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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Leistungen einem nicht unbedeutenden Dentproeeß wenigstens zum Theil ihr
Dasein verdanken. Dagegen sehen wir aus dieser Beschreibung keineswegs,
was Kaulbach als bestimmter Künstler, d. h. als Maler leistet. Die De-
ductionen des Aesthetikers könnten bis auf den kleinsten Punkt richtig sein,
und die Gemälde doch unter aller Kritik, schlecht. Denn nicht in der Intention,
sondern in der Ausführung zeigt sich der Künstler. Daß hier der Dichter und
der Maler in einer Person vereinigt ist, wie in Richard Wagner der Dichter
und Komponist, trägt nichts zur Sache bei. Man muß beide Functionen streng
voneinander unterscheiden, wenn man sich nicht in unbestimmte Raisonnements
verlieren will. Um Kaulbachs, Pläne oder Wagners Textbücher zu entwerfen,
mußte man zwar in dem einen Fall plastische, in dem andern musikalische
Bildung besitzen, aber es war im übrigen nicht das geringste productive, pla¬
stische oder musikalische Talent dazu nöthig. Wir können also hier das, was
die eigentlich künstlerische Seite Kaulbachs ausmacht, das productive Talent
völlig bei Seite lassen; nur wollen wir dabei die Bemerkung nicht unterdrücken,
daß uns dasselbe im allgemeinen jetzt ebenso ungerecht herabgesetzt zu werden
scheint, als es früher übermäßig hervorgehoben wurde. Wer nur den Carton
zur Hunnenschlacht studirt, sowol in Beziehung aus die Composition, als auf
die Figuren, und dabei noch leugnet, daß Kaulbach ein Künstler, und zwar
ein großer Künstler ist, dem fehlt es entweder an Einsicht oder an gutem Willen.
Indeß diese Bemerkung machen wir nur nebenbei, wir haben es nur mit der
poetischen Seite der Malerei zu thun; mit der Erfindung und Auffassung.

Herr Schaöler findet in Kaulbachs Werken das Aufblühen einer neuen
Kuustgattung, die er als die symbolisch-historische bezeichnet. Sie unterscheidet
sich voll der frühern idealistischen Kirchenmalerei dadurch, daß sie ihre Symbole
und die ihr zu Grunde liegenden Ideen selbst erfindet, während sie sich diese von
der Kirche überliefern ließ; von der modernen realistischen Malerei dadurch,
daß sie nicht blos eine ästhetisch aufgefaßte Reproduction der Natur oder der
thatsächlichen Welt ist, sondern daß sie durch ihre Erscheinungen höhere Ideen
durchschimmern läßt. -- Wir wollen diesen Gedanken in seine Bestandtheile
auflösen.

Daß zunächst die materielle Nachahmung der Natur, auch wenn sie künst¬
lerischen Gesetzen folgt, auch wenn sie die Poesie der Linien, der Farben, der
Composttion in hohem Grade erreicht, nur eine untergeordnete Stelle inner¬
halb der Kunst einnimmt, wird wol jedermann dem Verfasser zugeben, der über¬
haupt über Kunst nachgedacht hat; nur im Stillleben und in der Genremalerei
kann uns der reine Realismus befriedigen. Schon die Landschaft muß durch
die Stimmung vergeistigt werden. Bei eigentlich historischen Gemälden aber
empfinden wir es als eine Herabwürdigung der Kunst, wenn sie sich blos in
materieller Nachahmung der .Natur bewegen. So hoch wir z. B. Gallait in


Leistungen einem nicht unbedeutenden Dentproeeß wenigstens zum Theil ihr
Dasein verdanken. Dagegen sehen wir aus dieser Beschreibung keineswegs,
was Kaulbach als bestimmter Künstler, d. h. als Maler leistet. Die De-
ductionen des Aesthetikers könnten bis auf den kleinsten Punkt richtig sein,
und die Gemälde doch unter aller Kritik, schlecht. Denn nicht in der Intention,
sondern in der Ausführung zeigt sich der Künstler. Daß hier der Dichter und
der Maler in einer Person vereinigt ist, wie in Richard Wagner der Dichter
und Komponist, trägt nichts zur Sache bei. Man muß beide Functionen streng
voneinander unterscheiden, wenn man sich nicht in unbestimmte Raisonnements
verlieren will. Um Kaulbachs, Pläne oder Wagners Textbücher zu entwerfen,
mußte man zwar in dem einen Fall plastische, in dem andern musikalische
Bildung besitzen, aber es war im übrigen nicht das geringste productive, pla¬
stische oder musikalische Talent dazu nöthig. Wir können also hier das, was
die eigentlich künstlerische Seite Kaulbachs ausmacht, das productive Talent
völlig bei Seite lassen; nur wollen wir dabei die Bemerkung nicht unterdrücken,
daß uns dasselbe im allgemeinen jetzt ebenso ungerecht herabgesetzt zu werden
scheint, als es früher übermäßig hervorgehoben wurde. Wer nur den Carton
zur Hunnenschlacht studirt, sowol in Beziehung aus die Composition, als auf
die Figuren, und dabei noch leugnet, daß Kaulbach ein Künstler, und zwar
ein großer Künstler ist, dem fehlt es entweder an Einsicht oder an gutem Willen.
Indeß diese Bemerkung machen wir nur nebenbei, wir haben es nur mit der
poetischen Seite der Malerei zu thun; mit der Erfindung und Auffassung.

Herr Schaöler findet in Kaulbachs Werken das Aufblühen einer neuen
Kuustgattung, die er als die symbolisch-historische bezeichnet. Sie unterscheidet
sich voll der frühern idealistischen Kirchenmalerei dadurch, daß sie ihre Symbole
und die ihr zu Grunde liegenden Ideen selbst erfindet, während sie sich diese von
der Kirche überliefern ließ; von der modernen realistischen Malerei dadurch,
daß sie nicht blos eine ästhetisch aufgefaßte Reproduction der Natur oder der
thatsächlichen Welt ist, sondern daß sie durch ihre Erscheinungen höhere Ideen
durchschimmern läßt. — Wir wollen diesen Gedanken in seine Bestandtheile
auflösen.

Daß zunächst die materielle Nachahmung der Natur, auch wenn sie künst¬
lerischen Gesetzen folgt, auch wenn sie die Poesie der Linien, der Farben, der
Composttion in hohem Grade erreicht, nur eine untergeordnete Stelle inner¬
halb der Kunst einnimmt, wird wol jedermann dem Verfasser zugeben, der über¬
haupt über Kunst nachgedacht hat; nur im Stillleben und in der Genremalerei
kann uns der reine Realismus befriedigen. Schon die Landschaft muß durch
die Stimmung vergeistigt werden. Bei eigentlich historischen Gemälden aber
empfinden wir es als eine Herabwürdigung der Kunst, wenn sie sich blos in
materieller Nachahmung der .Natur bewegen. So hoch wir z. B. Gallait in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/53>, abgerufen am 23.07.2024.