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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Elsa als Träger sittlicher Ideen und selbstständige, in sich einige, fest ausgeprägte
Gestalten Anspruch auf dramatische Geltung haben. Von, Lohengrin läßt sich
nicht viel sagen. Ein Zweikampf auf dem Theater hat nicht viel zu bedeuten,
und das ist das einzige was er thut, sonst sehen wir ihn immer nur, wie er
Elsa verbietet ihn zu fragen, oder sie auf irgend eine Weise behütet, daß sie
sein Gebot nicht übertrete, selbst die Liebesunterhaltung geht sehr bald diesen
traurigen Weg. In seinen letzten Reden aber ergeht er sich in einer solchen
Salbung und verliert sich zuletzt in eine so breiweiche Sentimentalität, daß
vom Ritter und Helden auch gar nichts übrig bleibt. Aber nicht nur Elsa,
sondern der Chor versichert bei jeder Gelegenheit, daß ihnen das Herze ver¬
gehe, wenn sie den süßen wonniglichen Mann nur schauen, daß ein wunderbar
selig süßes Grauen seine göttliche Sendung offenbare -- und wir sind ver¬
pflichtet, ihnen zu glauben.

Den König und den Heerruser wird niemand als dramatische Gestalten
ansprechen. Es ist freilich übel, daß der König grade Heinrich der Vogler
heißt, mit dem wir den Begriff von tüchtiger Kraft und Einsicht verbinden,
von denen der gute Alte, der hier einen weiten Mantel und eine Krone trägt,
keine Spur verräth; allein man darf nicht unbillig sein ^ der Name geht hier
doch eigentlich nur das Costum und nicht die Person an.

Am übelsten steht es mit den Chören, die auch nicht das Geringste von
dramatischer Individualität an sich haben, denn man wird es doch nicht
Individualisiren nennen, wenn eine Anzahl einzelner Sätze, die alle einer
Vorstellung angehören, unter einzelne Personen, vertheilt werden, wie z, B. bei
der Ankunft des Schwans. Uebrigens hat der Chor gar keine Meinung,
kaum eine eigene Stimmung, davon abgesehen, daß er immer bereit ist über
Lohengrin gerührt zu werden; sonst ist er das getreue Echo dessen, was er zu¬
letzt gehört hat und führt stets einen trivialen Gemeinplatz im Munde. Ein ge¬
lehrter Kritiker hat jüngst entdeckt, daß der Chor im Lohengrin dem "Choros" der
griechischen Tragödie verwandt sei; sollte ihn dazu der Umstand veranlaßt haben,
daß der Chor im Lohengrin an der Handlung keinen Theil nimmt und fast überall
ebensogut hinter den Coulissen singen könnte, so dürfte der gelehrte Thebaner
doch bei genauerem Studium der griechischen Tragiker noch mehr Differenz¬
punkte als Uebereinstimmung finden.

Wir wollen nun nicht fragen, wie weit die prätentiöse Symbolik, welche
Wagner in seinem Stoff gefunden hat, im dramatischen Gedicht realistrt wor¬
den sei; denn selbst wenn dies gelungen wäre, so wäre es ein höchst zweifel¬
hafter Beweis dafür, daß das Drama als solches gelungen sei. Aus der
obigen Analyse geht hervor, daß Lohengrin weder in der Motivirung der
Handlung noch in der Charakteristik der Personen den Anforderungen genügt,
welche man an ein Drama zu stellen hat; wir bemerkten sogar in den Motiven


Grenzboten. I. ->8si. 13

Elsa als Träger sittlicher Ideen und selbstständige, in sich einige, fest ausgeprägte
Gestalten Anspruch auf dramatische Geltung haben. Von, Lohengrin läßt sich
nicht viel sagen. Ein Zweikampf auf dem Theater hat nicht viel zu bedeuten,
und das ist das einzige was er thut, sonst sehen wir ihn immer nur, wie er
Elsa verbietet ihn zu fragen, oder sie auf irgend eine Weise behütet, daß sie
sein Gebot nicht übertrete, selbst die Liebesunterhaltung geht sehr bald diesen
traurigen Weg. In seinen letzten Reden aber ergeht er sich in einer solchen
Salbung und verliert sich zuletzt in eine so breiweiche Sentimentalität, daß
vom Ritter und Helden auch gar nichts übrig bleibt. Aber nicht nur Elsa,
sondern der Chor versichert bei jeder Gelegenheit, daß ihnen das Herze ver¬
gehe, wenn sie den süßen wonniglichen Mann nur schauen, daß ein wunderbar
selig süßes Grauen seine göttliche Sendung offenbare — und wir sind ver¬
pflichtet, ihnen zu glauben.

Den König und den Heerruser wird niemand als dramatische Gestalten
ansprechen. Es ist freilich übel, daß der König grade Heinrich der Vogler
heißt, mit dem wir den Begriff von tüchtiger Kraft und Einsicht verbinden,
von denen der gute Alte, der hier einen weiten Mantel und eine Krone trägt,
keine Spur verräth; allein man darf nicht unbillig sein ^ der Name geht hier
doch eigentlich nur das Costum und nicht die Person an.

