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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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res Aufenthaltes in Köln von 180i --1808, also die Zeit, in welcher sich der
Uebertritt zum Katholicismus vorbereitete. Bisher war diese Periode ganz in
Dunkel gehüllt, und wir sind sehr zufrieden damit, jetzt eine vollkommen klare
und verständliche Anschauung gewonnen zu haben. Es muß ganz klar und
bestimmt herausgesagt werden, Friedrich Schlegel wurde Katholik, weil er seines
unstäten, bedrängten Lebens müde war, weil ihn die Katholiken unterstützten,
während ihn die Protestanten aus leicht begreiflichen Gründen im Stich ließen,
und weil ihm in Oestreich eine Anstellung zugesichert war. Er hatte zuerst ans
ästhetischer Liebhaberei grade so wie seine übrigen romantischen Freunde dem
Katholicismus das Wort geredet. Die Frau, die er auf einem etwas ungehörigen
Wege erworben hatte, die ihn dafür auf eine etwas unbequeme Weise anbetete
und ihn gewissermaßen moralisch nöthigte, consequent zu sein, steigerte ihn in
diesen Empfindungen, aber dies alles hätte noch nicht ausgereicht, ihn zu dem
äußerliche" Schritt zu bestimmen, der durch weltliche Motive bedingt wurde. Wie
sein eigener Bruder wenigstens später darüber dachte, erfahren wir aus einem
höchst interessanten und wichtigen Brief des letzteren an Windischmann, den uns
Böcking in seiner Gesammtausgabe mittheilt. Es ist eine höchst klägliche und
unwürdige Geschichte, dieser Sprung von frivoler Freigeisterei zur Bigoterie, der
noch dazu kein eigentlicher Sprung war, denn Schlegel blieb im Schoß der katho¬
lischen Kirche ebenso frivol, als er es früher gewesen war, ein ausgemachter
Epikureer und ein philvsophircnder Dilettant, der es sich zum Geschäft machte,
schimmernde Paradoxien zu erdenken. Bei Dorothea Schlegel kam noch ein an¬
deres Moment hinzu, nämlich der Haß gegen Berlin, welches sich über ihr Ver¬
hältniß zu Schlegel nicht sehr günstig ausgesprochen hatte, ein Haß, der sich dann
auf den gesammten preußischen Staat übertrug und sie ans natürlicher Reaction
zu einer leidenschaftlichen Oestreicherin machte.

Wir haben diese einzelnen Punkte hervorgehoben, weil sie uns zunächst
lagen. Andere Leser werden nach anderer Seite hin suchen und auch hier eine
reiche Ausbeute finden. Grade darum glaubten wir sie von vornherein darauf
aufmerksam machen zu müssen, sich durch die ungeschickte Bearbeitung nicht
abschrecken zu lassen; denn das Buch ist immer ein sehr beachtenswerthes Ma¬
terial für die Einsichten unserer litterarischen Zustände. --




W vnsen bericht.
Literatur.

--- Wir ha.den vor kurzem bei Gelegenheit eines längeren Artikels
"ber die Natur des epischen Gedichts eine Reihe von Versuchen in dieser Gattung auf¬
gezählt, die immer mehr Beifall zu gewinnen scheint. Wir fügen heute zwei neue
hinzu. "Der Trompeter von Säkkingen", ein Sang vom Oberrhci", von


res Aufenthaltes in Köln von 180i —1808, also die Zeit, in welcher sich der
Uebertritt zum Katholicismus vorbereitete. Bisher war diese Periode ganz in
Dunkel gehüllt, und wir sind sehr zufrieden damit, jetzt eine vollkommen klare
und verständliche Anschauung gewonnen zu haben. Es muß ganz klar und
bestimmt herausgesagt werden, Friedrich Schlegel wurde Katholik, weil er seines
unstäten, bedrängten Lebens müde war, weil ihn die Katholiken unterstützten,
während ihn die Protestanten aus leicht begreiflichen Gründen im Stich ließen,
und weil ihm in Oestreich eine Anstellung zugesichert war. Er hatte zuerst ans
ästhetischer Liebhaberei grade so wie seine übrigen romantischen Freunde dem
Katholicismus das Wort geredet. Die Frau, die er auf einem etwas ungehörigen
Wege erworben hatte, die ihn dafür auf eine etwas unbequeme Weise anbetete
und ihn gewissermaßen moralisch nöthigte, consequent zu sein, steigerte ihn in
diesen Empfindungen, aber dies alles hätte noch nicht ausgereicht, ihn zu dem
äußerliche« Schritt zu bestimmen, der durch weltliche Motive bedingt wurde. Wie
sein eigener Bruder wenigstens später darüber dachte, erfahren wir aus einem
höchst interessanten und wichtigen Brief des letzteren an Windischmann, den uns
Böcking in seiner Gesammtausgabe mittheilt. Es ist eine höchst klägliche und
unwürdige Geschichte, dieser Sprung von frivoler Freigeisterei zur Bigoterie, der
noch dazu kein eigentlicher Sprung war, denn Schlegel blieb im Schoß der katho¬
lischen Kirche ebenso frivol, als er es früher gewesen war, ein ausgemachter
Epikureer und ein philvsophircnder Dilettant, der es sich zum Geschäft machte,
schimmernde Paradoxien zu erdenken. Bei Dorothea Schlegel kam noch ein an¬
deres Moment hinzu, nämlich der Haß gegen Berlin, welches sich über ihr Ver¬
hältniß zu Schlegel nicht sehr günstig ausgesprochen hatte, ein Haß, der sich dann
auf den gesammten preußischen Staat übertrug und sie ans natürlicher Reaction
zu einer leidenschaftlichen Oestreicherin machte.

