Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine unerwartete Wendung genommen. Schon der Name des neuen Dynasten
setzte ganz Europa in Bewegung. Athemlos verfolgte man jeden Schritt des
glücklichen Emporkömmlings, und seine stumme Verschlossenheit gab Raum zu
den schlimmsten Befürchtungen für die Ruhe Europas. Das ganze mühevolle
und blutige Werk der letzten Jahre schien abermals in Frage gestellt. Und
kaum hatte das Londoner Protokoll mindestens dem Scheine nach eine Quelle
der schwierigsten Verwicklungen im Norden unsres Welttheils verstopft, als
am andern Ende desselben, im Südosten, Verhältnisse und Zustände zur Sprache
kamen, welche, anfangs wenig beachtet, bald als die wichtigsten Factoren der
gemeinsamen europäischen Politik erkannt werden mußten. Eine unsichtbare
Hand ragte aus dem Norden in die slawisch-türkische Welt hinein, knüpfte und
löste die seit Jahrzehnten gesponnenen Fäden, und trat endlich mit einem un¬
geschlachten Faustschlag ans Tageslicht. In den serbischen Ländern, in den
Fürstentümern führte das stehende Capitel der "Christenverfolgungen" bald
zum offenen Kampf zwischen den Orthodoxen und den Muselmännern, das
kleine Montenegro begann eine selbstständige Rolle zu spielen, in Griechen¬
land und auf den Inseln des Archipelagus regte sich ein ununterscheidbareS
Gestndel von Piraten und orthodoren Fanatikern. Endlich trat auch die lange
verschollene Frage wegen der heiligen Grabstätte mit neuer Macht in den Vor¬
dergrund und daS ganze Treiben erhielt nun das offene Gepräge eines allgemeinen
Kampfes zwischen der orientalischen und occidentalischen Kirche und ihrer Po¬
litik. So sah Oestreich mit einem Male seine südöstlichen Länder von einem
Kreise aufflackernder Brände umzingelt, welche gar bald in die helle Lohe eines
großen orientalischen Weltkrieges zwischen den Großmächten Europas zusam¬
menzuschlagen drohten.

In diesem kritischen Moment übernahm Graf Buol die Leitung der aus¬
wärtigen Angelegenheiten. Was sein Vorgänger im Amte durch soldatischen
Muth, durch geistvolle Apercus und kühne Entschlüsse in und für Oestreich
erkämpft und geschaffen, sollte nun durch entschiedenes Festhalten an der Staats¬
einheitsidee geordnet und erhalten, mir weiser Mäßigung in Fleisch und Blut
der Nation übertragen, durch eine geschickte Verknüpfung mit den Interessen des
Auslandes auch zur allgemeinen europäischen Geltung gebracht werden. Zu¬
gleich erforderte die eigenthümliche Lage des Reiches inmitten der bedrohlichen
Situation, welche der Sturm im Orient heraufbeschwor, einen freien und festen
Blick in die verwickelten Fragen des Jahrhunderts, eine sichere, unbeugsame
Hand am Staatsruder der in ihrem Lebensnerv berührten Großmacht. Fürst
Schwarzenberg war durch eine höhere Fügung in dem Augenblicke vom Schau¬
platz seiner Thaten abberufen worden, als er im Siegesjubel das Panier Oest¬
reichs hoch emporhielt, dem eignen Lande zum Richtzeichen seiner Zukunft, den
vielen Gegnern daheim und auswärts ,um Trotz. Das Schlachtfeld nach dem


54'

eine unerwartete Wendung genommen. Schon der Name des neuen Dynasten
setzte ganz Europa in Bewegung. Athemlos verfolgte man jeden Schritt des
glücklichen Emporkömmlings, und seine stumme Verschlossenheit gab Raum zu
den schlimmsten Befürchtungen für die Ruhe Europas. Das ganze mühevolle
und blutige Werk der letzten Jahre schien abermals in Frage gestellt. Und
kaum hatte das Londoner Protokoll mindestens dem Scheine nach eine Quelle
der schwierigsten Verwicklungen im Norden unsres Welttheils verstopft, als
am andern Ende desselben, im Südosten, Verhältnisse und Zustände zur Sprache
kamen, welche, anfangs wenig beachtet, bald als die wichtigsten Factoren der
gemeinsamen europäischen Politik erkannt werden mußten. Eine unsichtbare
Hand ragte aus dem Norden in die slawisch-türkische Welt hinein, knüpfte und
löste die seit Jahrzehnten gesponnenen Fäden, und trat endlich mit einem un¬
geschlachten Faustschlag ans Tageslicht. In den serbischen Ländern, in den
Fürstentümern führte das stehende Capitel der „Christenverfolgungen" bald
zum offenen Kampf zwischen den Orthodoxen und den Muselmännern, das
kleine Montenegro begann eine selbstständige Rolle zu spielen, in Griechen¬
land und auf den Inseln des Archipelagus regte sich ein ununterscheidbareS
Gestndel von Piraten und orthodoren Fanatikern. Endlich trat auch die lange
verschollene Frage wegen der heiligen Grabstätte mit neuer Macht in den Vor¬
dergrund und daS ganze Treiben erhielt nun das offene Gepräge eines allgemeinen
Kampfes zwischen der orientalischen und occidentalischen Kirche und ihrer Po¬
litik. So sah Oestreich mit einem Male seine südöstlichen Länder von einem
Kreise aufflackernder Brände umzingelt, welche gar bald in die helle Lohe eines
großen orientalischen Weltkrieges zwischen den Großmächten Europas zusam¬
menzuschlagen drohten.

