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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Benehmen die humane Bildung, den gereiften Verstands den weltmännischen
Ton erkennen, wodurch die alte Schule des englischen Staatsadels bis auf den
heutigen Tag sich den vollen Einfluß auf ihre Landsleute und auf die Geschicke
des Auslandes zu erhalten gewußt hat, Graf Buol hatte es während seiner
langjährigen diplomatischen Thätigkeit an fremden Höfen verstanden, mit un¬
befangenem Blick die eigenthümlichen Zustände der verschiedenen Völker aufzu¬
fassen und sich selbst von den Vorurtheilen freizuhalten, durch welche von vorn¬
herein soviele seiner Standes- und Berufsgenossen an einer gerechten Würdigung
ausländischer Verhältnisse behindert werden. Im unmittelbaren Verkehr mit
den politischen Celebritäten unsrer Zeit bildete sich das feste Urtheil und - der
ebenso feste Charakter des Grafen heran, die Milde, welche seinem Herzen na¬
türlich ist, ward durch die Ueberzeugungen des Verstandes geleitet und beherrscht;
dieser edle Kampf macht sich in kleinen und großen Dingen bemerkbar und
charakteristrt daher auch seine politische Handlungsweise. Ueberall mit Offenheit
und Wärme entgegenkommend, leiht er andern Meinungen und Wünschen seine
volle Aufmerksamkeit und Theilnahme, theilt dann ebenso offen und warm die
Ansicht mit, die ihm von seinem Standpunkt aus die richtige scheint, stellt endlich
nach reiflicher Ueberlegung sein Urtheil und seinen Entschluß fest und weicht
dann nur soweit davon ab, als Pflicht und Ehre es gestatten. Transactionen,
wie sie besonders während der letzten Jahre in der diplomatischen Welt wieder
beliebt waren, sind Gras Buol zuwider, t^iz. ,'se der Grundzug und das
Stichwort seiner staatsmännischen Thätigkeit.

Als Oestreich im April 18S2 den Mann so plötzlich verlor, dem es binnen
wenigen Jahren seine Rettung aus der größten Gefahr, in der eS je geschwebt,
und seine rasche Erhebung zu neuem Ruhm zu danken hatte, als einen Augen¬
blick der ganze Staat von dem unerwarteten Schlage gelähmt erschien und
der junge Monarch, gewohnt an die kühne und sichere Hand des Fürsten Felix
Schwarzenberg, sich mitten in den schwierigsten Verhältnissen der festen Stütze
beraubt sah, auf die er unbedingt vertraute, als kaum die trüben Tage von
Dresden und Olmütz glücklich überstanden waren und Oestreich sich berufen
fühlte, eine neue übermächtige Stellung im Rathe Europas zu erringen --
da war der bange Moment eingetreten, wo das Geschick des Reiches abermals
zu schwanken schien, wo das geistige Leben des todten Mannes erst in seiner
ganzen Größe und Bedeutung anerkannt wurde, da die Lücke, welche sein
Ausscheiden im ganzen Staatsorganismus zurückließ, so schwer ersetzbar schien.
Aber selbst über das Grab hinaus hatte Fürst Schwarzenberg die Situation
beherrscht. Indem-er die Augen seines Souveräns und der politischen Welt
schon während der letzten Jahre auf den Staatsmann gerichtet hatte, den er
zunächst berufen glaubte, als Erbe seiner Ideen in den Rath des Kaisers ein¬
zutreten, zeigte der erste und letzte Premierminister des restcuirirten Oestreichs,


Grenzbote". IV. 186i. 34

Benehmen die humane Bildung, den gereiften Verstands den weltmännischen
Ton erkennen, wodurch die alte Schule des englischen Staatsadels bis auf den
heutigen Tag sich den vollen Einfluß auf ihre Landsleute und auf die Geschicke
des Auslandes zu erhalten gewußt hat, Graf Buol hatte es während seiner
langjährigen diplomatischen Thätigkeit an fremden Höfen verstanden, mit un¬
befangenem Blick die eigenthümlichen Zustände der verschiedenen Völker aufzu¬
fassen und sich selbst von den Vorurtheilen freizuhalten, durch welche von vorn¬
herein soviele seiner Standes- und Berufsgenossen an einer gerechten Würdigung
ausländischer Verhältnisse behindert werden. Im unmittelbaren Verkehr mit
den politischen Celebritäten unsrer Zeit bildete sich das feste Urtheil und - der
ebenso feste Charakter des Grafen heran, die Milde, welche seinem Herzen na¬
türlich ist, ward durch die Ueberzeugungen des Verstandes geleitet und beherrscht;
dieser edle Kampf macht sich in kleinen und großen Dingen bemerkbar und
charakteristrt daher auch seine politische Handlungsweise. Ueberall mit Offenheit
und Wärme entgegenkommend, leiht er andern Meinungen und Wünschen seine
volle Aufmerksamkeit und Theilnahme, theilt dann ebenso offen und warm die
Ansicht mit, die ihm von seinem Standpunkt aus die richtige scheint, stellt endlich
nach reiflicher Ueberlegung sein Urtheil und seinen Entschluß fest und weicht
dann nur soweit davon ab, als Pflicht und Ehre es gestatten. Transactionen,
wie sie besonders während der letzten Jahre in der diplomatischen Welt wieder
beliebt waren, sind Gras Buol zuwider, t^iz. ,'se der Grundzug und das
Stichwort seiner staatsmännischen Thätigkeit.

Als Oestreich im April 18S2 den Mann so plötzlich verlor, dem es binnen
wenigen Jahren seine Rettung aus der größten Gefahr, in der eS je geschwebt,
und seine rasche Erhebung zu neuem Ruhm zu danken hatte, als einen Augen¬
blick der ganze Staat von dem unerwarteten Schlage gelähmt erschien und
der junge Monarch, gewohnt an die kühne und sichere Hand des Fürsten Felix
Schwarzenberg, sich mitten in den schwierigsten Verhältnissen der festen Stütze
beraubt sah, auf die er unbedingt vertraute, als kaum die trüben Tage von
Dresden und Olmütz glücklich überstanden waren und Oestreich sich berufen
fühlte, eine neue übermächtige Stellung im Rathe Europas zu erringen —
da war der bange Moment eingetreten, wo das Geschick des Reiches abermals
zu schwanken schien, wo das geistige Leben des todten Mannes erst in seiner
ganzen Größe und Bedeutung anerkannt wurde, da die Lücke, welche sein
Ausscheiden im ganzen Staatsorganismus zurückließ, so schwer ersetzbar schien.
Aber selbst über das Grab hinaus hatte Fürst Schwarzenberg die Situation
beherrscht. Indem-er die Augen seines Souveräns und der politischen Welt
schon während der letzten Jahre auf den Staatsmann gerichtet hatte, den er
zunächst berufen glaubte, als Erbe seiner Ideen in den Rath des Kaisers ein¬
zutreten, zeigte der erste und letzte Premierminister des restcuirirten Oestreichs,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/433>, abgerufen am 22.07.2024.