Am übelsten steht es mit den Chören, die auch nicht das Geringste von
dramatischer Individualität an sich haben, denn man wird es doch nicht
Individualisiren nennen, wenn eine Anzahl einzelner Sätze, die alle einer
Vorstellung angehören, unter einzelne Personen, vertheilt werden, wie z, B. bei
der Ankunft des Schwans. Uebrigens hat der Chor gar keine Meinung,
kaum eine eigene Stimmung, davon abgesehen, daß er immer bereit ist über
Lohengrin gerührt zu werden; sonst ist er das getreue Echo dessen, was er zu¬
letzt gehört hat und führt stets einen trivialen Gemeinplatz im Munde. Ein ge¬
lehrter Kritiker hat jüngst entdeckt, daß der Chor im Lohengrin dem „Choros" der
griechischen Tragödie verwandt sei; sollte ihn dazu der Umstand veranlaßt haben,
daß der Chor im Lohengrin an der Handlung keinen Theil nimmt und fast überall
ebensogut hinter den Coulissen singen könnte, so dürfte der gelehrte Thebaner
doch bei genauerem Studium der griechischen Tragiker noch mehr Differenz¬
punkte als Uebereinstimmung finden.

Wir wollen nun nicht fragen, wie weit die prätentiöse Symbolik, welche
Wagner in seinem Stoff gefunden hat, im dramatischen Gedicht realistrt wor¬
den sei; denn selbst wenn dies gelungen wäre, so wäre es ein höchst zweifel¬
hafter Beweis dafür, daß das Drama als solches gelungen sei. Aus der
obigen Analyse geht hervor, daß Lohengrin weder in der Motivirung der
Handlung noch in der Charakteristik der Personen den Anforderungen genügt,
welche man an ein Drama zu stellen hat; wir bemerkten sogar in den Motiven


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[0105] Elsa als Träger sittlicher Ideen und selbstständige, in sich einige, fest ausgeprägte Gestalten Anspruch auf dramatische Geltung haben. Von, Lohengrin läßt sich nicht viel sagen. Ein Zweikampf auf dem Theater hat nicht viel zu bedeuten, und das ist das einzige was er thut, sonst sehen wir ihn immer nur, wie er Elsa verbietet ihn zu fragen, oder sie auf irgend eine Weise behütet, daß sie sein Gebot nicht übertrete, selbst die Liebesunterhaltung geht sehr bald diesen traurigen Weg. In seinen letzten Reden aber ergeht er sich in einer solchen Salbung und verliert sich zuletzt in eine so breiweiche Sentimentalität, daß vom Ritter und Helden auch gar nichts übrig bleibt. Aber nicht nur Elsa, sondern der Chor versichert bei jeder Gelegenheit, daß ihnen das Herze ver¬ gehe, wenn sie den süßen wonniglichen Mann nur schauen, daß ein wunderbar selig süßes Grauen seine göttliche Sendung offenbare — und wir sind ver¬ pflichtet, ihnen zu glauben. Den König und den Heerruser wird niemand als dramatische Gestalten ansprechen. Es ist freilich übel, daß der König grade Heinrich der Vogler heißt, mit dem wir den Begriff von tüchtiger Kraft und Einsicht verbinden, von denen der gute Alte, der hier einen weiten Mantel und eine Krone trägt, keine Spur verräth; allein man darf nicht unbillig sein ^ der Name geht hier doch eigentlich nur das Costum und nicht die Person an. Am übelsten steht es mit den Chören, die auch nicht das Geringste von dramatischer Individualität an sich haben, denn man wird es doch nicht Individualisiren nennen, wenn eine Anzahl einzelner Sätze, die alle einer Vorstellung angehören, unter einzelne Personen, vertheilt werden, wie z, B. bei der Ankunft des Schwans. Uebrigens hat der Chor gar keine Meinung, kaum eine eigene Stimmung, davon abgesehen, daß er immer bereit ist über Lohengrin gerührt zu werden; sonst ist er das getreue Echo dessen, was er zu¬ letzt gehört hat und führt stets einen trivialen Gemeinplatz im Munde. Ein ge¬ lehrter Kritiker hat jüngst entdeckt, daß der Chor im Lohengrin dem „Choros" der griechischen Tragödie verwandt sei; sollte ihn dazu der Umstand veranlaßt haben, daß der Chor im Lohengrin an der Handlung keinen Theil nimmt und fast überall ebensogut hinter den Coulissen singen könnte, so dürfte der gelehrte Thebaner doch bei genauerem Studium der griechischen Tragiker noch mehr Differenz¬ punkte als Uebereinstimmung finden. Wir wollen nun nicht fragen, wie weit die prätentiöse Symbolik, welche Wagner in seinem Stoff gefunden hat, im dramatischen Gedicht realistrt wor¬ den sei; denn selbst wenn dies gelungen wäre, so wäre es ein höchst zweifel¬ hafter Beweis dafür, daß das Drama als solches gelungen sei. Aus der obigen Analyse geht hervor, daß Lohengrin weder in der Motivirung der Handlung noch in der Charakteristik der Personen den Anforderungen genügt, welche man an ein Drama zu stellen hat; wir bemerkten sogar in den Motiven Grenzboten. I. ->8si. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/105>, abgerufen am 22.07.2024.