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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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in der Regel nicht mehr Glauben schenkt als einem Theaterzettel oder eine in
Parfümerieprogramme. Richtiger gesagt lassen sich nur die Gimpel noch an¬
führen, deren beneidenswertes Loos es auf Erden ist, unter allen Verhält¬
nissen angeführt zu werden. So ein Feuilletonist mag sich nun oft denken
daß das Publicum längst Baumwolle in den Ohren habe gegen die verführe¬
rische Stimme der Feuilletonsirenen und er sündigt auf diesen Talisman hin>
mit um so größerer Behaglichkeit los als ihm diese Sünden häufig an
die verschiedenste Weise versüßt werden. Es gibt Kritiker, die sich einreden,
ironisch zu loben, und es ist unter den Eingeweihten im Publicum in der
Wirklichkeit herkömmlich geworden, einen Autor, oder einen Künstler, der nicht
als Genie angepriesen wird, für einen Stümper zu halten, ohne daß zu¬
gleich ausgemacht wäre, er sei keiner, wenn er vom Feuilleton als Genius
proclamirt wird.

Ein anderer Beweis der Gesunkenheit des modernen Feuilletons ist, daß
die Verschiedenheit der literarischen Farbe beinahe verschwunden ist -- die
Kritik ist einer fast allgemein gewordenen Monochromie verfallen, die sich wieder
nur aus der künstlerischen Gleichgiltigkeit erklären läßt, die ich als Haupt¬
grund der Charakterlosigkeit des Feuilletons von heute angegeben habe, und
man kann täglich Mozart, Meyerbeer und Donizetti, Shakespeare, Dumas,
und Ponsard, Rafael und Horace Vernet in einen Farbentopf geworfen sehen.
Ich brauche mich wol nicht erst vor dem Vorwurfe zu rechtfertigen" als wünschte
ich Einseitigkeit, blinde Ausschließlichkeit in der Kritik vorherrschend, aber ohne
leitende Grundsätze, ohne Ideal, ohne bestimmenden Kunstglauben eristirt keine
Kritik. Der Dillettant mag Eklektiker sein und beim Künstler kann Eklekticis¬
mus, wenn er in einer gewaltigen Individualität verarbeitet wird, seine Be¬
rechtigung finden -- der Kritiker aber muß einer jeden Kunstleistung gerecht
werden können, ohne selbst Eklektiker zu sein.

In der heutigen Kritik aber ist Eklekticismus ganz allein herrschend. Die
Romantiker haben blos die bilderreichere Sprache und die Geläufigkeit der
paradoren Aufstellungen beibehalten, und selbst die Legitimisten, welche die
reactionären Tendenzen in der Literatur wie in der Politik vertreten, fangen
mit wenigen Ausnahmen, an, in diese allgemeine Farblosigkeit sich zu ver¬
mischen. Diese Erfahrung- erklärt sich auch aus der Camaraderie, welche ti.e
einzige Seite der schriftstellerischen Solidarität ist, die man noch zu erhalten
gesucht. Weil den kritischen Schriftstellern das, was sie treiben, nicht heilig
ist, lassen sie sich von Liebesdienst zu Liebesdienst bis zur charakterlosesten
Lobhudelei verleiten und es wird ihnen dieses Metier in ihren eignen Augen
so verleidet, daß sie selten ein Buch besprechen, sondern stets daneben hertra¬
ben, um so das Undankbare ihrer Aufgabe zu mildern.

Ein neues Journal haben wir erlebt, es ist die erste Nummer der Revue


in der Regel nicht mehr Glauben schenkt als einem Theaterzettel oder eine in
Parfümerieprogramme. Richtiger gesagt lassen sich nur die Gimpel noch an¬
führen, deren beneidenswertes Loos es auf Erden ist, unter allen Verhält¬
nissen angeführt zu werden. So ein Feuilletonist mag sich nun oft denken
daß das Publicum längst Baumwolle in den Ohren habe gegen die verführe¬
rische Stimme der Feuilletonsirenen und er sündigt auf diesen Talisman hin>
mit um so größerer Behaglichkeit los als ihm diese Sünden häufig an
die verschiedenste Weise versüßt werden. Es gibt Kritiker, die sich einreden,
ironisch zu loben, und es ist unter den Eingeweihten im Publicum in der
Wirklichkeit herkömmlich geworden, einen Autor, oder einen Künstler, der nicht
als Genie angepriesen wird, für einen Stümper zu halten, ohne daß zu¬
gleich ausgemacht wäre, er sei keiner, wenn er vom Feuilleton als Genius
proclamirt wird.

Ein anderer Beweis der Gesunkenheit des modernen Feuilletons ist, daß
die Verschiedenheit der literarischen Farbe beinahe verschwunden ist — die
Kritik ist einer fast allgemein gewordenen Monochromie verfallen, die sich wieder
nur aus der künstlerischen Gleichgiltigkeit erklären läßt, die ich als Haupt¬
grund der Charakterlosigkeit des Feuilletons von heute angegeben habe, und
man kann täglich Mozart, Meyerbeer und Donizetti, Shakespeare, Dumas,
und Ponsard, Rafael und Horace Vernet in einen Farbentopf geworfen sehen.
Ich brauche mich wol nicht erst vor dem Vorwurfe zu rechtfertigen» als wünschte
ich Einseitigkeit, blinde Ausschließlichkeit in der Kritik vorherrschend, aber ohne
leitende Grundsätze, ohne Ideal, ohne bestimmenden Kunstglauben eristirt keine
Kritik. Der Dillettant mag Eklektiker sein und beim Künstler kann Eklekticis¬
mus, wenn er in einer gewaltigen Individualität verarbeitet wird, seine Be¬
rechtigung finden — der Kritiker aber muß einer jeden Kunstleistung gerecht
werden können, ohne selbst Eklektiker zu sein.

In der heutigen Kritik aber ist Eklekticismus ganz allein herrschend. Die
Romantiker haben blos die bilderreichere Sprache und die Geläufigkeit der
paradoren Aufstellungen beibehalten, und selbst die Legitimisten, welche die
reactionären Tendenzen in der Literatur wie in der Politik vertreten, fangen
mit wenigen Ausnahmen, an, in diese allgemeine Farblosigkeit sich zu ver¬
mischen. Diese Erfahrung- erklärt sich auch aus der Camaraderie, welche ti.e
einzige Seite der schriftstellerischen Solidarität ist, die man noch zu erhalten
gesucht. Weil den kritischen Schriftstellern das, was sie treiben, nicht heilig
ist, lassen sie sich von Liebesdienst zu Liebesdienst bis zur charakterlosesten
Lobhudelei verleiten und es wird ihnen dieses Metier in ihren eignen Augen
so verleidet, daß sie selten ein Buch besprechen, sondern stets daneben hertra¬
ben, um so das Undankbare ihrer Aufgabe zu mildern.

Ein neues Journal haben wir erlebt, es ist die erste Nummer der Revue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/74>, abgerufen am 22.07.2024.