Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so verbarg sich hinter dieser Ertase der Abscheu vor den? Perückenhaften
Wesen Nacines, mit seinen Hoffiguren, welche griechische Helden darstellen
sollten. Wenn wieder die Vertheidiger der classischen Schule uns haarsträu¬
bende Geschichten von dem Unwesen der jungen Romantiker erzählten, so waren
diese Repressalien gemildert durch den Gedanken, daß jene Anhänger in Racine
mit Recht die Meisterhaftigkeit der Sprache und der Form ihren Gegnern ent¬
gegenhielten, die von diesen mit zuviel sens l'^"n behandelt worden war und
noch wird. Der Kampf war von beiden Seiten ein gerechtfertigter, weil beide
Parteien durch eine große Leidenschaft getrieben wurden, . Beide hatten einen
literarischen Glauben, beide fühlten lebhaftes Interesse für die Kunst und
alles, was in ihren Kreis geHort, Auf dem Gebiete der bildenden Künste
machten sich dieselben Erscheinungen bemerklich: die Coloristen standen den An¬
betern der Linie mit ebensoviel Feuer wie die Romantiker den Klassikern gegen¬
über. In der Musik wäre auch ähnliches nachzuweisen und wir dürfen in
dieser Beziehung nur an die Bewegung erinnern, die Berlioz erste Schöpfungen
hervorgerufen hatten. Es war allenthalben heißblütiges Leben in der künst¬
lerischen wie in der literarischen Welt und die Feuilletonisten waren auf der
Höhe ihrer Aufgabe als Vermittler zwischen dem gebildeten Publicum und. je¬
nen productiven Geistern in der Literatur wie in d^r Kunst.

Diese und ähnliche Betrachtungen habe ich oft angestellt, bei der hand¬
werksmäßigen Weise unserer heutigen Kritik und bei den vielen Skandalen,
welche dem Eingeweihten hier jeden Tag begegnen. Der Leser erwarte von
mir keine skandalösen Enthüllungen, ich überlasse diese Arbeit gern literarischen
Herkulessen, welche den Muth, und einen genug starken Besen haben, den Augias¬
stall der heutigen Feuilletons zu säubern. Ich glaube auch nicht, daß man
der Literatur -einen guten Dienst erweist, wenn man in diesem Düngerhaufen
herumwühlt. Der Philister verdient die Schadenfreude nicht, die ihm diese
Herabwürdigung wenn auch falscher Jünger der Geistesaristokratie verursacht.
Die Spießbürger finden es ebenso natürlich, von den Literaten alle Tugenden
beanspruchen zu dürfen, wie die Diplomaten von ven Liberalen -- sie sind
naiv genug, Eigennutz "ud andere menschliche Schwächen als ausschließliches
Privilegium- in Anspruch zu nehmen. Ich werde mich also jeder Anekdote
hier enthalten^ obgleich die erbaulichsten zu meiner Verfügung ständen -- ich
will mich nur ans Allgemeine halten, um zu zeigen, wie alle höheren Inter¬
essen solidarisch verbunden sind old daß in einem Lande mit einem Regime, mit
einer Gesellschaft wie die jetzige in Frankreich.auch die Literatur und die Kritik
in einem erbärmlichen Zustande sein müssen. Die Schwächen der Gesellschaft
sind allerdings niemals mit mehr Konsequenz ausgebeutet worden als jetzt. Die
Franzosen, namentlich alles was zur Presse gehört, fühlen sich oft noch von einer
neuen Maßregel überrascht und sie recken die Hände wie ein gefesselter Niese;


so verbarg sich hinter dieser Ertase der Abscheu vor den? Perückenhaften
Wesen Nacines, mit seinen Hoffiguren, welche griechische Helden darstellen
sollten. Wenn wieder die Vertheidiger der classischen Schule uns haarsträu¬
bende Geschichten von dem Unwesen der jungen Romantiker erzählten, so waren
diese Repressalien gemildert durch den Gedanken, daß jene Anhänger in Racine
mit Recht die Meisterhaftigkeit der Sprache und der Form ihren Gegnern ent¬
gegenhielten, die von diesen mit zuviel sens l'^«n behandelt worden war und
noch wird. Der Kampf war von beiden Seiten ein gerechtfertigter, weil beide
Parteien durch eine große Leidenschaft getrieben wurden, . Beide hatten einen
literarischen Glauben, beide fühlten lebhaftes Interesse für die Kunst und
alles, was in ihren Kreis geHort, Auf dem Gebiete der bildenden Künste
machten sich dieselben Erscheinungen bemerklich: die Coloristen standen den An¬
betern der Linie mit ebensoviel Feuer wie die Romantiker den Klassikern gegen¬
über. In der Musik wäre auch ähnliches nachzuweisen und wir dürfen in
dieser Beziehung nur an die Bewegung erinnern, die Berlioz erste Schöpfungen
hervorgerufen hatten. Es war allenthalben heißblütiges Leben in der künst¬
lerischen wie in der literarischen Welt und die Feuilletonisten waren auf der
Höhe ihrer Aufgabe als Vermittler zwischen dem gebildeten Publicum und. je¬
nen productiven Geistern in der Literatur wie in d^r Kunst.

