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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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rollt und tobt und schäumt an der leeren Küste und gegen die Thäler. Unter den
grünen Weideflächen ziehen sich in den Niederungen ungeheuere Lager von
Torf hin, häufig an schwarzen Sümpfen, an unheimlichen Wasserpfützen, an
der dürftigen Vegetation erkennbar. An den Abhängen der Berge, in den
weiten Landflächen liegen keine freundlichen Dörfer mit Obstgärten oder Baum¬
gruppen, wie wir sie in unserm Vaterlande kennen. Nur eiuzelue Erdhütten,
erst in der Nähe kenntlich, find wie große Maulwurfshaufen aus dem Boden
aufgeworfen. Statt unserer zahlreichen und wohlgenährten Viehheerden mit dem
lustigen, herzerfreuenden Geläut ficht man dort nnr wenige magere und kleine
Kühe, Schafe und Ziegen, zuweilen ein erbärmlich abgemagertes Roß. Mühsam
suchen sie die Grasspitzen unter dem Heidekraut hervor und mau merkt ihnen
an, daß dies spärliche Futter den größten Theil des Jahres ihre einzige Nahrung
ist. Ihre Weidestellen, die von fern so frisch und grün aussehen, zeigen bei
näherer Betrachtung zwischen Binsen und Torfpflanzen nur ein sehr kurzes und
dünnes Gras; die Freßlust der armen Thiere wird ebenso getäuscht, als das
Auge des Reisenden. Statt der sorgfältig bebaute" Felder, welche unsere Land¬
schaft nicht immer verschönern, aber dem Reisenden doch behaglich und verständig
erscheinen, breiten sich 'dort große ""bebaute Strecke", unordentlich von kleinen
kümmerlichen Feldfläche" ""terbroche". Statt des lebendige" Geräusches, mit
welchem menschlicher Gewerbfleiß unsere Thäler anfüllt, statt dem Dröhnen der
Hämmer, dem Klappern der Mühlräder, hört man dort um die Wohnungen
der Menschen nur das Geschnatter der Gänse, die in großen Schaaren um die
einzelnen Hütten herumwandeln, und das Gr""ze" der ebenfalls zahlreichen
Schweine. Und auf den Berge", an den Seen, im Heidekraut "ud in der Nähe
der Hütte" fehlt vor allem eins, was der schönste Schmuck unserer Landschaften '
ist, das Flattern und Zwitschern der kleinen Singvogel. Dort hört man nur
hier und da den Ton solcher Vögel, die mit der Erde als Lagerstätte vorlieb
nehmen "Nissen, oder das Geschrei der Möven, zuweilen, aber viel seltener alö
bei uns, den fröhlichen Gesang der Lerchen. Wo sollten die anderen Singvögel
ein Zweiglein finden für ihr Nest, da meilenweit weder Baum noch Busch zu
sehen? -- Ans dieser Mischung von imponirenden Massen, glänzender Buntheit
und wilder Einsamkeit kommt jedem, der zuerst das Land betritt, jenes seltsame
Gefühl, als wenn mau in keinem wirklichen Lande wäre, sondern ein melancholisches
Bild sähe oder einen wunderlichen Traum träumte. Und diese Eindrücke werden
. nicht schwächer, wenn man in dem Lande verweilt, sie werden immer bestimmter,
immer mächtiger. Ma" steht auf den Bergen, den Feldern und dem fast ununter-
brochenen Torfmoor der Niederung überall die Trümmer einer vergangenen reichen
und mächtigen Pflanzenwelt. Wurzeln, Aeste und Baumstümpfe von riesenmäßiger
Gestalt ragen an tausend Stellen aus dem Boden hervor oder werden beim
Graben im Torfmoor in geringer Tiefe gefunden, nicht zerseht und nicht ver-


rollt und tobt und schäumt an der leeren Küste und gegen die Thäler. Unter den
grünen Weideflächen ziehen sich in den Niederungen ungeheuere Lager von
Torf hin, häufig an schwarzen Sümpfen, an unheimlichen Wasserpfützen, an
der dürftigen Vegetation erkennbar. An den Abhängen der Berge, in den
weiten Landflächen liegen keine freundlichen Dörfer mit Obstgärten oder Baum¬
gruppen, wie wir sie in unserm Vaterlande kennen. Nur eiuzelue Erdhütten,
erst in der Nähe kenntlich, find wie große Maulwurfshaufen aus dem Boden
aufgeworfen. Statt unserer zahlreichen und wohlgenährten Viehheerden mit dem
lustigen, herzerfreuenden Geläut ficht man dort nnr wenige magere und kleine
Kühe, Schafe und Ziegen, zuweilen ein erbärmlich abgemagertes Roß. Mühsam
suchen sie die Grasspitzen unter dem Heidekraut hervor und mau merkt ihnen
an, daß dies spärliche Futter den größten Theil des Jahres ihre einzige Nahrung
ist. Ihre Weidestellen, die von fern so frisch und grün aussehen, zeigen bei
näherer Betrachtung zwischen Binsen und Torfpflanzen nur ein sehr kurzes und
dünnes Gras; die Freßlust der armen Thiere wird ebenso getäuscht, als das
Auge des Reisenden. Statt der sorgfältig bebaute» Felder, welche unsere Land¬
schaft nicht immer verschönern, aber dem Reisenden doch behaglich und verständig
erscheinen, breiten sich 'dort große »»bebaute Strecke», unordentlich von kleinen
kümmerlichen Feldfläche» »»terbroche». Statt des lebendige» Geräusches, mit
welchem menschlicher Gewerbfleiß unsere Thäler anfüllt, statt dem Dröhnen der
Hämmer, dem Klappern der Mühlräder, hört man dort um die Wohnungen
der Menschen nur das Geschnatter der Gänse, die in großen Schaaren um die
einzelnen Hütten herumwandeln, und das Gr»»ze» der ebenfalls zahlreichen
Schweine. Und auf den Berge», an den Seen, im Heidekraut »ud in der Nähe
der Hütte» fehlt vor allem eins, was der schönste Schmuck unserer Landschaften '
ist, das Flattern und Zwitschern der kleinen Singvogel. Dort hört man nur
hier und da den Ton solcher Vögel, die mit der Erde als Lagerstätte vorlieb
nehmen »Nissen, oder das Geschrei der Möven, zuweilen, aber viel seltener alö
bei uns, den fröhlichen Gesang der Lerchen. Wo sollten die anderen Singvögel
ein Zweiglein finden für ihr Nest, da meilenweit weder Baum noch Busch zu
sehen? — Ans dieser Mischung von imponirenden Massen, glänzender Buntheit
und wilder Einsamkeit kommt jedem, der zuerst das Land betritt, jenes seltsame
Gefühl, als wenn mau in keinem wirklichen Lande wäre, sondern ein melancholisches
Bild sähe oder einen wunderlichen Traum träumte. Und diese Eindrücke werden
. nicht schwächer, wenn man in dem Lande verweilt, sie werden immer bestimmter,
immer mächtiger. Ma» steht auf den Bergen, den Feldern und dem fast ununter-
brochenen Torfmoor der Niederung überall die Trümmer einer vergangenen reichen
und mächtigen Pflanzenwelt. Wurzeln, Aeste und Baumstümpfe von riesenmäßiger
Gestalt ragen an tausend Stellen aus dem Boden hervor oder werden beim
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/10>, abgerufen am 28.09.2024.