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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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großem Geräusch verkündet, daß kein gebildeter Musiker mehr eine Ouvertüre schrei¬
ben könne, beiß Wagners Ouvertüre zum Tannhäuser ein Meisterwerk, aber ein ver-
fehltessei, es wurde als ein außerordentlicher Fortschritt gepriesen, daß Lohengrin
keine Ouvertüre, sondern nnr eine Einleitung habe. Eine Ouvertüre kann -- wenn
man nicht darunter wie die Italiener ein zufälliges Geräusch versteht, während
des die Zuschauer sich vor dem Beginn der Oper noch recht ausschwatzen können
-- doch nur ein selbständiges, abgeschlossens Instrumental-Musikstück sein, welches in
Stimmung und Geist der Oper einleiten soll. Dies kann geschehen, indem man
einzelne, der Oper entlehnte Motive zu einem Ganzen verarbeitet, was Weber
Mit Geist, andere wie die Flickschneider gemacht haben, oder ein oder mehre
Motive hineinklingen läßt in eine Verarbeitung selbständiger Motive, oder endlich
ganz auf Reminiscenzen verzichtet und vollkommen frei in einer neuen Schöpfung
die Grundstimmung der Oper repräsentirt, wovon die unübertroffenen Muster
Mozarts, Cherubinis und Beethovens allen bekannt sind. Bon keinem Belang
kann es sei", ob dieses Musikstück aus drei Sätzen besteht, wie früher üblich war,
oder aus zweien, oder aus einem; auch sollte es, denke ich, ebensowenig eiuen
wesentlichen Unterschied machen, ob dieser Satz langsam oder schnell geht, und
endlich wird die Elle auch nicht entscheiden. Dann aber bin ich in der That
verlegen, weshalb Lohengrin keine Ouvertüre, sondern eine Einleitung haben
sollte; denn diese vollständig abgeschlossene Instrumentalmusik hat zur ersten Scene
weder äußerlich noch innerlich eine nähere Beziehung und soll offenbar in die
ganze Oper einführen, indem sie einen Hauptgedanken derselben ausführlich dar¬
stellt. Dies ist die wunderwirkcnde Darniedcrtunst des Gral im Geleite der
Engelschar; die Vision eines verzückten Schwärmers. Soweit hier die Em-
pfindung vorherrscht, ist es allerdings ein musikalischer Gegenstand, insofern es
aber grade den Gral darstellen soll, die bestimmte historische Gestaltung einer my¬
stischen Vorstellung, reicht natürlich die musikalische Charakteristik nicht aus. Die
Wirkung dieses Satzes beruht lediglich auf dem materiellen Eindruck der Jnstru-
mentalcombination. Die Melodie ist, an sich unbedentend und rhythmisch durch
Syncopen und Triolcn unruhig und ungleichmäßig geworden, die Harmonie ist
gezwungen und doch dürftig, so daß das Ganze, welches sich ohne bestimmte Ein¬
schnitte fortzieht, einen beunruhigenden Eindruck des Uuznsammeuhäugendeu und,
wenn man das Wort von der Musik gelten läßt, des Unlogische" macht/ Aber
eigenthümlich ist die Klangfarbe und die Steigerung, welche dadurch hervorge¬
bracht wird, daß zu den Geigen in höchster Lage, immer mehr und immer tiefere
Instrumente hinzutreten, so daß die Tvnmasse sich zu verdichten scheint, bis sie
cillmälig wieder verschwindet. Dieser Effect ist mit großer Geschicklichkeit ausge¬
führt und man würde ihn als Klangeffect schön nennen können, wenn nicht die hohe
Geigenlage etwas Gereiztes und Ueberspanntes hätte, welches die Nerven stark afficirt,
"ber nicht für schön gelten kann.


großem Geräusch verkündet, daß kein gebildeter Musiker mehr eine Ouvertüre schrei¬
ben könne, beiß Wagners Ouvertüre zum Tannhäuser ein Meisterwerk, aber ein ver-
fehltessei, es wurde als ein außerordentlicher Fortschritt gepriesen, daß Lohengrin
keine Ouvertüre, sondern nnr eine Einleitung habe. Eine Ouvertüre kann — wenn
man nicht darunter wie die Italiener ein zufälliges Geräusch versteht, während
des die Zuschauer sich vor dem Beginn der Oper noch recht ausschwatzen können
— doch nur ein selbständiges, abgeschlossens Instrumental-Musikstück sein, welches in
Stimmung und Geist der Oper einleiten soll. Dies kann geschehen, indem man
einzelne, der Oper entlehnte Motive zu einem Ganzen verarbeitet, was Weber
Mit Geist, andere wie die Flickschneider gemacht haben, oder ein oder mehre
Motive hineinklingen läßt in eine Verarbeitung selbständiger Motive, oder endlich
ganz auf Reminiscenzen verzichtet und vollkommen frei in einer neuen Schöpfung
die Grundstimmung der Oper repräsentirt, wovon die unübertroffenen Muster
Mozarts, Cherubinis und Beethovens allen bekannt sind. Bon keinem Belang
kann es sei», ob dieses Musikstück aus drei Sätzen besteht, wie früher üblich war,
oder aus zweien, oder aus einem; auch sollte es, denke ich, ebensowenig eiuen
wesentlichen Unterschied machen, ob dieser Satz langsam oder schnell geht, und
endlich wird die Elle auch nicht entscheiden. Dann aber bin ich in der That
verlegen, weshalb Lohengrin keine Ouvertüre, sondern eine Einleitung haben
sollte; denn diese vollständig abgeschlossene Instrumentalmusik hat zur ersten Scene
weder äußerlich noch innerlich eine nähere Beziehung und soll offenbar in die
ganze Oper einführen, indem sie einen Hauptgedanken derselben ausführlich dar¬
stellt. Dies ist die wunderwirkcnde Darniedcrtunst des Gral im Geleite der
Engelschar; die Vision eines verzückten Schwärmers. Soweit hier die Em-
pfindung vorherrscht, ist es allerdings ein musikalischer Gegenstand, insofern es
aber grade den Gral darstellen soll, die bestimmte historische Gestaltung einer my¬
stischen Vorstellung, reicht natürlich die musikalische Charakteristik nicht aus. Die
Wirkung dieses Satzes beruht lediglich auf dem materiellen Eindruck der Jnstru-
mentalcombination. Die Melodie ist, an sich unbedentend und rhythmisch durch
Syncopen und Triolcn unruhig und ungleichmäßig geworden, die Harmonie ist
gezwungen und doch dürftig, so daß das Ganze, welches sich ohne bestimmte Ein¬
schnitte fortzieht, einen beunruhigenden Eindruck des Uuznsammeuhäugendeu und,
wenn man das Wort von der Musik gelten läßt, des Unlogische» macht/ Aber
eigenthümlich ist die Klangfarbe und die Steigerung, welche dadurch hervorge¬
bracht wird, daß zu den Geigen in höchster Lage, immer mehr und immer tiefere
Instrumente hinzutreten, so daß die Tvnmasse sich zu verdichten scheint, bis sie
cillmälig wieder verschwindet. Dieser Effect ist mit großer Geschicklichkeit ausge¬
führt und man würde ihn als Klangeffect schön nennen können, wenn nicht die hohe
Geigenlage etwas Gereiztes und Ueberspanntes hätte, welches die Nerven stark afficirt,
"ber nicht für schön gelten kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/143>, abgerufen am 22.07.2024.