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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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aber es ist nichts weiter und bleibt beim Alten, weil das andere Gefühl, daß
es doch so gut zum Ganzen passe, vorherrschend wird. Die jüngst erwähnte
Verletzung der gesammten kritischen Presse durch den Staatsminister wäre von
keiner andern Regierung gewagt worden, und doch hat Herr Fould seinen Wil¬
len durchgesetzt, ohne daß die Feuilletonisten es über den Anlauf zu einem
Versuche von Protestation hinaufgebracht hätten. Die französische Presse ist so
herabgekommen, daß sie sogar in ihrer unverwundlichsten Seite, im Corporations-
wesen, gebrochen ist. Die Socialisten bildeten sonst eine festgegliederte Körper¬
schaft, deren Angehörige alle für einen standen und fielen. Ich will die vie¬
len und großen Nachtheile eines solchen Zustandes nicht verkennen, aber es
muß zugegeben werden, daß das Zusammenhalten der Schriftsteller, wenn in
irgendeinem Falle, Regierungsübergriffen gegenüber am gehörigen Platze sei.
Die Redactionen aber hängen, wie ich unlängst bemerkt habe, von industriell¬
gesinnten Actionären und die Schriftsteller von ihrer eignen Schwäche ab.
Die Presse ließ Herr Fould gewähren, sie widersetzte sich nicht, sie wahrte ihre
Unabhängigkeit nicht, sie nahm die Capitulationsbedingungcn, die das Staats¬
ministerium vorschlug, ohne weiteres an. Mit dieser Annahme wurde zugleich
auch jede freie Stellung der Kritik der kaiserlichen Akademie gegenüber aufgegeben,
denn wer A sagt muß auch B sagen; wie erschüttert das Ansehen der kritischen
Journalistik ist, wie gelockert das Band, das die Schriftsteller oft zum Guten
zusammenhielt, geht auch aus dem Umstände hervor, daß sie auf ihre innere
Jurisdiction, die sich bisher als Ehrengericht oft vortheilhaft an den Tag legte,
ganz verzichtet hat. Es ist in jüngster Zeit geschehen, daß ein Feuilletonist
der verabscheuungswerthesten Käuflichkeit überwiesen wurde, ohne daß das ver¬
letzte Ehrgefühl der Kritiker den Ausschluß dieses unwürdigen Mitgliedes auch
nur versucht hätte. In einem Lande wie Deutschland, wo die Literatur demo-
ralisirt ist, wo eigentlich gar keine Gemeinschaftlichkeit herrscht, Härte das gar
nichts zu bedeuten. Hier aber fühlen sich die Schriftsteller als Gemeinschaft
und zu jeder andern Zeit würde sich ihr Nerdict geltend gemacht haben. Man
ist eben gegen die Kunst gleichgiltiger geworden, und so kümmert man sich
auch wenig darum, welche Motive bei der Kritik die Feder führen. Bei dem
jetzigen Zustande von Miasma ist es vielmehr zu verwundern, daß nicht
noch häufigere Fälle von Bestechlichkeit vorkommen als ohnehin schon nachge¬
wiesen werden. Die Charakterlosigkeit braucht bei den häusigsten Gelegenheiten
nicht erst bezahlt zu werden, sie ist vorhanden, sie wird von dem Mangel an
Interesse für das, was man als Priesterthum betrachten sollte, bedingt und sie
wird vergrößert durch daS gesunkene Ansehen der heutigen französischen Kritik.
Theils durch diese Leichtfertigkeit, theils durch angebornes Wohlwollen, endlich
infolge der von Alters gewohnten Anpreisung der französischen Kritik-ist. incl
Publicum so mißtrauisch gegen die Presse geworden, daß man ein-eÄ WrNlleton


Grenzboten. IV. 18Si. 9

aber es ist nichts weiter und bleibt beim Alten, weil das andere Gefühl, daß
es doch so gut zum Ganzen passe, vorherrschend wird. Die jüngst erwähnte
Verletzung der gesammten kritischen Presse durch den Staatsminister wäre von
keiner andern Regierung gewagt worden, und doch hat Herr Fould seinen Wil¬
len durchgesetzt, ohne daß die Feuilletonisten es über den Anlauf zu einem
Versuche von Protestation hinaufgebracht hätten. Die französische Presse ist so
herabgekommen, daß sie sogar in ihrer unverwundlichsten Seite, im Corporations-
wesen, gebrochen ist. Die Socialisten bildeten sonst eine festgegliederte Körper¬
schaft, deren Angehörige alle für einen standen und fielen. Ich will die vie¬
len und großen Nachtheile eines solchen Zustandes nicht verkennen, aber es
muß zugegeben werden, daß das Zusammenhalten der Schriftsteller, wenn in
irgendeinem Falle, Regierungsübergriffen gegenüber am gehörigen Platze sei.
Die Redactionen aber hängen, wie ich unlängst bemerkt habe, von industriell¬
gesinnten Actionären und die Schriftsteller von ihrer eignen Schwäche ab.
Die Presse ließ Herr Fould gewähren, sie widersetzte sich nicht, sie wahrte ihre
Unabhängigkeit nicht, sie nahm die Capitulationsbedingungcn, die das Staats¬
ministerium vorschlug, ohne weiteres an. Mit dieser Annahme wurde zugleich
auch jede freie Stellung der Kritik der kaiserlichen Akademie gegenüber aufgegeben,
denn wer A sagt muß auch B sagen; wie erschüttert das Ansehen der kritischen
Journalistik ist, wie gelockert das Band, das die Schriftsteller oft zum Guten
zusammenhielt, geht auch aus dem Umstände hervor, daß sie auf ihre innere
Jurisdiction, die sich bisher als Ehrengericht oft vortheilhaft an den Tag legte,
ganz verzichtet hat. Es ist in jüngster Zeit geschehen, daß ein Feuilletonist
der verabscheuungswerthesten Käuflichkeit überwiesen wurde, ohne daß das ver¬
letzte Ehrgefühl der Kritiker den Ausschluß dieses unwürdigen Mitgliedes auch
nur versucht hätte. In einem Lande wie Deutschland, wo die Literatur demo-
ralisirt ist, wo eigentlich gar keine Gemeinschaftlichkeit herrscht, Härte das gar
nichts zu bedeuten. Hier aber fühlen sich die Schriftsteller als Gemeinschaft
und zu jeder andern Zeit würde sich ihr Nerdict geltend gemacht haben. Man
ist eben gegen die Kunst gleichgiltiger geworden, und so kümmert man sich
auch wenig darum, welche Motive bei der Kritik die Feder führen. Bei dem
jetzigen Zustande von Miasma ist es vielmehr zu verwundern, daß nicht
noch häufigere Fälle von Bestechlichkeit vorkommen als ohnehin schon nachge¬
wiesen werden. Die Charakterlosigkeit braucht bei den häusigsten Gelegenheiten
nicht erst bezahlt zu werden, sie ist vorhanden, sie wird von dem Mangel an
Interesse für das, was man als Priesterthum betrachten sollte, bedingt und sie
wird vergrößert durch daS gesunkene Ansehen der heutigen französischen Kritik.
Theils durch diese Leichtfertigkeit, theils durch angebornes Wohlwollen, endlich
infolge der von Alters gewohnten Anpreisung der französischen Kritik-ist. incl
Publicum so mißtrauisch gegen die Presse geworden, daß man ein-eÄ WrNlleton


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/73>, abgerufen am 22.07.2024.