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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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klar, abgesehen von dem geistigen Inhalt; den Entwurf zum neuen Jerusalem
aber mißbilligen , denn wenn wir hier nicht die Apokalypse nachschlagen, ge¬
winnen wir auch nicht einmal eine sinnliche Borstellung von dem, was der
Künstler gewollt hat. Es ist in der Blütezeit der Malerei öfters vorgekommen,
baß die Künstler ihre Figuren lediglich nach künstlerischen Gesetzen gruppirten
und ein .reales Zusammenwirken derselben sür überflüssig hielten. Wenn die
neuere Zeit an den Maler strengere' Anforderungen stellt, so ist durch diesen
Fortschritt der Bildung keineswegs ein Uebersehen gegen die sonstigen Vorzüge
der früheren Kunst angedeutet. Wenn man allegorische oder symbolische Fi-
guren in der Weise malt / wie. Kaulbach seine Sage und Geschichte, so wird
ein solcher Realismus allerdings überflüssig, denn es sind im wesentlichen doch
nur Studienköpfe mit bestimmten Attributen. Sobald man aber mehre Per¬
sonen zu einer Gruppe vereinigt, so muß aus der Anschauung ein menschlich
verständlicher Inhalt ihres Zusammenseins hervorgehen. Daß auch hier von
der gemeinen Naturwahrheit oder von der gemeinen Beobachtung der geschicht¬
lichen Treue nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst; namentlich bei
Vorstellungen von einer größeren Dimension, bei welcher der Dichter alles an¬
wenden muß, um den Eindruck zu concentriren und zu vereinfachen. Was
z. B. der Maler seinem singenden Homer sür ein Publicum gibt, Menschen
aus den verschiedensten Zeiten, Götter, Seeungeheuer u. s. w., das wird ganz
seiner Wahl anheimgestellt bleiben, und wenn er es aus malerischen oder archi¬
tektonischen Gründen für angemessen erachtet, zu den Sitzen dieses Publicums
Himmel, Erde, Meer und Unterwelt anzuwenden, so wird sich dagegen auch
nicht das geringste einwenden lassen, auch wenn der Akustiker die physische
Möglichkeit eines solchen, Vortrages bestreiten wollte. Aber was er auch für
Figuren zu seinem Publicum anwendet, er wird den- Act ihrer Aufmerksamkeit
so darstellen müssen, wie wir es bei Wesen unsres Gleichen zu beobachten Ge¬
legenheit haben: und wenn er eS auch dem Commentar überläßt, uns zu er¬
klären, wer diese Personen eigentlich sind, die sich für den Sänger interessiren,
und was der Sänger ihnen vorträgt, so muß doch die Thatsache selbst keines
C ommentars b e d ürfe n.

Dieser Realismus ist bei den neueren Gemälden um so strenger festzu¬
halten, da die neuere Symbolik nicht wie in der alten Kunst eine gegebene ist,
sondern das freie Nachdenken des Zuschauers beschäftigen soll. Die älteren
Maler mußten so malen, wie sie malten, nicht blos weil der heilige Geist sie
erfüllte, sondern weil die Bilder in dieser bestimmten Form bei ihnen bestellt
waren. Die Symbole und der damit verbundene Cultus war die Hauptsache,
und erst in ziemlich später Zeit fing man an, einen menschlichen, gemüthlichen
Inhalt in dieselben einzuführen, und sie dadurch zur Nebensache herabzusetzen.
Daß jene Bedingungen, die freilich die Ausübung der Kunst sehr stark be-


klar, abgesehen von dem geistigen Inhalt; den Entwurf zum neuen Jerusalem
aber mißbilligen , denn wenn wir hier nicht die Apokalypse nachschlagen, ge¬
winnen wir auch nicht einmal eine sinnliche Borstellung von dem, was der
Künstler gewollt hat. Es ist in der Blütezeit der Malerei öfters vorgekommen,
baß die Künstler ihre Figuren lediglich nach künstlerischen Gesetzen gruppirten
und ein .reales Zusammenwirken derselben sür überflüssig hielten. Wenn die
neuere Zeit an den Maler strengere' Anforderungen stellt, so ist durch diesen
Fortschritt der Bildung keineswegs ein Uebersehen gegen die sonstigen Vorzüge
der früheren Kunst angedeutet. Wenn man allegorische oder symbolische Fi-
guren in der Weise malt / wie. Kaulbach seine Sage und Geschichte, so wird
ein solcher Realismus allerdings überflüssig, denn es sind im wesentlichen doch
nur Studienköpfe mit bestimmten Attributen. Sobald man aber mehre Per¬
sonen zu einer Gruppe vereinigt, so muß aus der Anschauung ein menschlich
verständlicher Inhalt ihres Zusammenseins hervorgehen. Daß auch hier von
der gemeinen Naturwahrheit oder von der gemeinen Beobachtung der geschicht¬
lichen Treue nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst; namentlich bei
Vorstellungen von einer größeren Dimension, bei welcher der Dichter alles an¬
wenden muß, um den Eindruck zu concentriren und zu vereinfachen. Was
z. B. der Maler seinem singenden Homer sür ein Publicum gibt, Menschen
aus den verschiedensten Zeiten, Götter, Seeungeheuer u. s. w., das wird ganz
seiner Wahl anheimgestellt bleiben, und wenn er es aus malerischen oder archi¬
tektonischen Gründen für angemessen erachtet, zu den Sitzen dieses Publicums
Himmel, Erde, Meer und Unterwelt anzuwenden, so wird sich dagegen auch
nicht das geringste einwenden lassen, auch wenn der Akustiker die physische
Möglichkeit eines solchen, Vortrages bestreiten wollte. Aber was er auch für
Figuren zu seinem Publicum anwendet, er wird den- Act ihrer Aufmerksamkeit
so darstellen müssen, wie wir es bei Wesen unsres Gleichen zu beobachten Ge¬
legenheit haben: und wenn er eS auch dem Commentar überläßt, uns zu er¬
klären, wer diese Personen eigentlich sind, die sich für den Sänger interessiren,
und was der Sänger ihnen vorträgt, so muß doch die Thatsache selbst keines
C ommentars b e d ürfe n.

Dieser Realismus ist bei den neueren Gemälden um so strenger festzu¬
halten, da die neuere Symbolik nicht wie in der alten Kunst eine gegebene ist,
sondern das freie Nachdenken des Zuschauers beschäftigen soll. Die älteren
Maler mußten so malen, wie sie malten, nicht blos weil der heilige Geist sie
erfüllte, sondern weil die Bilder in dieser bestimmten Form bei ihnen bestellt
waren. Die Symbole und der damit verbundene Cultus war die Hauptsache,
und erst in ziemlich später Zeit fing man an, einen menschlichen, gemüthlichen
Inhalt in dieselben einzuführen, und sie dadurch zur Nebensache herabzusetzen.
Daß jene Bedingungen, die freilich die Ausübung der Kunst sehr stark be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/55>, abgerufen am 03.07.2024.