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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Bilder von der Nordküste Irlands.
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Wenn es eine Landschaft gibt, welche in Umriß und Farben charakteristisch
ist für das Gemüth und das Leben ihrer Bewohner, so sind es die^Gegenden im
Norden und Westen Irlands. Wehmuth, Trauer, Grauen, liebenswürdige An¬
muth und einige fast humoristische Gegensatze in Farbe und Umriß imponiren dem
Reisenden, der von Dublin aus hinauf reist, um so mehr, je näher er dem Meere
kommt. Dort im Norden hat ein wilder stürmischer Ocean in hunderttausend-
jährigem Kampf die felsigen Ufer oft durchbrochen und in abenteuerliche Formen
und Massen ausgehöhlt. Dort ragen Hügelketten und einzelne Berge, in der
größten Mannigfaltigkeit der Bildung, zuweilen-in solcher Schönheit der Umrisse,
als ob ein künstlerisches Genie sie vorzugsweise zur Freude des menschlichen Auges
geschaffen hätte; und all diese Spitzen und Höhen schimmern im Sonnenschein, wenn
das Heidekraut blüht, ,in einem so diesen und reichen Purpurroth, daß sie ans einem
Märchenland emporgctancht scheinen. Dort liegen in den weiten Thälern Sü߬
wasserseen von einer unbeschreiblich lieblichen Klarheit, genährt durch zahlreiche
Bergwasser, welche nach einem Regenwetter mit imponirender Macht von dem
Felsen herunterbrausen. Weithin strecken sich Feldflächen und Weideländer in
einem eigenthümliche" Blaugrün, das mit dem Purpur der grotesken Berge, dem
Blau der Seen und der düsteren Farbe des Oceans wunderbar contrastirt. Aber
diese Landschaft, voll von Farbe und knhngcschwnugeucu Linien ist unbelebt, öde,
wie dnrch einen finstern Zauber gebannt. Die schönen Berge find nicht bekrönt
durch die Stämme der Waldbäume, selbst das Buschholz ist nicht auf ihnen
heimisch, nur der Stechginster, die charakteristischste Pflanze der irischen Hügel,
schmückt sie in den Frühlingsmonaten mit einem lebhaften Hochgelb. Die Buchten
und Seen liegen einsam; nur zuweilen zeigt sich ein einzelner Fischerkahn oder
ein kleiner Segler, der einer halbtodten Stadt unweit der Küste spärlichen
Lebensbedarf zuführt. Die volle, furchtbare Gewalt des ungefesselten Nordmeeres


Grenzboten. I- ->8"i- 1
Bilder von der Nordküste Irlands.
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Wenn es eine Landschaft gibt, welche in Umriß und Farben charakteristisch
ist für das Gemüth und das Leben ihrer Bewohner, so sind es die^Gegenden im
Norden und Westen Irlands. Wehmuth, Trauer, Grauen, liebenswürdige An¬
muth und einige fast humoristische Gegensatze in Farbe und Umriß imponiren dem
Reisenden, der von Dublin aus hinauf reist, um so mehr, je näher er dem Meere
kommt. Dort im Norden hat ein wilder stürmischer Ocean in hunderttausend-
jährigem Kampf die felsigen Ufer oft durchbrochen und in abenteuerliche Formen
und Massen ausgehöhlt. Dort ragen Hügelketten und einzelne Berge, in der
größten Mannigfaltigkeit der Bildung, zuweilen-in solcher Schönheit der Umrisse,
als ob ein künstlerisches Genie sie vorzugsweise zur Freude des menschlichen Auges
geschaffen hätte; und all diese Spitzen und Höhen schimmern im Sonnenschein, wenn
das Heidekraut blüht, ,in einem so diesen und reichen Purpurroth, daß sie ans einem
Märchenland emporgctancht scheinen. Dort liegen in den weiten Thälern Sü߬
wasserseen von einer unbeschreiblich lieblichen Klarheit, genährt durch zahlreiche
Bergwasser, welche nach einem Regenwetter mit imponirender Macht von dem
Felsen herunterbrausen. Weithin strecken sich Feldflächen und Weideländer in
einem eigenthümliche» Blaugrün, das mit dem Purpur der grotesken Berge, dem
Blau der Seen und der düsteren Farbe des Oceans wunderbar contrastirt. Aber
diese Landschaft, voll von Farbe und knhngcschwnugeucu Linien ist unbelebt, öde,
wie dnrch einen finstern Zauber gebannt. Die schönen Berge find nicht bekrönt
durch die Stämme der Waldbäume, selbst das Buschholz ist nicht auf ihnen
heimisch, nur der Stechginster, die charakteristischste Pflanze der irischen Hügel,
schmückt sie in den Frühlingsmonaten mit einem lebhaften Hochgelb. Die Buchten
und Seen liegen einsam; nur zuweilen zeigt sich ein einzelner Fischerkahn oder
ein kleiner Segler, der einer halbtodten Stadt unweit der Küste spärlichen
Lebensbedarf zuführt. Die volle, furchtbare Gewalt des ungefesselten Nordmeeres


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[0009] Bilder von der Nordküste Irlands. ^- Wenn es eine Landschaft gibt, welche in Umriß und Farben charakteristisch ist für das Gemüth und das Leben ihrer Bewohner, so sind es die^Gegenden im Norden und Westen Irlands. Wehmuth, Trauer, Grauen, liebenswürdige An¬ muth und einige fast humoristische Gegensatze in Farbe und Umriß imponiren dem Reisenden, der von Dublin aus hinauf reist, um so mehr, je näher er dem Meere kommt. Dort im Norden hat ein wilder stürmischer Ocean in hunderttausend- jährigem Kampf die felsigen Ufer oft durchbrochen und in abenteuerliche Formen und Massen ausgehöhlt. Dort ragen Hügelketten und einzelne Berge, in der größten Mannigfaltigkeit der Bildung, zuweilen-in solcher Schönheit der Umrisse, als ob ein künstlerisches Genie sie vorzugsweise zur Freude des menschlichen Auges geschaffen hätte; und all diese Spitzen und Höhen schimmern im Sonnenschein, wenn das Heidekraut blüht, ,in einem so diesen und reichen Purpurroth, daß sie ans einem Märchenland emporgctancht scheinen. Dort liegen in den weiten Thälern Sü߬ wasserseen von einer unbeschreiblich lieblichen Klarheit, genährt durch zahlreiche Bergwasser, welche nach einem Regenwetter mit imponirender Macht von dem Felsen herunterbrausen. Weithin strecken sich Feldflächen und Weideländer in einem eigenthümliche» Blaugrün, das mit dem Purpur der grotesken Berge, dem Blau der Seen und der düsteren Farbe des Oceans wunderbar contrastirt. Aber diese Landschaft, voll von Farbe und knhngcschwnugeucu Linien ist unbelebt, öde, wie dnrch einen finstern Zauber gebannt. Die schönen Berge find nicht bekrönt durch die Stämme der Waldbäume, selbst das Buschholz ist nicht auf ihnen heimisch, nur der Stechginster, die charakteristischste Pflanze der irischen Hügel, schmückt sie in den Frühlingsmonaten mit einem lebhaften Hochgelb. Die Buchten und Seen liegen einsam; nur zuweilen zeigt sich ein einzelner Fischerkahn oder ein kleiner Segler, der einer halbtodten Stadt unweit der Küste spärlichen Lebensbedarf zuführt. Die volle, furchtbare Gewalt des ungefesselten Nordmeeres Grenzboten. I- ->8»i- 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/9>, abgerufen am 26.06.2024.