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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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daß er seine eigne Aufgabe ebenso scharf und selbstbewußt aufgefaßt hatte, im
Sinne seines eventuellen Nachfolgers. Fürst Schwarzenberg war Soldat in
seinem Denken und Handeln, Soldat in der höhern chevaleresken Bedeutung.
Als Soldat hatte er die Gefahr erfaßt, in welcher sein Vaterland und sein
Kaiser schwebte. Ohne Zögern und ohne jene Rücksichtsnahme, welche dem
Bureaukraten von Geblüt eigen ist, stürzte er sich persönlich in den Kampf,
zuerst aus den blutigen Schlachtfeldern in Italien und Ungarn, bann auf dem
politischen Wahlplatz der heimischen Parteien und der auswärtigen Diplomatie.
Nachdem es ihm gelungen war, die Staatseinheit mit dem Schwerte herzu¬
stellen, proclamirte er dieselbe offen als das Fundament des neuen Reiches,
als das Ziel der neuen Reaction. Dem Auslande gegenüber suchte er, gehoben
von dem Gefühl des rasch errungenen Sieges und von dem Stolz des neu¬
belebten Patriotismus, die frühere Stellung Oestreichs als europäische Gro߬
macht wieder zur Geltung zu bringen. Auch hier wirkte er mit soldatischem
Geist. Unbeirrt von ältern Traditionen, von den Separatgelüsten früherer
Bundesgenossen, belästigt.durch den schwerfälligen Mechanismus des deutschen
Bundeswesens, stürmte er bald mit gewaffneter Hand ins fremde Land hinein,
das politische Terrain des Augenblicks und jede falsche Stellung des Gegners
zum Vortheil seiner Operationen benutzend. Daß es ihm hierbei nicht darauf
ankam, Recht und Unrecht -- wir erinnern an Hessen und Holstein -- mit
der historischen Goldwage abzuwägen, lag eben auch in dem eigenthümlichen
soldatischen Wesen seines Auftretens und in dem sichtbaren Bestreben, die Gunst
des Momentes, gleichsam das Lächeln des Schicksals, durch rasches Handeln
der wiedererstandenen Mix ^ustria, dauernd zuzuwenden. Der politische Feld¬
zug endete mit Ehren für Oestreich. Aber er ließ viele Wunden in Deutsch¬
land zurück, welche, wie wir bis heute sehen, bei der leisesten Berührung
wieder schmerzhaft werden und einer gründlichen Heilung bedürfen. Ueberall
im eignen Lande und in den angrenzenden Staaten war das Restaurations¬
werk begonnen, die Erbauung des aufgewühlten Bodens vorbereitet, neue Or¬
ganisationen sollten ins Leben treten, alte und junge Leidenschaften, provincielle
und reaktionäre Gelüste, radicale Erinnerungen sollten gedämmt und dem all¬
gemeinen Staatswohl untergeordnet werden, die materiellen Interessen stürzten
mit einem Male in voller Naturwüchsigkeit über den hohlen Doktrinarismus
der Bewegungsjahre hinweg und die Finanznoth, die knurrende Sprache des
Geldsacks wurde lauter vernehmbar, als das leise Flüstern der konstitutionellen
Epigonen. Die Zolleinigung mit Deutschland war kaum zum Abschluß gebracht,
noch schwebten die Verhandlungen zwischen dem Steuerverein und dem Zoll¬
verein und die Klagen des bedrohten Industriellen diesseits und jenseits der
östreichischen Grenze setzten die Handelswelt in Unruhe. Auch die Beziehungen
zum Auslande hatten durch den Staatsstreich des napoleoniden vom 3. Dec.


daß er seine eigne Aufgabe ebenso scharf und selbstbewußt aufgefaßt hatte, im
Sinne seines eventuellen Nachfolgers. Fürst Schwarzenberg war Soldat in
seinem Denken und Handeln, Soldat in der höhern chevaleresken Bedeutung.
Als Soldat hatte er die Gefahr erfaßt, in welcher sein Vaterland und sein
Kaiser schwebte. Ohne Zögern und ohne jene Rücksichtsnahme, welche dem
Bureaukraten von Geblüt eigen ist, stürzte er sich persönlich in den Kampf,
zuerst aus den blutigen Schlachtfeldern in Italien und Ungarn, bann auf dem
politischen Wahlplatz der heimischen Parteien und der auswärtigen Diplomatie.
Nachdem es ihm gelungen war, die Staatseinheit mit dem Schwerte herzu¬
stellen, proclamirte er dieselbe offen als das Fundament des neuen Reiches,
als das Ziel der neuen Reaction. Dem Auslande gegenüber suchte er, gehoben
von dem Gefühl des rasch errungenen Sieges und von dem Stolz des neu¬
belebten Patriotismus, die frühere Stellung Oestreichs als europäische Gro߬
macht wieder zur Geltung zu bringen. Auch hier wirkte er mit soldatischem
Geist. Unbeirrt von ältern Traditionen, von den Separatgelüsten früherer
Bundesgenossen, belästigt.durch den schwerfälligen Mechanismus des deutschen
Bundeswesens, stürmte er bald mit gewaffneter Hand ins fremde Land hinein,
das politische Terrain des Augenblicks und jede falsche Stellung des Gegners
zum Vortheil seiner Operationen benutzend. Daß es ihm hierbei nicht darauf
ankam, Recht und Unrecht — wir erinnern an Hessen und Holstein — mit
der historischen Goldwage abzuwägen, lag eben auch in dem eigenthümlichen
soldatischen Wesen seines Auftretens und in dem sichtbaren Bestreben, die Gunst
des Momentes, gleichsam das Lächeln des Schicksals, durch rasches Handeln
der wiedererstandenen Mix ^ustria, dauernd zuzuwenden. Der politische Feld¬
zug endete mit Ehren für Oestreich. Aber er ließ viele Wunden in Deutsch¬
land zurück, welche, wie wir bis heute sehen, bei der leisesten Berührung
wieder schmerzhaft werden und einer gründlichen Heilung bedürfen. Ueberall
im eignen Lande und in den angrenzenden Staaten war das Restaurations¬
werk begonnen, die Erbauung des aufgewühlten Bodens vorbereitet, neue Or¬
ganisationen sollten ins Leben treten, alte und junge Leidenschaften, provincielle
und reaktionäre Gelüste, radicale Erinnerungen sollten gedämmt und dem all¬
gemeinen Staatswohl untergeordnet werden, die materiellen Interessen stürzten
mit einem Male in voller Naturwüchsigkeit über den hohlen Doktrinarismus
der Bewegungsjahre hinweg und die Finanznoth, die knurrende Sprache des
Geldsacks wurde lauter vernehmbar, als das leise Flüstern der konstitutionellen
Epigonen. Die Zolleinigung mit Deutschland war kaum zum Abschluß gebracht,
noch schwebten die Verhandlungen zwischen dem Steuerverein und dem Zoll¬
verein und die Klagen des bedrohten Industriellen diesseits und jenseits der
östreichischen Grenze setzten die Handelswelt in Unruhe. Auch die Beziehungen
zum Auslande hatten durch den Staatsstreich des napoleoniden vom 3. Dec.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/434>, abgerufen am 24.08.2024.