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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Die Maske des verständigen, ehrlichen und doch schalkhaften Diplomaten
wird von einer Taubenpost abgelöst, die sich in östreichischer Mundart ver>
nehmen läßt. Spricht sie nicht weise, so spricht sie doch behaglich, und so ist
kein Grund, sie anzufechten. -- Nun aber wird die Stimmung feierlicher. ES
ist von nichts Geringerem die Rede, als von der Weltseele. In hochgestimm¬
ten Dithyramben wird das All besungen, und aus den Mythologien der fernsten
Volker die geheime Symbolik des Lebens hergeleitet.


Und der Heiden heiliger Sinn
Feierte Urstehn!
Auserstehn!
Aufersteh" der Natur.
Andächtig ahnungsvoll
Säulen sie nieder
Vor dem Bilde des Schmetterlings,
Ausgehanen in Stein.

Wir können uns nicht helfen, unwiderstehlich regt sich in uns die kri¬
tische Ader.

In Freiheit rauschen Stern und Wellen,
Und ein Gesch verbindet sie. --
Natur, in frei allmachtgem Walten,
Sie ist der Freiheit Priesterin.

Das ist nicht wahr, ruft unser kritisches Gewissen; die Natur ist keine
Priesterin der Freiheit, sie hat mit der Freiheit gar nichts zu thun; die Sterne
und die Wellen rauschen nicht in Freiheit dahin; die Freiheit fängt erst an,
wo die sogenannte Natur aufhört. Indessen ein Poet hat über dergleichen
Dinge andre Gedanken, als ein Kritikus, und wir bescheiden uns in Beziehung
auf die Weltseele, dem kühnen Flug der Dithyramben nicht folgen zu können;
aber unsre Augen lassen wir uns nicht abstreiten, und wenn auch das rei¬
zende Schloß Reinhardsbrunn in die Sphäre der Weltseele gezogen wird, und
wenn der Dichter behauptet:

Hier ists so wild und so phantastisch;
So seltsam fremd, so seltsam drastisch;

so rufen wir wieder, aber dies Mal mit größerem Selbstvertrauen: das ist
nicht wahr; Reinhardsbrunn ist allerliebst, reizend und anmuthig, abe.r es ist
weder wild noch phantastisch. -- Der Dichter des Liederhorts adressirt seine
Gedichte an eine verstorbene Freundin in lateinischen Lettern. Er fügt sogar
nach Frauenart noch ein Postscript hinzu: "Wenn Du droben vernimmst, daß
ob meiner Freimüthigkeit die Recensenten wie reißende Wölfe über mich her¬
fallen, so laß Dir nicht bange sein, ich fürchte nichts und sie werden mich
nicht verschlingen." -- Nein! das werden sie nicht! -- Mit immer größerem
Bedenken sehen wir die weiter anrückende Schar, denn wir haben es jetzt mit


Die Maske des verständigen, ehrlichen und doch schalkhaften Diplomaten
wird von einer Taubenpost abgelöst, die sich in östreichischer Mundart ver>
nehmen läßt. Spricht sie nicht weise, so spricht sie doch behaglich, und so ist
kein Grund, sie anzufechten. — Nun aber wird die Stimmung feierlicher. ES
ist von nichts Geringerem die Rede, als von der Weltseele. In hochgestimm¬
ten Dithyramben wird das All besungen, und aus den Mythologien der fernsten
Volker die geheime Symbolik des Lebens hergeleitet.


Und der Heiden heiliger Sinn
Feierte Urstehn!
Auserstehn!
Aufersteh» der Natur.
Andächtig ahnungsvoll
Säulen sie nieder
Vor dem Bilde des Schmetterlings,
Ausgehanen in Stein.

Wir können uns nicht helfen, unwiderstehlich regt sich in uns die kri¬
tische Ader.

In Freiheit rauschen Stern und Wellen,
Und ein Gesch verbindet sie. —
Natur, in frei allmachtgem Walten,
Sie ist der Freiheit Priesterin.

