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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Beziehung auf seine bestimmte Kunst stellen müssen, -- keiner der jetzt lebenden
Künstler steht ihm darin zur Seite, so gering denken wir von seiner Poesie.
Die Nothwendigkeit einer symbolischen, poetischen, allgemein menschlichen, idealen
.Wahrheit neben der realistischen, technischen Wahrheit in einem historischen
Gemälde' größeren Stils, wird also allgemein zugestanden werden. Die Frage
ist nur erstens, wieweit haben wir daS Recht, neben jenem symbolischen, ideellen
Inhalt zugleich aus Naturwahrheit zu dringen, zweitens, von welcher Art muß
die Symbolik sein, wenn sie den künstlerischen Zwecken entsprechen soll?

Was das erste betrifft, so wird die Forderung gemeiner Naturwahrheit
wenigstens bei historischen Gemälden wol von- niemand mehr gestellt werden.
Gegen die Hunnenschlacht oder gegen die Sirtinische Madonna wird wol
niemand mehr die Einwendung machen, daß sie Gegenstände enthalten, die in
der Wirklichkeit nicht vorkommen. Wenn jemand die Danaiden malen will, so
wird man auf die Zahl fünfzig wol kein Gewicht legen.

Auf der andern -Seite wird aber die Freiheit in Beziehung zur Nach¬
ahmung der Natur, die man früher dem Künstler verstattete, bei unsrer gegen¬
wärtigen Bildung beschränkt werden müssen. Wir wollen mir einzelne Bei¬
spiele anführen, über die alle Welt einig sein wird. Man wird den Personen
keinen Zettel in den Mund stecken, worauf geschrieben steht, was sie reden.
Man wird auf demselben Gemälde nicht Dinge als gleichzeitig darstellen
dürfen, die nur hintereinander gedacht-werden können. Man wird die Heilig¬
keit eines Menschen nicht dadurch symbvlistren wollen, daß man ihn ohne
Knochen und Fleisch darstellt, ihn also zu einer Molluske herabsetzt. Man
wird die Symbolik nicht mehr durch einfache Attribute ersetzen können, die
Dreieinigkeit nicht durch einen Triangel u. f. w. So würden sich noch mehre
Punkte auffinden, die Phantasie des Künstlers durch das Maß der NatUr-
wcchrheit zu beschränken, über die alle Welt einig sein würde. Und wir sehen
in. dieser veränderten Stimmung des Publicums, nicht wie mancher Romantiker
eine Abschwächung och natürlichen Gefühls, sondern einen echten Fortschritt
der künstlerischen Bildung.

Wir glauben das Verhältniß der idealistischen Symbolik zur realistischen
Darstellung wenigstens im allgemeinen so bezeichnen zu können, daß, wie auch
der symbolische Inhalt sein möge, das Bild ein sinnlich anschaubareö Factum
enthalten muß, und serner, daß der symbolische Inhalt dem Geiste der wirk¬
lichen Darstellung entsprechen muß. Wenn nicht dieses beides beobachtet wird,
so erhalten wir einen Rebus, aber kein Gemälde. Der bloße Blick muß uns
darüber belehren, was für ein allgemein menschlich interessirendes Factum wir
vor uns sehen; wenn uns auch die tiefere symbolische Bedeutung erst später auf¬
gehen mag. So werden wir z. B. unter den Cartons von Cornelius den Ent¬
wurf der sieben Reiter billigen, denn der sinnliche Inhalt derselben ist uns


Beziehung auf seine bestimmte Kunst stellen müssen, — keiner der jetzt lebenden
Künstler steht ihm darin zur Seite, so gering denken wir von seiner Poesie.
Die Nothwendigkeit einer symbolischen, poetischen, allgemein menschlichen, idealen
.Wahrheit neben der realistischen, technischen Wahrheit in einem historischen
Gemälde' größeren Stils, wird also allgemein zugestanden werden. Die Frage
ist nur erstens, wieweit haben wir daS Recht, neben jenem symbolischen, ideellen
Inhalt zugleich aus Naturwahrheit zu dringen, zweitens, von welcher Art muß
die Symbolik sein, wenn sie den künstlerischen Zwecken entsprechen soll?

Was das erste betrifft, so wird die Forderung gemeiner Naturwahrheit
wenigstens bei historischen Gemälden wol von- niemand mehr gestellt werden.
Gegen die Hunnenschlacht oder gegen die Sirtinische Madonna wird wol
niemand mehr die Einwendung machen, daß sie Gegenstände enthalten, die in
der Wirklichkeit nicht vorkommen. Wenn jemand die Danaiden malen will, so
wird man auf die Zahl fünfzig wol kein Gewicht legen.

Auf der andern -Seite wird aber die Freiheit in Beziehung zur Nach¬
ahmung der Natur, die man früher dem Künstler verstattete, bei unsrer gegen¬
wärtigen Bildung beschränkt werden müssen. Wir wollen mir einzelne Bei¬
spiele anführen, über die alle Welt einig sein wird. Man wird den Personen
keinen Zettel in den Mund stecken, worauf geschrieben steht, was sie reden.
Man wird auf demselben Gemälde nicht Dinge als gleichzeitig darstellen
dürfen, die nur hintereinander gedacht-werden können. Man wird die Heilig¬
keit eines Menschen nicht dadurch symbvlistren wollen, daß man ihn ohne
Knochen und Fleisch darstellt, ihn also zu einer Molluske herabsetzt. Man
wird die Symbolik nicht mehr durch einfache Attribute ersetzen können, die
Dreieinigkeit nicht durch einen Triangel u. f. w. So würden sich noch mehre
Punkte auffinden, die Phantasie des Künstlers durch das Maß der NatUr-
wcchrheit zu beschränken, über die alle Welt einig sein würde. Und wir sehen
in. dieser veränderten Stimmung des Publicums, nicht wie mancher Romantiker
eine Abschwächung och natürlichen Gefühls, sondern einen echten Fortschritt
der künstlerischen Bildung.

Wir glauben das Verhältniß der idealistischen Symbolik zur realistischen
Darstellung wenigstens im allgemeinen so bezeichnen zu können, daß, wie auch
der symbolische Inhalt sein möge, das Bild ein sinnlich anschaubareö Factum
enthalten muß, und serner, daß der symbolische Inhalt dem Geiste der wirk¬
lichen Darstellung entsprechen muß. Wenn nicht dieses beides beobachtet wird,
so erhalten wir einen Rebus, aber kein Gemälde. Der bloße Blick muß uns
darüber belehren, was für ein allgemein menschlich interessirendes Factum wir
vor uns sehen; wenn uns auch die tiefere symbolische Bedeutung erst später auf¬
gehen mag. So werden wir z. B. unter den Cartons von Cornelius den Ent¬
wurf der sieben Reiter billigen, denn der sinnliche Inhalt derselben ist uns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/54>, abgerufen am 03.07.2024.