Wir haben diese einzelnen Punkte hervorgehoben, weil sie uns zunächst
lagen. Andere Leser werden nach anderer Seite hin suchen und auch hier eine
reiche Ausbeute finden. Grade darum glaubten wir sie von vornherein darauf
aufmerksam machen zu müssen, sich durch die ungeschickte Bearbeitung nicht
abschrecken zu lassen; denn das Buch ist immer ein sehr beachtenswerthes Ma¬
terial für die Einsichten unserer litterarischen Zustände. —




W vnsen bericht.
Literatur.

—- Wir ha.den vor kurzem bei Gelegenheit eines längeren Artikels
«ber die Natur des epischen Gedichts eine Reihe von Versuchen in dieser Gattung auf¬
gezählt, die immer mehr Beifall zu gewinnen scheint. Wir fügen heute zwei neue
hinzu. „Der Trompeter von Säkkingen", ein Sang vom Oberrhci», von


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[0125] res Aufenthaltes in Köln von 180i —1808, also die Zeit, in welcher sich der Uebertritt zum Katholicismus vorbereitete. Bisher war diese Periode ganz in Dunkel gehüllt, und wir sind sehr zufrieden damit, jetzt eine vollkommen klare und verständliche Anschauung gewonnen zu haben. Es muß ganz klar und bestimmt herausgesagt werden, Friedrich Schlegel wurde Katholik, weil er seines unstäten, bedrängten Lebens müde war, weil ihn die Katholiken unterstützten, während ihn die Protestanten aus leicht begreiflichen Gründen im Stich ließen, und weil ihm in Oestreich eine Anstellung zugesichert war. Er hatte zuerst ans ästhetischer Liebhaberei grade so wie seine übrigen romantischen Freunde dem Katholicismus das Wort geredet. Die Frau, die er auf einem etwas ungehörigen Wege erworben hatte, die ihn dafür auf eine etwas unbequeme Weise anbetete und ihn gewissermaßen moralisch nöthigte, consequent zu sein, steigerte ihn in diesen Empfindungen, aber dies alles hätte noch nicht ausgereicht, ihn zu dem äußerliche« Schritt zu bestimmen, der durch weltliche Motive bedingt wurde. Wie sein eigener Bruder wenigstens später darüber dachte, erfahren wir aus einem höchst interessanten und wichtigen Brief des letzteren an Windischmann, den uns Böcking in seiner Gesammtausgabe mittheilt. Es ist eine höchst klägliche und unwürdige Geschichte, dieser Sprung von frivoler Freigeisterei zur Bigoterie, der noch dazu kein eigentlicher Sprung war, denn Schlegel blieb im Schoß der katho¬ lischen Kirche ebenso frivol, als er es früher gewesen war, ein ausgemachter Epikureer und ein philvsophircnder Dilettant, der es sich zum Geschäft machte, schimmernde Paradoxien zu erdenken. Bei Dorothea Schlegel kam noch ein an¬ deres Moment hinzu, nämlich der Haß gegen Berlin, welches sich über ihr Ver¬ hältniß zu Schlegel nicht sehr günstig ausgesprochen hatte, ein Haß, der sich dann auf den gesammten preußischen Staat übertrug und sie ans natürlicher Reaction zu einer leidenschaftlichen Oestreicherin machte. Wir haben diese einzelnen Punkte hervorgehoben, weil sie uns zunächst lagen. Andere Leser werden nach anderer Seite hin suchen und auch hier eine reiche Ausbeute finden. Grade darum glaubten wir sie von vornherein darauf aufmerksam machen zu müssen, sich durch die ungeschickte Bearbeitung nicht abschrecken zu lassen; denn das Buch ist immer ein sehr beachtenswerthes Ma¬ terial für die Einsichten unserer litterarischen Zustände. — W vnsen bericht. Literatur. —- Wir ha.den vor kurzem bei Gelegenheit eines längeren Artikels «ber die Natur des epischen Gedichts eine Reihe von Versuchen in dieser Gattung auf¬ gezählt, die immer mehr Beifall zu gewinnen scheint. Wir fügen heute zwei neue hinzu. „Der Trompeter von Säkkingen", ein Sang vom Oberrhci», von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/125>, abgerufen am 22.07.2024.