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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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blaugoldenen oder rothgoldenen Federn, alle sehnsuchtsvoll nach den Weihnachts¬
tischen schauend, ob sie vielleicht dort einen Platz finden. Schon mehre Wochen
vorher gehen trübe Ahnungen durch dle Seele des armen Kritikus, der diese
Schar von Vögeln aus sich zukommen steht. Schon von fern hört er ihr
leidenschaftliches Gezwitscher, sieht, wie sie ihre Schnäbel wetzen, und zittert für
seine Augen.


Und dann zerrt und reißt euch gierig,
Keiner sie dem andern gönnend,
Um die vielgeliebten Augen!
schlankere die geliebten Bissen,
Sie gemächlich zu verschlucken!
Jagt euch um die Leckerbissen!
Selig, wer den Fraß verschlingt! --

Zuerst kommt ein orientalischer Paradiesvogel, der durch seinen lustigen
Gesaug schon manches Gemüth erquickt, Mirza-Schaffy. Er singt unter andern,:


Höre, was der Volksmund spricht:
Wer die Wahrheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben --
Wer die Wahrheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben --
Wer die Wahrheit spricht, der muß
Statt der Arme Flügel haben!
Und doch singt Mirza-Schassy:
Wer da lügt, muß Prügel haben!

Treufreund und Hoffegut stimmen ein lautes und freudiges Bravo an
und lassen den wackeren Tartaren, der sich gegen alle Tartarenbotschaften so
lebhaft verwahrt, mit ihren besten Segenswünschen vorüberziehen. -- Es
folgt ein sehr ernsthaft aussehender Vogel in der Maske eines russischen Diplo¬
maten. Die Maske ist Heuer nicht beliebt, aber sie spricht sehr verständig, und
wenn sie auch nicht lauter neue Dinge erzählt, so sind sie wenigstens immer
gut ausgedrückt, z. B.:


Willst du einen kratzen,
Thns mit fremden Tatzen,
Du hast dasselbe Vergnügen
Und wirst keine Schläge kriegen. --
Schüttle nicht die Mähne,
Hast du keine Zähne. --
Du findest auch den Teufel schön,
Wenn er dich zärtlich angesehn.--
"Warum nur hältst du soviel Hunde im Haus?"
Mit Hunden kommt mau am besten jetzt aus,
Man weiß denn doch gleich und zu jeder Frist,
Ob einer ein Mops oder ein Pinscher ist. --

blaugoldenen oder rothgoldenen Federn, alle sehnsuchtsvoll nach den Weihnachts¬
tischen schauend, ob sie vielleicht dort einen Platz finden. Schon mehre Wochen
vorher gehen trübe Ahnungen durch dle Seele des armen Kritikus, der diese
Schar von Vögeln aus sich zukommen steht. Schon von fern hört er ihr
leidenschaftliches Gezwitscher, sieht, wie sie ihre Schnäbel wetzen, und zittert für
seine Augen.


Und dann zerrt und reißt euch gierig,
Keiner sie dem andern gönnend,
Um die vielgeliebten Augen!
schlankere die geliebten Bissen,
Sie gemächlich zu verschlucken!
Jagt euch um die Leckerbissen!
Selig, wer den Fraß verschlingt! —

Zuerst kommt ein orientalischer Paradiesvogel, der durch seinen lustigen
Gesaug schon manches Gemüth erquickt, Mirza-Schaffy. Er singt unter andern,:


Höre, was der Volksmund spricht:
Wer die Wahrheit liebt, der muß
Schon sein Pferd am Zügel haben —
Wer die Wahrheit denkt, der muß
Schon den Fuß im Bügel haben —
Wer die Wahrheit spricht, der muß
Statt der Arme Flügel haben!
Und doch singt Mirza-Schassy:
Wer da lügt, muß Prügel haben!

Treufreund und Hoffegut stimmen ein lautes und freudiges Bravo an
und lassen den wackeren Tartaren, der sich gegen alle Tartarenbotschaften so
lebhaft verwahrt, mit ihren besten Segenswünschen vorüberziehen. — Es
folgt ein sehr ernsthaft aussehender Vogel in der Maske eines russischen Diplo¬
maten. Die Maske ist Heuer nicht beliebt, aber sie spricht sehr verständig, und
wenn sie auch nicht lauter neue Dinge erzählt, so sind sie wenigstens immer
gut ausgedrückt, z. B.:


Willst du einen kratzen,
Thns mit fremden Tatzen,
Du hast dasselbe Vergnügen
Und wirst keine Schläge kriegen. —
Schüttle nicht die Mähne,
Hast du keine Zähne. —
Du findest auch den Teufel schön,
Wenn er dich zärtlich angesehn.—
„Warum nur hältst du soviel Hunde im Haus?"
Mit Hunden kommt mau am besten jetzt aus,
Man weiß denn doch gleich und zu jeder Frist,
Ob einer ein Mops oder ein Pinscher ist. —

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[0509] blaugoldenen oder rothgoldenen Federn, alle sehnsuchtsvoll nach den Weihnachts¬ tischen schauend, ob sie vielleicht dort einen Platz finden. Schon mehre Wochen vorher gehen trübe Ahnungen durch dle Seele des armen Kritikus, der diese Schar von Vögeln aus sich zukommen steht. Schon von fern hört er ihr leidenschaftliches Gezwitscher, sieht, wie sie ihre Schnäbel wetzen, und zittert für seine Augen. Und dann zerrt und reißt euch gierig, Keiner sie dem andern gönnend, Um die vielgeliebten Augen! schlankere die geliebten Bissen, Sie gemächlich zu verschlucken! Jagt euch um die Leckerbissen! Selig, wer den Fraß verschlingt! — Zuerst kommt ein orientalischer Paradiesvogel, der durch seinen lustigen Gesaug schon manches Gemüth erquickt, Mirza-Schaffy. Er singt unter andern,: Höre, was der Volksmund spricht: Wer die Wahrheit liebt, der muß Schon sein Pferd am Zügel haben — Wer die Wahrheit denkt, der muß Schon den Fuß im Bügel haben — Wer die Wahrheit spricht, der muß Statt der Arme Flügel haben! Und doch singt Mirza-Schassy: Wer da lügt, muß Prügel haben! Treufreund und Hoffegut stimmen ein lautes und freudiges Bravo an und lassen den wackeren Tartaren, der sich gegen alle Tartarenbotschaften so lebhaft verwahrt, mit ihren besten Segenswünschen vorüberziehen. — Es folgt ein sehr ernsthaft aussehender Vogel in der Maske eines russischen Diplo¬ maten. Die Maske ist Heuer nicht beliebt, aber sie spricht sehr verständig, und wenn sie auch nicht lauter neue Dinge erzählt, so sind sie wenigstens immer gut ausgedrückt, z. B.: Willst du einen kratzen, Thns mit fremden Tatzen, Du hast dasselbe Vergnügen Und wirst keine Schläge kriegen. — Schüttle nicht die Mähne, Hast du keine Zähne. — Du findest auch den Teufel schön, Wenn er dich zärtlich angesehn.— „Warum nur hältst du soviel Hunde im Haus?" Mit Hunden kommt mau am besten jetzt aus, Man weiß denn doch gleich und zu jeder Frist, Ob einer ein Mops oder ein Pinscher ist. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/509>, abgerufen am 22.07.2024.