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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Andre Ueberbleibsel des alten Juldienstes sind folgende. Am Kaiserstuhl
und im Albthale holt man in der Christmitternacht das "Heilwag" oder hei¬
lige Wasser, welches das Haus segnet. Leibweh heilt und vor Schaden bewahrt.
An der Sieg und Lahn wird zu Weihnachten der Grundblock am Feuerherde
erneuert. Ein schwerer Klotz aus Eichenholz, gewöhnlich ein Erdstummel, wird
entweder an der Feuerstelle eingegraben oder in einer dafür bestimmten Mauer¬
nische unterhalb des Hehlhakens oder Kesselfangs angebracht. Wenn das
Herdfeuer in Glut kommt, glimmt dieser Klotz mit, doch ist er so gestellt, daß
er kaum in Jahresfrist völlig zu Kohle wird. Sein Nest wird bei der Neu¬
anlage sorgfältig herausgenommen, zu Pulver gestoßen und wahrend der Zwölf¬
ten als ganz besonders gute Düngung auf das Feld gestreut. Aehnliche Sitte
herrscht noch jetzt in englischen Dörfern. Sobald das Haus mit Stechpalmen
geschmückt und der mystische Mistelzweig aufgehangen ist, wird der Julblock
(^uls lox) angezündet, der gewöhnlich die knorrige Wurzel eines Baumes ist,
und die heiligen Tage hindurch brennen muß. Ein Stückchen muß übrigblei¬
ben, womit der Julblock des nächsten Jahres in Brand gesetzt wird. Endlich
wird in der Gegend von Marseille und in der Dauphinee vollkommen dieselbe
Ceremonie vorgenommen, nur wird hier der Weihnachtsblock (caligneau) mit
Wein oder auch mit Oel und Wein begossen.

Früher scheint es auch öffentliche Weihnachtsfeuer gegeben zu haben, we¬
nigstens am Niederrhein und an der Scheide. Jetzt lodern deren nur noch in
Schweden und Norwegen, sowie bei Gelegenheit deö Winterfestes zu Schweina
in Thüringen. Da errichtet die Jugend auf dem Döngelsberge eine Pyramide
aus Feldsteinen, zu welcher man am Christabend mit großen Fackeln hinaufzieht,
Weihnachtslieder singt und schließlich die Fackeln auf einen Hausen wirft.
Unten auf der Ebene wieder angelangt, stimmt man beim Scheine von Laternen
und Grubenlichtern Christlieder aus dem Gesangbuche an, und die Ortsmusikan-
ten begleiten den Gesang mit ihren Instrumenten. ,

Ein andrer altdeutscher Festgebrauch war das Verwachen der Weihnacht.
Selbst die Hausthiere durften sich früher dem Schlafe nicht überlassen, sondern
wurden ausgetrieben und gefüttert, indem dies vor Viehseuchen bewahren sollte.
Selbst die Bäume wurden geschüttelt, auf daß sie im folgenden Jahre reich¬
licher trügen. Ja im schwäbischen Orte Buhl muß man sogar den Essig im
Keller aufrütteln, weil er dann das ganze Jahr nicht ausgeht. Ganz beson¬
ders zahlreich aber sind die Beispiele von Weihnachtsaberglauben, welche dar¬
thun, daß in dieser mit göttlichen Kräften erfüllten Zeit dem Menschen auch
die Zukunft offen lag. Noch jetzt gehen Abergläubische in der Cbristnacht in
die Wintersaat, um die Geister von den kommenden Dingen reden zu hören.
Noch jetzt wird in Schwaben am Tage vor Weihnachten in der Scheuer der Platz
unter dem Obertenloche reingefegt und am andern Morgen nachgesehen, welche


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Andre Ueberbleibsel des alten Juldienstes sind folgende. Am Kaiserstuhl
und im Albthale holt man in der Christmitternacht das „Heilwag" oder hei¬
lige Wasser, welches das Haus segnet. Leibweh heilt und vor Schaden bewahrt.
An der Sieg und Lahn wird zu Weihnachten der Grundblock am Feuerherde
erneuert. Ein schwerer Klotz aus Eichenholz, gewöhnlich ein Erdstummel, wird
entweder an der Feuerstelle eingegraben oder in einer dafür bestimmten Mauer¬
nische unterhalb des Hehlhakens oder Kesselfangs angebracht. Wenn das
Herdfeuer in Glut kommt, glimmt dieser Klotz mit, doch ist er so gestellt, daß
er kaum in Jahresfrist völlig zu Kohle wird. Sein Nest wird bei der Neu¬
anlage sorgfältig herausgenommen, zu Pulver gestoßen und wahrend der Zwölf¬
ten als ganz besonders gute Düngung auf das Feld gestreut. Aehnliche Sitte
herrscht noch jetzt in englischen Dörfern. Sobald das Haus mit Stechpalmen
geschmückt und der mystische Mistelzweig aufgehangen ist, wird der Julblock
(^uls lox) angezündet, der gewöhnlich die knorrige Wurzel eines Baumes ist,
und die heiligen Tage hindurch brennen muß. Ein Stückchen muß übrigblei¬
ben, womit der Julblock des nächsten Jahres in Brand gesetzt wird. Endlich
wird in der Gegend von Marseille und in der Dauphinee vollkommen dieselbe
Ceremonie vorgenommen, nur wird hier der Weihnachtsblock (caligneau) mit
Wein oder auch mit Oel und Wein begossen.

