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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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tualiömus hatte zwar bei den romanischen Völkern im 16. u. 17. Jahrhundert
über die weltliche Gesinnung und die Frivolität den Sieg davon getragen,
aber die letztere war nur gebunden, nicht vernichtet. In Italien brach die
alte Frivolität sehr bald wieder aus, wenn sie auch dies Mal schicklicherweise die
Maske der Heuchelei aufstecken mußte. In Frankreich zeigten die Encyklo¬
pädisten und die Revolution, daß auf die Dauer ein kräftiges Volk mit geist¬
lichen Abstractionen nicht auskommen könne, und Spanien scheint gegenwärtig
diesem Vorbilde zu folgen. Aber freilich folgt dann auf die Revolution immer
wieder die Herstellung des Cultus aus Gründen der Convenienz, bis dann
eine neue Revolution ausbricht u. s. w. Auch dieses Hin- und Herspringen hat
, unsre deutsche Romantik nachgeahmt. Um die Genoveva zu verstehen, muß
man die Lucinde vergleichen, und um zu wissen, was Friedrich Schlegel in
seiner Geschichte der Literatur eigentlich gemeint hat, muß man die Fragmente
desselben Schriftstellers im Athenäum zu Rathe ziehen. Frivolität und Schwär¬
merei, bald nebeneinander, bald ineinander übergehend, das sind die charakteri¬
stischen Kennzeichen der Romantik, sowol in ihrer naiven Zeit, im 13., 14. und.
16. Jahrhundert, als in ihrer reflectirten Zeit, im 16. und 17., als auch in
ihrer rein doetrinären Entwicklung, im 18. und 19. Jahrhundert.

Wenn also die Romantik nur eine bestimmte historische Vorstellung ist,
die sich auf die Literaturgeschichre bezieht, nicht aber ein -r priori herzuleitender
Begriff, so ergibt sich von selbst, daß man bei 'der Anwendung desselben auf
anderweitige Erscheinungen sehr vorsichtig sein muß, wenn man nicht die
Sprache der Aesthetik in jene Willkürlichkeit verstricken will, in welcher keiner
den andern mehr versteht. Es zeigt sich'das namentlich in der bildenden Kunst.
Statt aber in dieser Beziehung auf die allgemeinen Ansichten . einzugehen, die
in der vorliegenden kleinen Schrift entwickelt werden, knüpfen wir unsre Be¬
trachtungen an ein zweites Werkchen an, das sich mit einem bestimmten und
daher von allen Seiten faßbaren Gegenstande beschäftigt. --


Die Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhause des neuen
Museums zu Berlin von I>>. Max Schafter. Berlin, Sizismuno Wolff. --

Das Werkchen hat das große Verdienst, daß sein Erfolg unabhängig von
seinen Ansichten ist. Man kann mit den ästhetischen Ansichten des Verfassers
einverstanden sein oder nicht, man wird es ihm aber unter allen Umständen
Dank wissen, daß er uns den Gegenstand, an den er dieselben anknüpft, aus¬
führlich und correct beschrieben, daß er uns über die Intentionen des Künstlers
sowol bei dem Entwurf der einzelnen Gemälde als bei der architektonischen
Zusammenstellung derselben eine sehr genaue und wie es scheint authentische
Auskunft gibt. Wir sehen daraus, was uns übrigens auch sonst schon bekannt
war, daß Kaulbach, ein höchst geistvoller Mann ist und daß seine künstlerischen


tualiömus hatte zwar bei den romanischen Völkern im 16. u. 17. Jahrhundert
über die weltliche Gesinnung und die Frivolität den Sieg davon getragen,
aber die letztere war nur gebunden, nicht vernichtet. In Italien brach die
alte Frivolität sehr bald wieder aus, wenn sie auch dies Mal schicklicherweise die
Maske der Heuchelei aufstecken mußte. In Frankreich zeigten die Encyklo¬
pädisten und die Revolution, daß auf die Dauer ein kräftiges Volk mit geist¬
lichen Abstractionen nicht auskommen könne, und Spanien scheint gegenwärtig
diesem Vorbilde zu folgen. Aber freilich folgt dann auf die Revolution immer
wieder die Herstellung des Cultus aus Gründen der Convenienz, bis dann
eine neue Revolution ausbricht u. s. w. Auch dieses Hin- und Herspringen hat
, unsre deutsche Romantik nachgeahmt. Um die Genoveva zu verstehen, muß
man die Lucinde vergleichen, und um zu wissen, was Friedrich Schlegel in
seiner Geschichte der Literatur eigentlich gemeint hat, muß man die Fragmente
desselben Schriftstellers im Athenäum zu Rathe ziehen. Frivolität und Schwär¬
merei, bald nebeneinander, bald ineinander übergehend, das sind die charakteri¬
stischen Kennzeichen der Romantik, sowol in ihrer naiven Zeit, im 13., 14. und.
16. Jahrhundert, als in ihrer reflectirten Zeit, im 16. und 17., als auch in
ihrer rein doetrinären Entwicklung, im 18. und 19. Jahrhundert.

Wenn also die Romantik nur eine bestimmte historische Vorstellung ist,
die sich auf die Literaturgeschichre bezieht, nicht aber ein -r priori herzuleitender
Begriff, so ergibt sich von selbst, daß man bei 'der Anwendung desselben auf
anderweitige Erscheinungen sehr vorsichtig sein muß, wenn man nicht die
Sprache der Aesthetik in jene Willkürlichkeit verstricken will, in welcher keiner
den andern mehr versteht. Es zeigt sich'das namentlich in der bildenden Kunst.
Statt aber in dieser Beziehung auf die allgemeinen Ansichten . einzugehen, die
in der vorliegenden kleinen Schrift entwickelt werden, knüpfen wir unsre Be¬
trachtungen an ein zweites Werkchen an, das sich mit einem bestimmten und
daher von allen Seiten faßbaren Gegenstande beschäftigt. —


Die Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs im Treppenhause des neuen
Museums zu Berlin von I>>. Max Schafter. Berlin, Sizismuno Wolff. —

Das Werkchen hat das große Verdienst, daß sein Erfolg unabhängig von
seinen Ansichten ist. Man kann mit den ästhetischen Ansichten des Verfassers
einverstanden sein oder nicht, man wird es ihm aber unter allen Umständen
Dank wissen, daß er uns den Gegenstand, an den er dieselben anknüpft, aus¬
führlich und correct beschrieben, daß er uns über die Intentionen des Künstlers
sowol bei dem Entwurf der einzelnen Gemälde als bei der architektonischen
Zusammenstellung derselben eine sehr genaue und wie es scheint authentische
Auskunft gibt. Wir sehen daraus, was uns übrigens auch sonst schon bekannt
war, daß Kaulbach, ein höchst geistvoller Mann ist und daß seine künstlerischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/52>, abgerufen am 22.07.2024.