Diese und ähnliche Betrachtungen habe ich oft angestellt, bei der hand¬
werksmäßigen Weise unserer heutigen Kritik und bei den vielen Skandalen,
welche dem Eingeweihten hier jeden Tag begegnen. Der Leser erwarte von
mir keine skandalösen Enthüllungen, ich überlasse diese Arbeit gern literarischen
Herkulessen, welche den Muth, und einen genug starken Besen haben, den Augias¬
stall der heutigen Feuilletons zu säubern. Ich glaube auch nicht, daß man
der Literatur -einen guten Dienst erweist, wenn man in diesem Düngerhaufen
herumwühlt. Der Philister verdient die Schadenfreude nicht, die ihm diese
Herabwürdigung wenn auch falscher Jünger der Geistesaristokratie verursacht.
Die Spießbürger finden es ebenso natürlich, von den Literaten alle Tugenden
beanspruchen zu dürfen, wie die Diplomaten von ven Liberalen — sie sind
naiv genug, Eigennutz »ud andere menschliche Schwächen als ausschließliches
Privilegium- in Anspruch zu nehmen. Ich werde mich also jeder Anekdote
hier enthalten^ obgleich die erbaulichsten zu meiner Verfügung ständen — ich
will mich nur ans Allgemeine halten, um zu zeigen, wie alle höheren Inter¬
essen solidarisch verbunden sind old daß in einem Lande mit einem Regime, mit
einer Gesellschaft wie die jetzige in Frankreich.auch die Literatur und die Kritik
in einem erbärmlichen Zustande sein müssen. Die Schwächen der Gesellschaft
sind allerdings niemals mit mehr Konsequenz ausgebeutet worden als jetzt. Die
Franzosen, namentlich alles was zur Presse gehört, fühlen sich oft noch von einer
neuen Maßregel überrascht und sie recken die Hände wie ein gefesselter Niese;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98386"/>
          <p xml:id="ID_192" prev="#ID_191"> so verbarg sich hinter dieser Ertase der Abscheu vor den? Perückenhaften<lb/>
Wesen Nacines, mit seinen Hoffiguren, welche griechische Helden darstellen<lb/>
sollten. Wenn wieder die Vertheidiger der classischen Schule uns haarsträu¬<lb/>
bende Geschichten von dem Unwesen der jungen Romantiker erzählten, so waren<lb/>
diese Repressalien gemildert durch den Gedanken, daß jene Anhänger in Racine<lb/>
mit Recht die Meisterhaftigkeit der Sprache und der Form ihren Gegnern ent¬<lb/>
gegenhielten, die von diesen mit zuviel sens l'^«n behandelt worden war und<lb/>
noch wird. Der Kampf war von beiden Seiten ein gerechtfertigter, weil beide<lb/>
Parteien durch eine große Leidenschaft getrieben wurden, . Beide hatten einen<lb/>
literarischen Glauben, beide fühlten lebhaftes Interesse für die Kunst und<lb/>
alles, was in ihren Kreis geHort, Auf dem Gebiete der bildenden Künste<lb/>
machten sich dieselben Erscheinungen bemerklich: die Coloristen standen den An¬<lb/>
betern der Linie mit ebensoviel Feuer wie die Romantiker den Klassikern gegen¬<lb/>
über. In der Musik wäre auch ähnliches nachzuweisen und wir dürfen in<lb/>
dieser Beziehung nur an die Bewegung erinnern, die Berlioz erste Schöpfungen<lb/>
hervorgerufen hatten. Es war allenthalben heißblütiges Leben in der künst¬<lb/>
lerischen wie in der literarischen Welt und die Feuilletonisten waren auf der<lb/>
Höhe ihrer Aufgabe als Vermittler zwischen dem gebildeten Publicum und. je¬<lb/>
nen productiven Geistern in der Literatur wie in d^r Kunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193" next="#ID_194"> Diese und ähnliche Betrachtungen habe ich oft angestellt, bei der hand¬<lb/>
werksmäßigen Weise unserer heutigen Kritik und bei den vielen Skandalen,<lb/>
welche dem Eingeweihten hier jeden Tag begegnen. Der Leser erwarte von<lb/>
mir keine skandalösen Enthüllungen, ich überlasse diese Arbeit gern literarischen<lb/>
Herkulessen, welche den Muth, und einen genug starken Besen haben, den Augias¬<lb/>
stall der heutigen Feuilletons zu säubern. Ich glaube auch nicht, daß man<lb/>
der Literatur -einen guten Dienst erweist, wenn man in diesem Düngerhaufen<lb/>
herumwühlt. Der Philister verdient die Schadenfreude nicht, die ihm diese<lb/>
Herabwürdigung wenn auch falscher Jünger der Geistesaristokratie verursacht.<lb/>
Die Spießbürger finden es ebenso natürlich, von den Literaten alle Tugenden<lb/>
