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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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nicht allein den Mangel' an eigener Erfindung , sondern in dem ungeschickten
Zusammenkitten einander ursprünglich fremder, aus verschiedenen Sagen ent¬
lehnter einzelner Züge einen noch viel bedenklicheren Mangel an Verständniß
für das poetisch Bedeutsame und für poetischen Zusammenhang.

Dagegen ist viel Fleiß und Sorgfalt daraus verwandt, das äußere Costum
getreu zu wahren und uns durch diese äußerlichen Mittel in das Leben und den
Geist der Zeit zu versetzen; bei allen äußeren Dingen, beim Heerbann, beim
Gottesgericht, beim Kirchgang u. s. w. wird das Ceremonie! streng beobachtet. Als
untergeordnetes Mittel der Darstellung ist auch das nicht zu verschmähen, nur
darf- es sich nicht mit der Anmaßung breit machen, als sei es das Wesentliche,
das die poetische Darstellung zu ersetzen vermöge, wie in den Ritterromanen,
wo es nicht genug edle Recken und blähende Thurmwärtel und Halsberge und
Humpen u. f. in. geben kann, um das gemeine Pack zu verstecken, das darin
sein Wesen treibt. Das gebildete Publicum liest dergleichen nicht mehr und
läßt sich vielleicht um so leichter 'darüber täuschen, daß diese imponirenden
fremdartigen Aeußerlichkeiten auch bei Wagner nur dieselbe grobe Decorations-
arbeit sind, die nicht dafür entschädigen kann, daß es mit der poetischen Ge¬
staltung so mißlich bestellt ist..

Dieselbe Richtung zeigt sich auch in der Behandlung der Sprache, und
da uns diese als ein Muster poetischer Darstellung sogar französisch gepriesen
wird, dürfen wir auch hier wol etwas genauer zusehen, wie es sich mit der
"veränderten Stellung der Factoren des bisherigen opersprachlichen Ausdrucks"
verhalte. Um diesem sprachlichen Ausdruck eine etwas alterthümliche Färbung zu
geben, welche mit den Costümen und Decorationen harmonire, hat Wagner
einzelne Ausdrücke und Wendungen theils aus dem Altdeutschen entlehnt, theils
analog zu bilden gesucht, ein Verfahren, das eben auch nur äußerlich wirken kann
und darum auch von wahren Dichtern nur selten und mit der äußersten Vorsicht
angewandt worden ist. Wenn Wagner seine Personen sagen läßt, ich pslag,
ich frug, in Früh'n, welch' Zaubern, der Helde mein, der Recke
werth, ihr Antlitz trüb' und bleiche, hab Lohn für.so viel Güte,
wenn sie in Treue Kampfespslicht gewahren, zur Zukunft schauen,
in Gott zur Kirche gehen, nie des Unheils genesen, in Unwerth
vergehen u. s. w., so sind das kleine grammatische Neckereien, die niemand
irren werden, allein Ausdrücken wie


Dein harret Unsieg' bittre Neu;
offen des geheimen Buhlen pflegen;
ihm eines Fingers Glied entschlagen;
den Vortritt sollst du überall mir schulden;
solch' kühn Beginnen sollt ihm nicht gebüren;
wem solche Zaubcrrbiere frommen,
des' Äeinhcit achte ich für Wahn;

nicht allein den Mangel' an eigener Erfindung , sondern in dem ungeschickten
Zusammenkitten einander ursprünglich fremder, aus verschiedenen Sagen ent¬
lehnter einzelner Züge einen noch viel bedenklicheren Mangel an Verständniß
für das poetisch Bedeutsame und für poetischen Zusammenhang.

Dagegen ist viel Fleiß und Sorgfalt daraus verwandt, das äußere Costum
getreu zu wahren und uns durch diese äußerlichen Mittel in das Leben und den
Geist der Zeit zu versetzen; bei allen äußeren Dingen, beim Heerbann, beim
Gottesgericht, beim Kirchgang u. s. w. wird das Ceremonie! streng beobachtet. Als
untergeordnetes Mittel der Darstellung ist auch das nicht zu verschmähen, nur
darf- es sich nicht mit der Anmaßung breit machen, als sei es das Wesentliche,
das die poetische Darstellung zu ersetzen vermöge, wie in den Ritterromanen,
wo es nicht genug edle Recken und blähende Thurmwärtel und Halsberge und
Humpen u. f. in. geben kann, um das gemeine Pack zu verstecken, das darin
sein Wesen treibt. Das gebildete Publicum liest dergleichen nicht mehr und
läßt sich vielleicht um so leichter 'darüber täuschen, daß diese imponirenden
fremdartigen Aeußerlichkeiten auch bei Wagner nur dieselbe grobe Decorations-
arbeit sind, die nicht dafür entschädigen kann, daß es mit der poetischen Ge¬
staltung so mißlich bestellt ist..

Dieselbe Richtung zeigt sich auch in der Behandlung der Sprache, und
da uns diese als ein Muster poetischer Darstellung sogar französisch gepriesen
wird, dürfen wir auch hier wol etwas genauer zusehen, wie es sich mit der
„veränderten Stellung der Factoren des bisherigen opersprachlichen Ausdrucks"
verhalte. Um diesem sprachlichen Ausdruck eine etwas alterthümliche Färbung zu
geben, welche mit den Costümen und Decorationen harmonire, hat Wagner
einzelne Ausdrücke und Wendungen theils aus dem Altdeutschen entlehnt, theils
analog zu bilden gesucht, ein Verfahren, das eben auch nur äußerlich wirken kann
und darum auch von wahren Dichtern nur selten und mit der äußersten Vorsicht
angewandt worden ist. Wenn Wagner seine Personen sagen läßt, ich pslag,
ich frug, in Früh'n, welch' Zaubern, der Helde mein, der Recke
werth, ihr Antlitz trüb' und bleiche, hab Lohn für.so viel Güte,
wenn sie in Treue Kampfespslicht gewahren, zur Zukunft schauen,
in Gott zur Kirche gehen, nie des Unheils genesen, in Unwerth
vergehen u. s. w., so sind das kleine grammatische Neckereien, die niemand
irren werden, allein Ausdrücken wie


Dein harret Unsieg' bittre Neu;
offen des geheimen Buhlen pflegen;
ihm eines Fingers Glied entschlagen;
den Vortritt sollst du überall mir schulden;
solch' kühn Beginnen sollt ihm nicht gebüren;
wem solche Zaubcrrbiere frommen,
des' Äeinhcit achte ich für Wahn;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/106>, abgerufen am 22.07.2024.