dritten Act, während dessen die vier Heerhaufen der Brabanter einziehen, Der eigentliche Marsch wird von den Bläsern des Orchesters vorgetragen, die Saiteninstrumente schildern mit einer unermüdlichen Triolenfigur das Trampeln der Pferde und den Tumult der heranziehen¬ den Heerhaufen, von denen jeder zwei Trompeten in eigener Tonart zur Verfügung hat, welche eine lange Fanfare in dem einförmigen, etwas rohen Trompeter¬ stil blasen. Die in fangen an, worauf der Marsch in derselben Tonart gespielt wird; als derselbe eine Wendung nach v macht, fallen die I) Trompeten ein und wir bleiben in 1) aur hängen; diese werden von den ? Trompeten über¬ rascht und nachdem diese sich ausgeblasen haben, geht der Marsch wieder in? an; bei der nämlichen Wendung der Harmonie —" so genau ist das Exercitium — fallen die IZ Trompeten ein. Nun denkt man, es könnte genug sein mit 8 Trompeten und 4 Tonarten, da fällt man durch einen Trugschluß in <ü aur hinein, die verhängnißvolle Fanfare ertönt, der König kommt mit seinen unvermeidlichen Stabstrompetern und wir hören den Marsch endlich zum letzten Mal in L aur — man glaubt in einer Bereiterbnde zu sitzen. Nachdem man dies Dutzend Trompeten als Zugabe eines wohlbesetzten Orchesters hat hinnehmen müssen, ist man aller¬ dings ziemlich bombenfest geworden, und wenn der König darauf mit Begleitung aller Blechinstrumente singt, so gemahnt er doch nur an Zettel, der brüllen wollte, wie eine saugende Nachtigall. Aber was für eine Kunst ist das, welche solche Mittel in Anspruch nimmt, um eine Exercierplatz-Illusion zur Unterhaltung der Strudel- und Prndelwitze zu realisiren? Aus unseren Betrachtungen geht hervor, daß wenn Wagner gleich geschickter ist in der Handhabung der musikalischen als der poetischen Technik, doch von einem Stil seiner Musik nicht die Rede sein kann/ Die erste Bedingung des Stils ist Eigenthümlichkeit der Productionskraft, welche man einem Manne nicht zuschreiben kann, bei dem man nicht nnr die Einflüsse Webers, Marschncrs, Mendels¬ sohns, Meyerbeers u. A. im Ganzen und Einzelnen nachweisen kann, sondern dessen künstlerische Eigenthümlichkeit wesentlich darin besteht, daß eine Anzahl heterogener Bildungselemente unserer Zeit bei ihm in bedenkliche Confusion gerathen sind. Ferner ist Stil bedingt durch die Fähigkeit des Künstlers, den künstlerischen Stoff in der innersten Tiefe seiner Natur zu erfassen und so zu gestalten, daß das subjective und Objective im Kunstwerk sich durchdringe, und endlich, um diese künstlerische Schöpfung zu vollziehen, die Einsicht in die Form und Technik und die Meisterschaft in der Behandlung derselben als künstlerischer Mittel zu ein?in künstlerischen Zweck. Eine ans Mißverständniß und Uebertreibung hervorgegangene willkürliche Theorie bei mangelndem Sinn für Motivirung und Gestaltung aus dem Ganzen, und eine einseitige Virtuosität, die nur äußerliche Mittel für äußerliche Zwecke zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/146>, abgerufen am 22.07.2024.