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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Frucht während der Nacht herabgefallen ist: diese nämlich geräth im folgenden
Jahre vorzüglich gut. Noch jetzt hört man bei Tübingen, wenn es ein gutes Wein¬
jahr geben soll, in der Christnacht Punkt zwölf Uhr ein Klopfen an den Butten
der Keller. Andre Arten, in der Zwölften die Zukunft zu erforschen, sind folgende:
In der Gegend von Lorch in Schwaben Schläfern die Mädchen am Donnerstage
vor dem Christfeste eine junge schwarze Henne ein und legen sie auf den Boden,
worauf sie sich im Kreise um sie lagern und ihr Erwachen erwarten. Verläßt
sie nun den Kreis, so wird angenommen, daß die, zwischen denen die Henne
durchgeht, im Laufe des Jahres heirathen. Verunreinigt sie aber die Stelle,
wo sich ein Mädchen befindet, so gilt dies als ein Zeichen, daß dasselbe dem¬
nächst unehelich niederkommen werde. Was man in Kato bei Stuttgart in
den letzten zwölf Nächten des Jahres träumt, das wird in den zwölfMonaten
des nächsten Jahres wahr. In Thüringen horchen die Mägde in der Weih¬
nacht auf der Schwelle des Pferdestalls, und wenn ein Hengst wiehert, so
glauben sie, daß bis zu Johanni ein Freier erscheinen wird. Andre schlafen,
r>in zukünftige Ereignisse zu erfahren, in der Pferdekrippe. Wieder andre horchen
auf Kreuzwegen und an Marksteinen, und vermeinen sie Schwertergeklirr und
Roßgewieher zu vernehmen, so prophezeihen sie Kriegsnoth sür das nächste
Frühjahr. Schließlich war es noch vor fünfzig Jahren im Oberbergischen
Sitte, daß der Hausvater in der Weihnacht ein Ferkel aus dem Stalle in die
Stube holte und dasselbe kneipend ihm mehre Fragen vorsprach, z. B.:


"Witzchen, sag mir Witzchen
Viel oder ein Fitzchen?"

Jenachdem das Schweinchen quiekte, schloß der Bauer auf eine zu¬
künftige reiche oder karge Ernte. Dann frug er weiter:


"Witzchen, sag mir alsbald,
Im Feld oder Wald?"

Nach dem Hellem oder dumpfem Gequiek des Ferkels wurde angenommen,
daß entweder die Kartoffeln und Rüben-, oder die Eicheln und Bucheckern be¬
sonders gedeihen würden.

Eine reiche Obsternte wurde auch dadurch zu erzielen versucht, daß man
(dies vorzüglich in Schwaben) Strohbüschel oder (wie z. B. am Rhein) Epheu-
und Mistelkränze an die Bäume befestigte. Wie das Fragen der Schweine
auf Opfer, so scheint dieser Schmuck der Bäume aus die Strohfackeln zu deuten,
welche im Alterthum nebst den Köpfen der geschlachteten Pferde und Eber an
den Bäumen der heiligen Haine angebracht wurden, eine Sitte, die von den
rheinischen Kirchenversammlungen wiederholentlich als heidnisch untersagt worden
ist. Selbst lange schon bekehrte Christen brachten den gestürzten Heidengöttern
das Opfer des Lichtanzündens an Kreuzwegen, um es schlimmstenfalls auch
mit ihnen nicht verdorben zu haben. Dies aber ist der Ursprung unsrer Christ-


Frucht während der Nacht herabgefallen ist: diese nämlich geräth im folgenden
Jahre vorzüglich gut. Noch jetzt hört man bei Tübingen, wenn es ein gutes Wein¬
jahr geben soll, in der Christnacht Punkt zwölf Uhr ein Klopfen an den Butten
der Keller. Andre Arten, in der Zwölften die Zukunft zu erforschen, sind folgende:
In der Gegend von Lorch in Schwaben Schläfern die Mädchen am Donnerstage
vor dem Christfeste eine junge schwarze Henne ein und legen sie auf den Boden,
worauf sie sich im Kreise um sie lagern und ihr Erwachen erwarten. Verläßt
sie nun den Kreis, so wird angenommen, daß die, zwischen denen die Henne
durchgeht, im Laufe des Jahres heirathen. Verunreinigt sie aber die Stelle,
wo sich ein Mädchen befindet, so gilt dies als ein Zeichen, daß dasselbe dem¬
nächst unehelich niederkommen werde. Was man in Kato bei Stuttgart in
den letzten zwölf Nächten des Jahres träumt, das wird in den zwölfMonaten
des nächsten Jahres wahr. In Thüringen horchen die Mägde in der Weih¬
nacht auf der Schwelle des Pferdestalls, und wenn ein Hengst wiehert, so
glauben sie, daß bis zu Johanni ein Freier erscheinen wird. Andre schlafen,
r>in zukünftige Ereignisse zu erfahren, in der Pferdekrippe. Wieder andre horchen
auf Kreuzwegen und an Marksteinen, und vermeinen sie Schwertergeklirr und
Roßgewieher zu vernehmen, so prophezeihen sie Kriegsnoth sür das nächste
Frühjahr. Schließlich war es noch vor fünfzig Jahren im Oberbergischen
Sitte, daß der Hausvater in der Weihnacht ein Ferkel aus dem Stalle in die
Stube holte und dasselbe kneipend ihm mehre Fragen vorsprach, z. B.:


„Witzchen, sag mir Witzchen
Viel oder ein Fitzchen?"

Jenachdem das Schweinchen quiekte, schloß der Bauer auf eine zu¬
künftige reiche oder karge Ernte. Dann frug er weiter:


„Witzchen, sag mir alsbald,
Im Feld oder Wald?"

Nach dem Hellem oder dumpfem Gequiek des Ferkels wurde angenommen,
daß entweder die Kartoffeln und Rüben-, oder die Eicheln und Bucheckern be¬
sonders gedeihen würden.

Eine reiche Obsternte wurde auch dadurch zu erzielen versucht, daß man
(dies vorzüglich in Schwaben) Strohbüschel oder (wie z. B. am Rhein) Epheu-
und Mistelkränze an die Bäume befestigte. Wie das Fragen der Schweine
auf Opfer, so scheint dieser Schmuck der Bäume aus die Strohfackeln zu deuten,
welche im Alterthum nebst den Köpfen der geschlachteten Pferde und Eber an
den Bäumen der heiligen Haine angebracht wurden, eine Sitte, die von den
rheinischen Kirchenversammlungen wiederholentlich als heidnisch untersagt worden
ist. Selbst lange schon bekehrte Christen brachten den gestürzten Heidengöttern
das Opfer des Lichtanzündens an Kreuzwegen, um es schlimmstenfalls auch
mit ihnen nicht verdorben zu haben. Dies aber ist der Ursprung unsrer Christ-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/500>, abgerufen am 22.07.2024.