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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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bäume, die mit ihren grünen Nadeln ein schönes Symbol der auch in der
Winterzeit lebendigen göttlichverehrten Naturmacht, mit ihren Lichtern eine
Verklärung und Heiligung dieser Macht sind, während die vergoldeten Aepfel
und Nüsse an ihren Zweigen auf einstige Opfer deuten. Das Alte ist eben
wie alles Alte zusammengeschrumpft. Wie das einst alle Kreise durchdringende
Opferfest zur Bescherung für Kinder geworden ist, so wurden auch die Bäume
kleiner, bis sie endlich im Zimmer Raum hatten; die festliche Stimmung aber
nahm nicht ab, sondern pflanzte sich gleichsam im Blute von Geschlecht zu
Geschlecht bis aus das unsere fort.

Betrachten wir die Tage nach dem 23. December, so weist gleich die Art,
wie am Rhein und in Schwaben der nächstfolgende, jetzt dem heiligen Stephan
geweiht, begangen wurde, sehr deutlich auf altheidnischen Brauch hin. Derselbe
heißt in den genannten Strichen im Volksmunde der "Pferdstag", und es
scheinen an ihm vorzüglich Turniere und Wettrennen abgehalten worden zu
sein. Noch jetzt reitet man am Niederrhein ganz wie in andern Gegenden
beim Mai- oder Pfingstfeste in Scharen von Ort zu Ort, und dasselbe ist in
verschiedenen schwäbischen Dörfern, z. B. in Backnang, der Fall. Die Sage
geht, daß dies vor Hererei und Seuche schütze. Auch wurde früher an diesem
Tage den Pferden zur Ader gelassen und Roßhufe wurden über die Stallthürcn
genagelt zur Abwendung von Zauberei. Nicht undeutlich tritt in diesen An¬
deutungen das altgermanische Pferdeopfer hervor, das bei allen hohen Festen
gebräuchlich war.

Eine Erinnerung an die Schmäuse der zwölf Nächte haben wir endlich
in dem Gebrauche der Johanniseimer vor uns, die in katholischen Gegenden
hin und wieder noch üblich ist. Beim Julfeste wurden auf das Gedächtniß
der Götter feierliche Becher geleert, und noch heute wird am 27. December in
der Umgebung von Tübingen und Eßlingen von jedem Gemeindegliede ein
Maß Wein zur Kirch'e gebracht, dort vom Pfarrer mit den Worten: "Trinkt
aus diesem Kelche wahre christliche Bruderliebe" geweiht und dann zu Hause
getrunken, indem dabei der Glaube herrscht, daß. dieser Johannistrunk -- der
meist dem Wuotan gegolten haben mag -- vor allem Schaden schütze. Ein
anderer nicht minder deutlicher Rest ist der Eberkopf, der einst bei allen Ger¬
manen das Hauptgericht der Julzeit bildete und in England noch jetzt hin und
wieder auf die Tafel kommt, und auf welchen auch die eberförmigen Weinachts¬
gebäcke der Schweden hinweisen. Hier finden ferner die norddeutschen Bretzeln
und die schwäbischen Neujahrsringe, die beide das Bild des heiligen Sonnen¬
rades mit seinen Speichen repräsentiren, ihre Erklärung. Zum Schluß aber
kann hinsichtlich der Bestandtheile jener Opferschmäuse an die Christstollen
Mitteldeutschlands, an das schwäbische Huzelbrot, an die Neujahrskuchen, die
im Bergischen am Sylvesterabende gebacken werden, an das blaue Muß, welches


bäume, die mit ihren grünen Nadeln ein schönes Symbol der auch in der
Winterzeit lebendigen göttlichverehrten Naturmacht, mit ihren Lichtern eine
Verklärung und Heiligung dieser Macht sind, während die vergoldeten Aepfel
und Nüsse an ihren Zweigen auf einstige Opfer deuten. Das Alte ist eben
wie alles Alte zusammengeschrumpft. Wie das einst alle Kreise durchdringende
Opferfest zur Bescherung für Kinder geworden ist, so wurden auch die Bäume
kleiner, bis sie endlich im Zimmer Raum hatten; die festliche Stimmung aber
nahm nicht ab, sondern pflanzte sich gleichsam im Blute von Geschlecht zu
Geschlecht bis aus das unsere fort.

Betrachten wir die Tage nach dem 23. December, so weist gleich die Art,
wie am Rhein und in Schwaben der nächstfolgende, jetzt dem heiligen Stephan
geweiht, begangen wurde, sehr deutlich auf altheidnischen Brauch hin. Derselbe
heißt in den genannten Strichen im Volksmunde der „Pferdstag", und es
scheinen an ihm vorzüglich Turniere und Wettrennen abgehalten worden zu
sein. Noch jetzt reitet man am Niederrhein ganz wie in andern Gegenden
beim Mai- oder Pfingstfeste in Scharen von Ort zu Ort, und dasselbe ist in
verschiedenen schwäbischen Dörfern, z. B. in Backnang, der Fall. Die Sage
geht, daß dies vor Hererei und Seuche schütze. Auch wurde früher an diesem
Tage den Pferden zur Ader gelassen und Roßhufe wurden über die Stallthürcn
genagelt zur Abwendung von Zauberei. Nicht undeutlich tritt in diesen An¬
deutungen das altgermanische Pferdeopfer hervor, das bei allen hohen Festen
gebräuchlich war.

Eine Erinnerung an die Schmäuse der zwölf Nächte haben wir endlich
in dem Gebrauche der Johanniseimer vor uns, die in katholischen Gegenden
hin und wieder noch üblich ist. Beim Julfeste wurden auf das Gedächtniß
der Götter feierliche Becher geleert, und noch heute wird am 27. December in
der Umgebung von Tübingen und Eßlingen von jedem Gemeindegliede ein
Maß Wein zur Kirch'e gebracht, dort vom Pfarrer mit den Worten: „Trinkt
aus diesem Kelche wahre christliche Bruderliebe" geweiht und dann zu Hause
getrunken, indem dabei der Glaube herrscht, daß. dieser Johannistrunk — der
meist dem Wuotan gegolten haben mag — vor allem Schaden schütze. Ein
anderer nicht minder deutlicher Rest ist der Eberkopf, der einst bei allen Ger¬
manen das Hauptgericht der Julzeit bildete und in England noch jetzt hin und
wieder auf die Tafel kommt, und auf welchen auch die eberförmigen Weinachts¬
gebäcke der Schweden hinweisen. Hier finden ferner die norddeutschen Bretzeln
und die schwäbischen Neujahrsringe, die beide das Bild des heiligen Sonnen¬
rades mit seinen Speichen repräsentiren, ihre Erklärung. Zum Schluß aber
kann hinsichtlich der Bestandtheile jener Opferschmäuse an die Christstollen
Mitteldeutschlands, an das schwäbische Huzelbrot, an die Neujahrskuchen, die
im Bergischen am Sylvesterabende gebacken werden, an das blaue Muß, welches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/501>, abgerufen am 24.08.2024.