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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sein. Der Bundestag würde zu einer Octroyirung- und Erecutionsbehörde
der deutschen Standesherrn geworden sein.

Diese Forderung erschiene noch weniger grell, wenn die würtenbergische
Regierung jede Berechtigung der Standesherrlichen Beschwerden abgewiesen und
sich nicht bereits bemüht hätte, dem von der Landesgesetzgebung von 1848/9
altcrirten Rechtszustande der Standesherrn, soviel es möglich ohne andere
Rechte und Interessen zu verletzen und ohne eine directe Nechtsverwirrung her¬
beizuführen, auf legislatorischen Wege Rechnung zu tragen; daß sie dafür
keine Octroiyrungen verwandte, hätte sollen gerade die Vertreter "conservativer
Interessen" zu abwartender Mäßigung führen. Besonders da weder der
Bundeöbeschluß vom 23. August 18S1 derartiges verlangte oder überhaupt
einen Termin für die Erfüllung seiner Forderungen ansetzte, noch auch eine
derartige Contrerevolution im praktisch gewordenen Nechtsbestcmde des König¬
reichs vom Standpunkte der höhern Politik irgendwie hätte gebilligt werden
können.

Die Standesherrn hatten nun vornämlich gegen 8 Gesetze aus den
Jahren 1848/9 ihre Angriffe gerichtet. Diese waren 1) Geh. vom 14. April
4848 über vollständige Beseitigung der auf Grund und Boden ruhenden
Lasten; 2) Zehntablösungsges. vom 17. Juni 49; 3) Geh. über Beseitigung
der Ueberreste älterer Abgaben vom 24. Aug. 49; 4) Geh. von gleichem Da¬
tum über Erläuterung und theilweise Abänderung einiger Bestimmungen des
Geh. vom 14. Apr. 48; 3) Geh. über Ausdehnung des Amts- und Gemeinde¬
verbands auf sämmtliche Theile des Staatsgebiets, vom 18. Juni 49; 6) Geh.
über Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizeiverwaltung, vom
4. Juli 49; 7) Geh. über das Jagdwesen, vom 17. August 49; 8) Geh. von
gleichem Datum über Aushebung des erimirten Gerichtsstandes.

Von diesen Gesetzen bezeichnet die standesherrliche Klage die unter 3--8
aufgeführten als "Grundrechtsgesetze", gegen welche ihr hauptsächlichster Zorn
vielleicht auch darum gerichtet ist, weil sie mit dieser Bezeichnung den Oc-
troyirungseifer des Bundestags am leichtesten werben zu können vermeint. Nur
vergißt sie leider anzuführen, daß die erste Kammer, also eben die dort klagenden
Standesherrn, den allermeisten dieser Gesetze selbst ihre Beistimmung ertheilt
hat. Und wenn auch mehre dieser Standesherrn bei der Abstimmung fehlten,
so ist es sicherlich blos ihre eigne Schuld, nicht 'die ver andern Gesetzgebungs-
factvren, daß die Opposition gegen das Zustandekommen jener Gesetze in der ersten
Kammer sowenig pflichttreue Mitglieder hatte. Nur die unter 3 und 4 ge¬
nannten Gesetze kamen zustande, als die erste Kammer nicht mehr versam¬
melt war. Aber konnte dies einen Zweifel gegen ihre Anwendung auf die
davon Betroffenen erschaffen? Wahrlich, nur die wunderbarste Begriffsver¬
wirrung und Nechtsunkenntniß kann Gesetze angreifen, die man selbst geschaf-


sein. Der Bundestag würde zu einer Octroyirung- und Erecutionsbehörde
der deutschen Standesherrn geworden sein.

Diese Forderung erschiene noch weniger grell, wenn die würtenbergische
Regierung jede Berechtigung der Standesherrlichen Beschwerden abgewiesen und
sich nicht bereits bemüht hätte, dem von der Landesgesetzgebung von 1848/9
altcrirten Rechtszustande der Standesherrn, soviel es möglich ohne andere
Rechte und Interessen zu verletzen und ohne eine directe Nechtsverwirrung her¬
beizuführen, auf legislatorischen Wege Rechnung zu tragen; daß sie dafür
keine Octroiyrungen verwandte, hätte sollen gerade die Vertreter „conservativer
Interessen" zu abwartender Mäßigung führen. Besonders da weder der
Bundeöbeschluß vom 23. August 18S1 derartiges verlangte oder überhaupt
einen Termin für die Erfüllung seiner Forderungen ansetzte, noch auch eine
derartige Contrerevolution im praktisch gewordenen Nechtsbestcmde des König¬
reichs vom Standpunkte der höhern Politik irgendwie hätte gebilligt werden
können.

Die Standesherrn hatten nun vornämlich gegen 8 Gesetze aus den
Jahren 1848/9 ihre Angriffe gerichtet. Diese waren 1) Geh. vom 14. April
4848 über vollständige Beseitigung der auf Grund und Boden ruhenden
Lasten; 2) Zehntablösungsges. vom 17. Juni 49; 3) Geh. über Beseitigung
der Ueberreste älterer Abgaben vom 24. Aug. 49; 4) Geh. von gleichem Da¬
tum über Erläuterung und theilweise Abänderung einiger Bestimmungen des
Geh. vom 14. Apr. 48; 3) Geh. über Ausdehnung des Amts- und Gemeinde¬
verbands auf sämmtliche Theile des Staatsgebiets, vom 18. Juni 49; 6) Geh.
über Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizeiverwaltung, vom
4. Juli 49; 7) Geh. über das Jagdwesen, vom 17. August 49; 8) Geh. von
gleichem Datum über Aushebung des erimirten Gerichtsstandes.

Von diesen Gesetzen bezeichnet die standesherrliche Klage die unter 3—8
aufgeführten als „Grundrechtsgesetze", gegen welche ihr hauptsächlichster Zorn
vielleicht auch darum gerichtet ist, weil sie mit dieser Bezeichnung den Oc-
troyirungseifer des Bundestags am leichtesten werben zu können vermeint. Nur
vergißt sie leider anzuführen, daß die erste Kammer, also eben die dort klagenden
Standesherrn, den allermeisten dieser Gesetze selbst ihre Beistimmung ertheilt
hat. Und wenn auch mehre dieser Standesherrn bei der Abstimmung fehlten,
so ist es sicherlich blos ihre eigne Schuld, nicht 'die ver andern Gesetzgebungs-
factvren, daß die Opposition gegen das Zustandekommen jener Gesetze in der ersten
Kammer sowenig pflichttreue Mitglieder hatte. Nur die unter 3 und 4 ge¬
nannten Gesetze kamen zustande, als die erste Kammer nicht mehr versam¬
melt war. Aber konnte dies einen Zweifel gegen ihre Anwendung auf die
davon Betroffenen erschaffen? Wahrlich, nur die wunderbarste Begriffsver¬
wirrung und Nechtsunkenntniß kann Gesetze angreifen, die man selbst geschaf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/461>, abgerufen am 22.07.2024.