In diesem kritischen Moment übernahm Graf Buol die Leitung der aus¬
wärtigen Angelegenheiten. Was sein Vorgänger im Amte durch soldatischen
Muth, durch geistvolle Apercus und kühne Entschlüsse in und für Oestreich
erkämpft und geschaffen, sollte nun durch entschiedenes Festhalten an der Staats¬
einheitsidee geordnet und erhalten, mir weiser Mäßigung in Fleisch und Blut
der Nation übertragen, durch eine geschickte Verknüpfung mit den Interessen des
Auslandes auch zur allgemeinen europäischen Geltung gebracht werden. Zu¬
gleich erforderte die eigenthümliche Lage des Reiches inmitten der bedrohlichen
Situation, welche der Sturm im Orient heraufbeschwor, einen freien und festen
Blick in die verwickelten Fragen des Jahrhunderts, eine sichere, unbeugsame
Hand am Staatsruder der in ihrem Lebensnerv berührten Großmacht. Fürst
Schwarzenberg war durch eine höhere Fügung in dem Augenblicke vom Schau¬
platz seiner Thaten abberufen worden, als er im Siegesjubel das Panier Oest¬
reichs hoch emporhielt, dem eignen Lande zum Richtzeichen seiner Zukunft, den
vielen Gegnern daheim und auswärts ,um Trotz. Das Schlachtfeld nach dem


