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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Umstand, daß aus den bisher beobachteten Phänomenen eine solche Reduction der
Kräfte noch nicht hat durchgeführt werden können, würde an sich diese Hypothese
noch nicht widerlegen, doch werden die Vertheidiger der Lebenskraft immer die
Beobachtung für sich anführen können, daß selbst in den chemischen Processen or¬
ganischer Körper, solange das Leben dauert, ganz andere chemische Gesetze walten,
als in der anorganischen Natur, und daß erst mit dem Eintreten des Todes die
gemeine Chemie in ihre Rechte eintritt. -- Die Materialisten gehen von dem
Grundsatz aus, daß eine-Kraft überhaupt nicht für sich denkbar ist, sondern nur
als Eigenschaft von Dingen; daß es z. B. keine Anziehungskraft für sich gibt,
sondern nur insofern sie von bestimmten Körpern ausgeübt wird. Den Inbegriff
dieser Dinge nennen sie Materie, und dieser Materie sammt den ihr inwohnenden
Kräften legen sie ausschließlich das Prädicat des Seins, des Werdens u. s. w. bei;
Prädicate, die man früher nur in dem individuellen Leben suchte. -- Es ist uicht
zu verkennen, daß sich hier Abstraktion an Abstraction reibt. Solange der Einfluß
der Theologie auf die Naturwissenschaft fortdauerte, glaubte man eigentlich nnr an
die Existenz des Geistigen. Die Materie behandelte man als etwas Gleichgiltiges,
Werthloses und Richtiges. Das Leben war ein Reich des Wunders; die Stoffe
nnr ein Spielraum, in welchem sich zufällig nur der Geist bethätigte, da er ebenso¬
gut auch einen andern hätte wählen können. -- Diese Wnndertheorie würde freilich
jede Naturwissenschaft unnöthig machen, aber die Materialisten vergessen dabei, daß
ihr eignes Grundprincip, die Materie, etwas ebenso Abstraktes und Bedeutungsloses
ist, als die entgegengesetzte Abstraction der Kraft oder des Lebens. -- Diese dop¬
pelte Einseitigkeit hat der Verfasser des vorliegenden Büchleins richtig durchschaut,
aber er versucht an ihre Stelle eine neue Theorie zu setzen, die nicht viel haltbarer
sein dürfte. Da man die Existenz verschiedenartiger Kräfte, z. B. der mechanischen,
der chemischen, der elektrischen u. f. w. zugibt, warum sollte man daneben nicht
auch eine Lebenskraft annehmen, die allerdings den Gesetzen jener nicht widersprechen
dürste, die aber noch ganz andere Seiten der Natur entwickeln könnte? -- Was
man nun aber unter Elektricität, Schwere u. tgi. versteht, ist weiter nichts als der
Inbegriff verschiedener gleichartiger Erscheinungen, die man vorläufig als eine Ein¬
heit bestehen läßt, solange man nicht weitere Anknüpfungen oder Unterschiede ge¬
sunden hat. So wissen wir z. B. schon jetzt, daß die Erscheinungen der Elektri¬
cität und des Magnetismus zusammengehören. Ueber die Kraft, welche beiden zu
Grunde liegt, ist dadurch freilich noch, nichts ausgemacht, und w.cum die Natur¬
wissenschaft keine andere Aufgabe hätte, als Räthsel zu lösen, so würde ein solches
Resultat freilich sehr betrübend sei"; allein die echte Naturwissenschaft begnügt sich
zunächst auch immer damit, die Grenze festzustellen, wo ihr Wissen aufhört. Sie
weiß, daß die elektrischen und magnetischen Erscheinungen zusammengehören, und
kann den Beweis jeden Augenblick durch ein argumvittui" -ni l!<imm"in führen: wenn
man sie aber fragt, warum sie zusammengehören, so wird sie sich bescheiden müssen
zu erklären, sie wisse es nicht. -- Und so wird es anch mit der organischen Chemie,
mit der ganzen Physiologie der Fall sein. Wir wissen, daß bei lebendigen Wesen
anbete chemische Gesetze gelten, als in der anorganischen Natur und wir können
diese Gesetze wenigstens bis zu einer gewissen Grenze constatiren, Mein den Grund
davon wissen wir nicht anzugeben, und es ist am besten, wenn wir das offeiv sagen.