beanspruchen zu dürfen, wie die Diplomaten von ven Liberalen &#x2014; sie sind<lb/>
naiv genug, Eigennutz »ud andere menschliche Schwächen als ausschließliches<lb/>
Privilegium- in Anspruch zu nehmen. Ich werde mich also jeder Anekdote<lb/>
hier enthalten^ obgleich die erbaulichsten zu meiner Verfügung ständen &#x2014; ich<lb/>
will mich nur ans Allgemeine halten, um zu zeigen, wie alle höheren Inter¬<lb/>
essen solidarisch verbunden sind old daß in einem Lande mit einem Regime, mit<lb/>
einer Gesellschaft wie die jetzige in Frankreich.auch die Literatur und die Kritik<lb/>
in einem erbärmlichen Zustande sein müssen. Die Schwächen der Gesellschaft<lb/>
sind allerdings niemals mit mehr Konsequenz ausgebeutet worden als jetzt. Die<lb/>
Franzosen, namentlich alles was zur Presse gehört, fühlen sich oft noch von einer<lb/>
neuen Maßregel überrascht und sie recken die Hände wie ein gefesselter Niese;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] so verbarg sich hinter dieser Ertase der Abscheu vor den? Perückenhaften Wesen Nacines, mit seinen Hoffiguren, welche griechische Helden darstellen sollten. Wenn wieder die Vertheidiger der classischen Schule uns haarsträu¬ bende Geschichten von dem Unwesen der jungen Romantiker erzählten, so waren diese Repressalien gemildert durch den Gedanken, daß jene Anhänger in Racine mit Recht die Meisterhaftigkeit der Sprache und der Form ihren Gegnern ent¬ gegenhielten, die von diesen mit zuviel sens l'^«n behandelt worden war und noch wird. Der Kampf war von beiden Seiten ein gerechtfertigter, weil beide Parteien durch eine große Leidenschaft getrieben wurden, . Beide hatten einen literarischen Glauben, beide fühlten lebhaftes Interesse für die Kunst und alles, was in ihren Kreis geHort, Auf dem Gebiete der bildenden Künste machten sich dieselben Erscheinungen bemerklich: die Coloristen standen den An¬ betern der Linie mit ebensoviel Feuer wie die Romantiker den Klassikern gegen¬ über. In der Musik wäre auch ähnliches nachzuweisen und wir dürfen in dieser Beziehung nur an die Bewegung erinnern, die Berlioz erste Schöpfungen hervorgerufen hatten. Es war allenthalben heißblütiges Leben in der künst¬ lerischen wie in der literarischen Welt und die Feuilletonisten waren auf der Höhe ihrer Aufgabe als Vermittler zwischen dem gebildeten Publicum und. je¬ nen productiven Geistern in der Literatur wie in d^r Kunst. Diese und ähnliche Betrachtungen habe ich oft angestellt, bei der hand¬ werksmäßigen Weise unserer heutigen Kritik und bei den vielen Skandalen, welche dem Eingeweihten hier jeden Tag begegnen. Der Leser erwarte von mir keine skandalösen Enthüllungen, ich überlasse diese Arbeit gern literarischen Herkulessen, welche den Muth, und einen genug starken Besen haben, den Augias¬ stall der heutigen Feuilletons zu säubern. Ich glaube auch nicht, daß man der Literatur -einen guten Dienst erweist, wenn man in diesem Düngerhaufen herumwühlt. Der Philister verdient die Schadenfreude nicht, die ihm diese Herabwürdigung wenn auch falscher Jünger der Geistesaristokratie verursacht. Die Spießbürger finden es ebenso natürlich, von den Literaten alle Tugenden beanspruchen zu dürfen, wie die Diplomaten von ven Liberalen — sie sind naiv genug, Eigennutz »ud andere menschliche Schwächen als ausschließliches Privilegium- in Anspruch zu nehmen. Ich werde mich also jeder Anekdote hier enthalten^ obgleich die erbaulichsten zu meiner Verfügung ständen — ich will mich nur ans Allgemeine halten, um zu zeigen, wie alle höheren Inter¬ essen solidarisch verbunden sind old daß in einem Lande mit einem Regime, mit einer Gesellschaft wie die jetzige in Frankreich.auch die Literatur und die Kritik in einem erbärmlichen Zustande sein müssen. Die Schwächen der Gesellschaft sind allerdings niemals mit mehr Konsequenz ausgebeutet worden als jetzt. Die Franzosen, namentlich alles was zur Presse gehört, fühlen sich oft noch von einer neuen Maßregel überrascht und sie recken die Hände wie ein gefesselter Niese;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/72>, abgerufen am 22.07.2024.