Das ist nicht wahr, ruft unser kritisches Gewissen; die Natur ist keine
Priesterin der Freiheit, sie hat mit der Freiheit gar nichts zu thun; die Sterne
und die Wellen rauschen nicht in Freiheit dahin; die Freiheit fängt erst an,
wo die sogenannte Natur aufhört. Indessen ein Poet hat über dergleichen
Dinge andre Gedanken, als ein Kritikus, und wir bescheiden uns in Beziehung
auf die Weltseele, dem kühnen Flug der Dithyramben nicht folgen zu können;
aber unsre Augen lassen wir uns nicht abstreiten, und wenn auch das rei¬
zende Schloß Reinhardsbrunn in die Sphäre der Weltseele gezogen wird, und
wenn der Dichter behauptet:

Hier ists so wild und so phantastisch;
So seltsam fremd, so seltsam drastisch;

so rufen wir wieder, aber dies Mal mit größerem Selbstvertrauen: das ist
nicht wahr; Reinhardsbrunn ist allerliebst, reizend und anmuthig, abe.r es ist
weder wild noch phantastisch. — Der Dichter des Liederhorts adressirt seine
Gedichte an eine verstorbene Freundin in lateinischen Lettern. Er fügt sogar
nach Frauenart noch ein Postscript hinzu: „Wenn Du droben vernimmst, daß
ob meiner Freimüthigkeit die Recensenten wie reißende Wölfe über mich her¬
fallen, so laß Dir nicht bange sein, ich fürchte nichts und sie werden mich
nicht verschlingen." — Nein! das werden sie nicht! — Mit immer größerem
Bedenken sehen wir die weiter anrückende Schar, denn wir haben es jetzt mit


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[0510] Die Maske des verständigen, ehrlichen und doch schalkhaften Diplomaten wird von einer Taubenpost abgelöst, die sich in östreichischer Mundart ver> nehmen läßt. Spricht sie nicht weise, so spricht sie doch behaglich, und so ist kein Grund, sie anzufechten. — Nun aber wird die Stimmung feierlicher. ES ist von nichts Geringerem die Rede, als von der Weltseele. In hochgestimm¬ ten Dithyramben wird das All besungen, und aus den Mythologien der fernsten Volker die geheime Symbolik des Lebens hergeleitet. Und der Heiden heiliger Sinn Feierte Urstehn! Auserstehn! Aufersteh» der Natur. Andächtig ahnungsvoll Säulen sie nieder Vor dem Bilde des Schmetterlings, Ausgehanen in Stein. Wir können uns nicht helfen, unwiderstehlich regt sich in uns die kri¬ tische Ader. In Freiheit rauschen Stern und Wellen, Und ein Gesch verbindet sie. — Natur, in frei allmachtgem Walten, Sie ist der Freiheit Priesterin. Das ist nicht wahr, ruft unser kritisches Gewissen; die Natur ist keine Priesterin der Freiheit, sie hat mit der Freiheit gar nichts zu thun; die Sterne und die Wellen rauschen nicht in Freiheit dahin; die Freiheit fängt erst an, wo die sogenannte Natur aufhört. Indessen ein Poet hat über dergleichen Dinge andre Gedanken, als ein Kritikus, und wir bescheiden uns in Beziehung auf die Weltseele, dem kühnen Flug der Dithyramben nicht folgen zu können; aber unsre Augen lassen wir uns nicht abstreiten, und wenn auch das rei¬ zende Schloß Reinhardsbrunn in die Sphäre der Weltseele gezogen wird, und wenn der Dichter behauptet: Hier ists so wild und so phantastisch; So seltsam fremd, so seltsam drastisch; so rufen wir wieder, aber dies Mal mit größerem Selbstvertrauen: das ist nicht wahr; Reinhardsbrunn ist allerliebst, reizend und anmuthig, abe.r es ist weder wild noch phantastisch. — Der Dichter des Liederhorts adressirt seine Gedichte an eine verstorbene Freundin in lateinischen Lettern. Er fügt sogar nach Frauenart noch ein Postscript hinzu: „Wenn Du droben vernimmst, daß ob meiner Freimüthigkeit die Recensenten wie reißende Wölfe über mich her¬ fallen, so laß Dir nicht bange sein, ich fürchte nichts und sie werden mich nicht verschlingen." — Nein! das werden sie nicht! — Mit immer größerem Bedenken sehen wir die weiter anrückende Schar, denn wir haben es jetzt mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/510>, abgerufen am 24.08.2024.