Umstand, daß aus den bisher beobachteten Phänomenen eine solche Reduction der
Kräfte noch nicht hat durchgeführt werden können, würde an sich diese Hypothese
noch nicht widerlegen, doch werden die Vertheidiger der Lebenskraft immer die
Beobachtung für sich anführen können, daß selbst in den chemischen Processen or¬
ganischer Körper, solange das Leben dauert, ganz andere chemische Gesetze walten,
als in der anorganischen Natur, und daß erst mit dem Eintreten des Todes die
gemeine Chemie in ihre Rechte eintritt. — Die Materialisten gehen von dem
Grundsatz aus, daß eine-Kraft überhaupt nicht für sich denkbar ist, sondern nur
als Eigenschaft von Dingen; daß es z. B. keine Anziehungskraft für sich gibt,
sondern nur insofern sie von bestimmten Körpern ausgeübt wird. Den Inbegriff
dieser Dinge nennen sie Materie, und dieser Materie sammt den ihr inwohnenden
Kräften legen sie ausschließlich das Prädicat des Seins, des Werdens u. s. w. bei;
Prädicate, die man früher nur in dem individuellen Leben suchte. — Es ist uicht
zu verkennen, daß sich hier Abstraktion an Abstraction reibt. Solange der Einfluß
der Theologie auf die Naturwissenschaft fortdauerte, glaubte man eigentlich nnr an
die Existenz des Geistigen. Die Materie behandelte man als etwas Gleichgiltiges,
Werthloses und Richtiges. Das Leben war ein Reich des Wunders; die Stoffe
nnr ein Spielraum, in welchem sich zufällig nur der Geist bethätigte, da er ebenso¬
gut auch einen andern hätte wählen können. — Diese Wnndertheorie würde freilich
jede Naturwissenschaft unnöthig machen, aber die Materialisten vergessen dabei, daß
ihr eignes Grundprincip, die Materie, etwas ebenso Abstraktes und Bedeutungsloses
ist, als die entgegengesetzte Abstraction der Kraft oder des Lebens. — Diese dop¬
pelte Einseitigkeit hat der Verfasser des vorliegenden Büchleins richtig durchschaut,
aber er versucht an ihre Stelle eine neue Theorie zu setzen, die nicht viel haltbarer
sein dürfte. Da man die Existenz verschiedenartiger Kräfte, z. B. der mechanischen,
der chemischen, der elektrischen u. f. w. zugibt, warum sollte man daneben nicht
auch eine Lebenskraft annehmen, die allerdings den Gesetzen jener nicht widersprechen
dürste, die aber noch ganz andere Seiten der Natur entwickeln könnte? — Was
man nun aber unter Elektricität, Schwere u. tgi. versteht, ist weiter nichts als der
Inbegriff verschiedener gleichartiger Erscheinungen, die man vorläufig als eine Ein¬
heit bestehen läßt, solange man nicht weitere Anknüpfungen oder Unterschiede ge¬
sunden hat. So wissen wir z. B. schon jetzt, daß die Erscheinungen der Elektri¬
cität und des Magnetismus zusammengehören. Ueber die Kraft, welche beiden zu
Grunde liegt, ist dadurch freilich noch, nichts ausgemacht, und w.cum die Natur¬
wissenschaft keine andere Aufgabe hätte, als Räthsel zu lösen, so würde ein solches
Resultat freilich sehr betrübend sei»; allein die echte Naturwissenschaft begnügt sich
zunächst auch immer damit, die Grenze festzustellen, wo ihr Wissen aufhört. Sie
weiß, daß die elektrischen und magnetischen Erscheinungen zusammengehören, und
kann den Beweis jeden Augenblick durch ein argumvittui» -ni l!<imm«in führen: wenn
man sie aber fragt, warum sie zusammengehören, so wird sie sich bescheiden müssen
zu erklären, sie wisse es nicht. — Und so wird es anch mit der organischen Chemie,
mit der ganzen Physiologie der Fall sein. Wir wissen, daß bei lebendigen Wesen
anbete chemische Gesetze gelten, als in der anorganischen Natur und wir können
diese Gesetze wenigstens bis zu einer gewissen Grenze constatiren, Mein den Grund
davon wissen wir nicht anzugeben, und es ist am besten, wenn wir das offeiv sagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/86>, abgerufen am 29.12.2024.