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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Joseph Victor Scheffel (Stuttgart, Metzler). -- Der humoristisch-gemüthliche
Ton dieses Sargs ist sehr gut getroffen, und wird nur selten durch Heinesche Remi¬
niscenzen, die für die Harmlosigkeit des Stoffs nicht recht passen, gestört. Ein inniges
Naturgefühl und eine anspruchslose Freude am Leben, auch ein gewisser Sinn für Me¬
lodie und Farbe, macht in diesem Gedicht einen angenehmen Eindruck. Auf zwei Fehler
wollen wir den Dichter aufmerksam machen; einmal muß er sich vor zu großer Breite
hüten; der Stoff ist zwar hübsch ersonnen, aber er ist nicht sehr ausgiebig und erträgt
kein bequemes Sichgehenlassen. Die einzelnen Scenen müssen zwar ausführlich ge¬
schildert werden, damit wir Interesse daran gewinnen und damit sie uns vollkommen
anschaulich werden; aber in der Auswahl der Scenen muß eine strenge Oekonomie und
strenge Concentration beobachtet werden, sonst werden wir leicht abgespannt und er¬
müdet. Unsere zweite Ausstellung betrifft das Versmaß. Der Dichter hat durch das
ganze Gedicht hin den vierfüßigen ungereimten Trochäus gewählt, ein Versmaß, welches
sich für unsere Sprache ganz vortrefflich eignet, nur verlangt es eine sehr behutsame
und poetische Behandlung. Ein Fehler, den sich auch unsere dramatischen Dichter mit
dem fünffüßigen Jambus sehr häufig zu Schulden kommen lassen, besteht darin, daß sie
den Vers mit einem Artikel, Pronomen oder einer Präposition schließen, die sich aus
das folgende Wort beziehe", z. B. S. 22:


Da und dort ein Sonnenstrahl auf
Mann und auf Trompete blitzend,

oder S. 23:


--waren auch die
Grenzen seiner Wirksamkeit

oder S. 192:


S'licsi aus diesen Lümmeln sich ein
Trefflich Regiment formiren.

Dergleichen kommt fast auf jeder einzelnen Seite vor. Es ist zuweilen, als ob
unsere Dichter gar kein Ohr hätten, als ob sie glaubten, es wäre vollkommen genügend,
im Druck die Verse zu markiren. Aber die Verse wollen doch zunächst gelesen sein,
und da liest natürlich jedermann


Da und dort ein Sonnenstrahl
Ans Mann und ans Trompete blitzend. --
--waren auch
Die Grenzen seiner Wirksamkeit.

Ferner sind namentlich in diesen kurzen Versfüßen die Pyrrhichien zu vermeiden,
die aber hier fast so zahlreich sind, als die Trochäen. Sodann muß man beim trochäi¬
schen Versmaß sehr sorgfältig darauf sehen, eine Cäsur herzustellen, indem man bei
uns die so zahlreich trochäischen Worte vermeidet, sonst verfällt man in ein ganz un¬
erträgliches Geleier, z. B. S. 25 :


Seine nächsten Freuden waren n. s. w.

Dieser letztere Fehler kommt übrigens seltener vor. Einschiebung von Flickwörtern
und gewaltsame Umstellung der Constructionen des Verses wegen kommen auch vor,
aber doch im ganzen selten. -- Das zweite Gedicht heißt: "Die Marquesasinsel",
eine Weihnachtsgabe voisElise von Hohenhausen (Bremen, Heyse). -- Eine sehr
einfache Geschichte in jener Eleganz der Form vorgetragen, die eine längere Bekannt¬
schaft mit Walter Scott und Byron verräth. --


Joseph Victor Scheffel (Stuttgart, Metzler). — Der humoristisch-gemüthliche
Ton dieses Sargs ist sehr gut getroffen, und wird nur selten durch Heinesche Remi¬
niscenzen, die für die Harmlosigkeit des Stoffs nicht recht passen, gestört. Ein inniges
Naturgefühl und eine anspruchslose Freude am Leben, auch ein gewisser Sinn für Me¬
lodie und Farbe, macht in diesem Gedicht einen angenehmen Eindruck. Auf zwei Fehler
wollen wir den Dichter aufmerksam machen; einmal muß er sich vor zu großer Breite
hüten; der Stoff ist zwar hübsch ersonnen, aber er ist nicht sehr ausgiebig und erträgt
kein bequemes Sichgehenlassen. Die einzelnen Scenen müssen zwar ausführlich ge¬
schildert werden, damit wir Interesse daran gewinnen und damit sie uns vollkommen
anschaulich werden; aber in der Auswahl der Scenen muß eine strenge Oekonomie und
strenge Concentration beobachtet werden, sonst werden wir leicht abgespannt und er¬
müdet. Unsere zweite Ausstellung betrifft das Versmaß. Der Dichter hat durch das
ganze Gedicht hin den vierfüßigen ungereimten Trochäus gewählt, ein Versmaß, welches
sich für unsere Sprache ganz vortrefflich eignet, nur verlangt es eine sehr behutsame
und poetische Behandlung. Ein Fehler, den sich auch unsere dramatischen Dichter mit
dem fünffüßigen Jambus sehr häufig zu Schulden kommen lassen, besteht darin, daß sie
den Vers mit einem Artikel, Pronomen oder einer Präposition schließen, die sich aus
das folgende Wort beziehe», z. B. S. 22:


Da und dort ein Sonnenstrahl auf
Mann und auf Trompete blitzend,

oder S. 23:


--waren auch die
Grenzen seiner Wirksamkeit

oder S. 192:


S'licsi aus diesen Lümmeln sich ein
Trefflich Regiment formiren.

Dergleichen kommt fast auf jeder einzelnen Seite vor. Es ist zuweilen, als ob
unsere Dichter gar kein Ohr hätten, als ob sie glaubten, es wäre vollkommen genügend,
im Druck die Verse zu markiren. Aber die Verse wollen doch zunächst gelesen sein,
und da liest natürlich jedermann


Da und dort ein Sonnenstrahl
Ans Mann und ans Trompete blitzend. —
--waren auch
Die Grenzen seiner Wirksamkeit.

Ferner sind namentlich in diesen kurzen Versfüßen die Pyrrhichien zu vermeiden,
die aber hier fast so zahlreich sind, als die Trochäen. Sodann muß man beim trochäi¬
schen Versmaß sehr sorgfältig darauf sehen, eine Cäsur herzustellen, indem man bei
uns die so zahlreich trochäischen Worte vermeidet, sonst verfällt man in ein ganz un¬
erträgliches Geleier, z. B. S. 25 :


Seine nächsten Freuden waren n. s. w.

Dieser letztere Fehler kommt übrigens seltener vor. Einschiebung von Flickwörtern
und gewaltsame Umstellung der Constructionen des Verses wegen kommen auch vor,
aber doch im ganzen selten. — Das zweite Gedicht heißt: „Die Marquesasinsel",
eine Weihnachtsgabe voisElise von Hohenhausen (Bremen, Heyse). — Eine sehr
einfache Geschichte in jener Eleganz der Form vorgetragen, die eine längere Bekannt¬
schaft mit Walter Scott und Byron verräth. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/126>, abgerufen am 25.08.2024.