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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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ebendaselbst am Weihnachtstage gegessen werden muß und dann gegen das
Fieber sichert, an das Gericht gelber Rüben, die der schwäbische Bauer am
Neujahrstage verspeist, an die Knötel mit Heringen, die im Saalfeldischen
nothwendige Sylvesterspeise sind, an den unumgänglichen Heringssalat der
Leipziger Weihnacht und an den Hirse, den man in Dresden zu Neujahr auf
dem Tische der Hausfrau von altem Schrot und Korn sieht, und welcher
bewirkt, daß es im begonnenen Jahre nicht an Geld fehlt, mit Fug erinnert
werden. '

Eine ungemein große Anzahl von Bruchstücken zur Ergänzung deS Torso,
als'welchen wir die heidnische Weihnacht in der christlichen aufgehoben sehen,
ließe sich noch beibringen. Das Mitgetheilte wird indeß genügen, und wir
dürfen die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu lange in Anspruch nehmen. Eins
jedoch bleibt noch zu erwähnen. Ganz wie bei jener Vorfeier um Martini
und in den Adventen stellten sich auch in den Nächten des eigentlichen Mill->
winterfestes die Himmlischen ein, bald in milder freundlicher Gestalt, bald mehr
nach ihrer erhabenen und furchtbaren Seite.

Der Ruprecht, welcher, nachdem er die Bescherung angesagt, den Christ¬
baum anzündet und mit dem heiligen Christ die Gaben unter denselben legt,
ist von uns bereits als ein Gott erkannt worden, und zwar als der ruhm¬
strahlende Vater der Götter. Bei derselben Gelegenheit entdeckten wir in dem
Bären, der den Schimmelreiter begleitete, den Eber Froh. Jetzt treffen wir
in Tüb'lügen dasselbe Attribut des Gottes der Fruchtbarkeit als weißes Schwein,
welches regelmäßig in der Geisterstunde der Weihnacht aus dem Kornhause an der
Ammer die Marktgasse entlang bis an die krumme Brücke läuft und dann ver¬
schwindet. Der böse Feind endlich, welcher in verschiedenen Gegenden deren,
welche sich die Advente hindurch alles Betens enthalten haben und in der
Mitternacht vor dem Christfeste auf einen Kreuzweg treten, mit einer Düte
voll unsichtbar machenden und allerlei andere Wunder wirkenden Farnsamen
erscheint, möchte schwerlich ein anderer sein, als Wuotan, der Wunschverleiher,
von der Kirche zum Teufel umgewandelt.

Vor allem aber gehört hierher der Umzug des wilden Heeres, wel¬
ches schon durch die schwäbische Bezeichnung "Wuvtesheer" als der Heereszug
des Gottes bezeugt ist, welchem das Julfest in Deutschland ganz besonders
gegolten zu haben scheint. Bald als riesenhafter Reiter auf eiuen rothgefleckten
Schimmel, bald als rasselnder Wagen braust schwäbischer Sage zufolge in der
Weihnachtszeit und zu Neujahr dieser grausenvolle Spuk über das Land hin.
Wer es kommen hört, muß sich mit dem Gesichte auf den Boden werfen, sonst
schleppt es ihn mit fort. Es hat seine bestimmten Wege, in Jmmenhausen und
Pfullingen die Heergasse, in Undingen die Wuotesgasse. Bisweilen läßt es
eine wilde Musik, manchmal auch Gesang von vielen hundert Stimmen hören.


ebendaselbst am Weihnachtstage gegessen werden muß und dann gegen das
Fieber sichert, an das Gericht gelber Rüben, die der schwäbische Bauer am
Neujahrstage verspeist, an die Knötel mit Heringen, die im Saalfeldischen
nothwendige Sylvesterspeise sind, an den unumgänglichen Heringssalat der
Leipziger Weihnacht und an den Hirse, den man in Dresden zu Neujahr auf
dem Tische der Hausfrau von altem Schrot und Korn sieht, und welcher
bewirkt, daß es im begonnenen Jahre nicht an Geld fehlt, mit Fug erinnert
werden. '

Eine ungemein große Anzahl von Bruchstücken zur Ergänzung deS Torso,
als'welchen wir die heidnische Weihnacht in der christlichen aufgehoben sehen,
ließe sich noch beibringen. Das Mitgetheilte wird indeß genügen, und wir
dürfen die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu lange in Anspruch nehmen. Eins
jedoch bleibt noch zu erwähnen. Ganz wie bei jener Vorfeier um Martini
und in den Adventen stellten sich auch in den Nächten des eigentlichen Mill->
winterfestes die Himmlischen ein, bald in milder freundlicher Gestalt, bald mehr
nach ihrer erhabenen und furchtbaren Seite.

Der Ruprecht, welcher, nachdem er die Bescherung angesagt, den Christ¬
baum anzündet und mit dem heiligen Christ die Gaben unter denselben legt,
ist von uns bereits als ein Gott erkannt worden, und zwar als der ruhm¬
strahlende Vater der Götter. Bei derselben Gelegenheit entdeckten wir in dem
Bären, der den Schimmelreiter begleitete, den Eber Froh. Jetzt treffen wir
in Tüb'lügen dasselbe Attribut des Gottes der Fruchtbarkeit als weißes Schwein,
welches regelmäßig in der Geisterstunde der Weihnacht aus dem Kornhause an der
Ammer die Marktgasse entlang bis an die krumme Brücke läuft und dann ver¬
schwindet. Der böse Feind endlich, welcher in verschiedenen Gegenden deren,
welche sich die Advente hindurch alles Betens enthalten haben und in der
Mitternacht vor dem Christfeste auf einen Kreuzweg treten, mit einer Düte
voll unsichtbar machenden und allerlei andere Wunder wirkenden Farnsamen
erscheint, möchte schwerlich ein anderer sein, als Wuotan, der Wunschverleiher,
von der Kirche zum Teufel umgewandelt.

Vor allem aber gehört hierher der Umzug des wilden Heeres, wel¬
ches schon durch die schwäbische Bezeichnung „Wuvtesheer" als der Heereszug
des Gottes bezeugt ist, welchem das Julfest in Deutschland ganz besonders
gegolten zu haben scheint. Bald als riesenhafter Reiter auf eiuen rothgefleckten
Schimmel, bald als rasselnder Wagen braust schwäbischer Sage zufolge in der
Weihnachtszeit und zu Neujahr dieser grausenvolle Spuk über das Land hin.
Wer es kommen hört, muß sich mit dem Gesichte auf den Boden werfen, sonst
schleppt es ihn mit fort. Es hat seine bestimmten Wege, in Jmmenhausen und
Pfullingen die Heergasse, in Undingen die Wuotesgasse. Bisweilen läßt es
eine wilde Musik, manchmal auch Gesang von vielen hundert Stimmen hören.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/502>, abgerufen am 22.07.2024.