54'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98749"/>
            <p xml:id="ID_1384" prev="#ID_1383"> eine unerwartete Wendung genommen. Schon der Name des neuen Dynasten<lb/>
setzte ganz Europa in Bewegung. Athemlos verfolgte man jeden Schritt des<lb/>
glücklichen Emporkömmlings, und seine stumme Verschlossenheit gab Raum zu<lb/>
den schlimmsten Befürchtungen für die Ruhe Europas. Das ganze mühevolle<lb/>
und blutige Werk der letzten Jahre schien abermals in Frage gestellt. Und<lb/>
kaum hatte das Londoner Protokoll mindestens dem Scheine nach eine Quelle<lb/>
der schwierigsten Verwicklungen im Norden unsres Welttheils verstopft, als<lb/>
am andern Ende desselben, im Südosten, Verhältnisse und Zustände zur Sprache<lb/>
kamen, welche, anfangs wenig beachtet, bald als die wichtigsten Factoren der<lb/>
gemeinsamen europäischen Politik erkannt werden mußten. Eine unsichtbare<lb/>
Hand ragte aus dem Norden in die slawisch-türkische Welt hinein, knüpfte und<lb/>
löste die seit Jahrzehnten gesponnenen Fäden, und trat endlich mit einem un¬<lb/>
geschlachten Faustschlag ans Tageslicht. In den serbischen Ländern, in den<lb/>
Fürstentümern führte das stehende Capitel der &#x201E;Christenverfolgungen" bald<lb/>
zum offenen Kampf zwischen den Orthodoxen und den Muselmännern, das<lb/>
kleine Montenegro begann eine selbstständige Rolle zu spielen, in Griechen¬<lb/>
land und auf den Inseln des Archipelagus regte sich ein ununterscheidbareS<lb/>
Gestndel von Piraten und orthodoren Fanatikern. Endlich trat auch die lange<lb/>
verschollene Frage wegen der heiligen Grabstätte mit neuer Macht in den Vor¬<lb/>
dergrund und daS ganze Treiben erhielt nun das offene Gepräge eines allgemeinen<lb/>
Kampfes zwischen der orientalischen und occidentalischen Kirche und ihrer Po¬<lb/>
litik. So sah Oestreich mit einem Male seine südöstlichen Länder von einem<lb/>
Kreise aufflackernder Brände umzingelt, welche gar bald in die helle Lohe eines<lb/>
großen orientalischen Weltkrieges zwischen den Großmächten Europas zusam¬<lb/>
menzuschlagen drohten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1385" next="#ID_1386"> In diesem kritischen Moment übernahm Graf Buol die Leitung der aus¬<lb/>
wärtigen Angelegenheiten. Was sein Vorgänger im Amte durch soldatischen<lb/>
Muth, durch geistvolle Apercus und kühne Entschlüsse in und für Oestreich<lb/>
erkämpft und geschaffen, sollte nun durch entschiedenes Festhalten an der Staats¬<lb/>
einheitsidee geordnet und erhalten, mir weiser Mäßigung in Fleisch und Blut<lb/>
der Nation übertragen, durch eine geschickte Verknüpfung mit den Interessen des<lb/>
Auslandes auch zur allgemeinen europäischen Geltung gebracht werden. Zu¬<lb/>
gleich erforderte die eigenthümliche Lage des Reiches inmitten der bedrohlichen<lb/>
Situation, welche der Sturm im Orient heraufbeschwor, einen freien und festen<lb/>
Blick in die verwickelten Fragen des Jahrhunderts, eine sichere, unbeugsame<lb/>
Hand am Staatsruder der in ihrem Lebensnerv berührten Großmacht. Fürst<lb/>
Schwarzenberg war durch eine höhere Fügung in dem Augenblicke vom Schau¬<lb/>
platz seiner Thaten abberufen worden, als er im Siegesjubel das Panier Oest¬<lb/>
reichs hoch emporhielt, dem eignen Lande zum Richtzeichen seiner Zukunft, den<lb/>
vielen Gegnern daheim und auswärts ,um Trotz.  Das Schlachtfeld nach dem</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 54'</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] eine unerwartete Wendung genommen. Schon der Name des neuen Dynasten setzte ganz Europa in Bewegung. Athemlos verfolgte man jeden Schritt des glücklichen Emporkömmlings, und seine stumme Verschlossenheit gab Raum zu den schlimmsten Befürchtungen für die Ruhe Europas. Das ganze mühevolle und blutige Werk der letzten Jahre schien abermals in Frage gestellt. Und kaum hatte das Londoner Protokoll mindestens dem Scheine nach eine Quelle der schwierigsten Verwicklungen im Norden unsres Welttheils verstopft, als am andern Ende desselben, im Südosten, Verhältnisse und Zustände zur Sprache kamen, welche, anfangs wenig beachtet, bald als die wichtigsten Factoren der gemeinsamen europäischen Politik erkannt werden mußten. Eine unsichtbare Hand ragte aus dem Norden in die slawisch-türkische Welt hinein, knüpfte und löste die seit Jahrzehnten gesponnenen Fäden, und trat endlich mit einem un¬ geschlachten Faustschlag ans Tageslicht. In den serbischen Ländern, in den Fürstentümern führte das stehende Capitel der „Christenverfolgungen" bald zum offenen Kampf zwischen den Orthodoxen und den Muselmännern, das kleine Montenegro begann eine selbstständige Rolle zu spielen, in Griechen¬ land und auf den Inseln des Archipelagus regte sich ein ununterscheidbareS Gestndel von Piraten und orthodoren Fanatikern. Endlich trat auch die lange verschollene Frage wegen der heiligen Grabstätte mit neuer Macht in den Vor¬ dergrund und daS ganze Treiben erhielt nun das offene Gepräge eines allgemeinen Kampfes zwischen der orientalischen und occidentalischen Kirche und ihrer Po¬ litik. So sah Oestreich mit einem Male seine südöstlichen Länder von einem Kreise aufflackernder Brände umzingelt, welche gar bald in die helle Lohe eines großen orientalischen Weltkrieges zwischen den Großmächten Europas zusam¬ menzuschlagen drohten. In diesem kritischen Moment übernahm Graf Buol die Leitung der aus¬ wärtigen Angelegenheiten. Was sein Vorgänger im Amte durch soldatischen Muth, durch geistvolle Apercus und kühne Entschlüsse in und für Oestreich erkämpft und geschaffen, sollte nun durch entschiedenes Festhalten an der Staats¬ einheitsidee geordnet und erhalten, mir weiser Mäßigung in Fleisch und Blut der Nation übertragen, durch eine geschickte Verknüpfung mit den Interessen des Auslandes auch zur allgemeinen europäischen Geltung gebracht werden. Zu¬ gleich erforderte die eigenthümliche Lage des Reiches inmitten der bedrohlichen Situation, welche der Sturm im Orient heraufbeschwor, einen freien und festen Blick in die verwickelten Fragen des Jahrhunderts, eine sichere, unbeugsame Hand am Staatsruder der in ihrem Lebensnerv berührten Großmacht. Fürst Schwarzenberg war durch eine höhere Fügung in dem Augenblicke vom Schau¬ platz seiner Thaten abberufen worden, als er im Siegesjubel das Panier Oest¬ reichs hoch emporhielt, dem eignen Lande zum Richtzeichen seiner Zukunft, den vielen Gegnern daheim und auswärts ,um Trotz. Das Schlachtfeld nach dem 54'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/435>, abgerufen am 24.08.2024.