Früher scheint es auch öffentliche Weihnachtsfeuer gegeben zu haben, we¬
nigstens am Niederrhein und an der Scheide. Jetzt lodern deren nur noch in
Schweden und Norwegen, sowie bei Gelegenheit deö Winterfestes zu Schweina
in Thüringen. Da errichtet die Jugend auf dem Döngelsberge eine Pyramide
aus Feldsteinen, zu welcher man am Christabend mit großen Fackeln hinaufzieht,
Weihnachtslieder singt und schließlich die Fackeln auf einen Hausen wirft.
Unten auf der Ebene wieder angelangt, stimmt man beim Scheine von Laternen
und Grubenlichtern Christlieder aus dem Gesangbuche an, und die Ortsmusikan-
ten begleiten den Gesang mit ihren Instrumenten. ,

Ein andrer altdeutscher Festgebrauch war das Verwachen der Weihnacht.
Selbst die Hausthiere durften sich früher dem Schlafe nicht überlassen, sondern
wurden ausgetrieben und gefüttert, indem dies vor Viehseuchen bewahren sollte.
Selbst die Bäume wurden geschüttelt, auf daß sie im folgenden Jahre reich¬
licher trügen. Ja im schwäbischen Orte Buhl muß man sogar den Essig im
Keller aufrütteln, weil er dann das ganze Jahr nicht ausgeht. Ganz beson¬
ders zahlreich aber sind die Beispiele von Weihnachtsaberglauben, welche dar¬
thun, daß in dieser mit göttlichen Kräften erfüllten Zeit dem Menschen auch
die Zukunft offen lag. Noch jetzt gehen Abergläubische in der Cbristnacht in
die Wintersaat, um die Geister von den kommenden Dingen reden zu hören.
Noch jetzt wird in Schwaben am Tage vor Weihnachten in der Scheuer der Platz
unter dem Obertenloche reingefegt und am andern Morgen nachgesehen, welche


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[0499] Andre Ueberbleibsel des alten Juldienstes sind folgende. Am Kaiserstuhl und im Albthale holt man in der Christmitternacht das „Heilwag" oder hei¬ lige Wasser, welches das Haus segnet. Leibweh heilt und vor Schaden bewahrt. An der Sieg und Lahn wird zu Weihnachten der Grundblock am Feuerherde erneuert. Ein schwerer Klotz aus Eichenholz, gewöhnlich ein Erdstummel, wird entweder an der Feuerstelle eingegraben oder in einer dafür bestimmten Mauer¬ nische unterhalb des Hehlhakens oder Kesselfangs angebracht. Wenn das Herdfeuer in Glut kommt, glimmt dieser Klotz mit, doch ist er so gestellt, daß er kaum in Jahresfrist völlig zu Kohle wird. Sein Nest wird bei der Neu¬ anlage sorgfältig herausgenommen, zu Pulver gestoßen und wahrend der Zwölf¬ ten als ganz besonders gute Düngung auf das Feld gestreut. Aehnliche Sitte herrscht noch jetzt in englischen Dörfern. Sobald das Haus mit Stechpalmen geschmückt und der mystische Mistelzweig aufgehangen ist, wird der Julblock (^uls lox) angezündet, der gewöhnlich die knorrige Wurzel eines Baumes ist, und die heiligen Tage hindurch brennen muß. Ein Stückchen muß übrigblei¬ ben, womit der Julblock des nächsten Jahres in Brand gesetzt wird. Endlich wird in der Gegend von Marseille und in der Dauphinee vollkommen dieselbe Ceremonie vorgenommen, nur wird hier der Weihnachtsblock (caligneau) mit Wein oder auch mit Oel und Wein begossen. Früher scheint es auch öffentliche Weihnachtsfeuer gegeben zu haben, we¬ nigstens am Niederrhein und an der Scheide. Jetzt lodern deren nur noch in Schweden und Norwegen, sowie bei Gelegenheit deö Winterfestes zu Schweina in Thüringen. Da errichtet die Jugend auf dem Döngelsberge eine Pyramide aus Feldsteinen, zu welcher man am Christabend mit großen Fackeln hinaufzieht, Weihnachtslieder singt und schließlich die Fackeln auf einen Hausen wirft. Unten auf der Ebene wieder angelangt, stimmt man beim Scheine von Laternen und Grubenlichtern Christlieder aus dem Gesangbuche an, und die Ortsmusikan- ten begleiten den Gesang mit ihren Instrumenten. , Ein andrer altdeutscher Festgebrauch war das Verwachen der Weihnacht. Selbst die Hausthiere durften sich früher dem Schlafe nicht überlassen, sondern wurden ausgetrieben und gefüttert, indem dies vor Viehseuchen bewahren sollte. Selbst die Bäume wurden geschüttelt, auf daß sie im folgenden Jahre reich¬ licher trügen. Ja im schwäbischen Orte Buhl muß man sogar den Essig im Keller aufrütteln, weil er dann das ganze Jahr nicht ausgeht. Ganz beson¬ ders zahlreich aber sind die Beispiele von Weihnachtsaberglauben, welche dar¬ thun, daß in dieser mit göttlichen Kräften erfüllten Zeit dem Menschen auch die Zukunft offen lag. Noch jetzt gehen Abergläubische in der Cbristnacht in die Wintersaat, um die Geister von den kommenden Dingen reden zu hören. Noch jetzt wird in Schwaben am Tage vor Weihnachten in der Scheuer der Platz unter dem Obertenloche reingefegt und am andern Morgen nachgesehen, welche 62»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/499>, abgerufen am 22.07.2024.