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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Die Leistungen der türkischen Artillerie sind in jüngster Zeit zu vielfach
besprochen worden, als daß es nicht wie überflüssig erscheinen müßte, hier
noch ein weiteres über sie zu bemerken. Wie man weiß, wurde sie durch den
Preußischen Oberstlieutenant von Kuczkowski (Muchklis Pascha) nach preußischem
Vorbild organisirt, wie denn derselbe Offizier noch jetzt die obere Leitung der
Waffe in Händen hat. Ohne Frage zielt der osmanische Artillerist besser
wie der russische. In der Affaire vor Balaklava waren die fünf Redouien
vor der englischen Fronte mit je zwei Geschützen besetzt; die türkischen > Ka¬
noniere dabei hielten damit mehre Stunden, lang gegen hundert russische
Kanonen Stand, von denen viele demontirt wurden.

Zum Schluß noch ein Wort über die höheren Befehlshaber. Lord Raglan
scheint in seiner Person die doppelte Natur eines tapferen und wackeren Sol¬
daten mit der eines Äußerst gewandten Diplomaten zu verbinden, eine Com-
position, die sich nicht selten findet, und für welche Wellington selbst als ein
andres Beispiel angeführt werden kann. Feldherrntalente hat Se. Herrlichkeit
nicht, und kaum kann man von ihm behaupten, daß er es verstehe, eine Armee
regelrecht ins Treffen zu führen, oder einen Marsch zu ordnen, oder endlich
die Vorpostenkette um ein Lager her zu etabliren.

In der Schlacht an der Alm" war Lord NaglanS Benehmen der Art, daß
es beinahe der Voraussetzung Raum gab, er habe eine recht in die Augen
fallende Bmvour entfalten wollen. Als nämlich eine englische Batterie ab¬
protzte, um eine russische Geschützreihe zum Schweigen zu bringen, nahm er,
mit seiner Suite dicht hinter den britischen Kanonen Stellung. Die russischen
Kugeln hagelten; der Dampf verhinderte ihn, irgendetwas zu sehen, aber --
er blieb. Er änderte auch seinen Posten nicht, als ein Adjutant dicht neben
ihm niedergeschlagen wurde. "Mein Gott! was macht denn aber Se. Herr¬
lichkeit!" rief ein beigeordneter französischer Offizier ein über das andre Mal
zu einem deutschen gewendet aus; -- "was will er denn hier? -- Haben Sie
jemals so etwas gesehen?"

Bei dem berühmten Umgehungsmarsch, mittelst welchem die englische Armee
von der Nordseite der Sebastopoler Bai nach Balaklava gelangte, ritt Lord
Raglan mitten im Walde, vor der Tete der vordersten Colonne. Hinter ihm
folgte Artillerie, sodann Infanterie, endlich Cavalerie. Das Ganze war der¬
maßen arrangirt, daß ein Pult Kosacken eine sehr in Verlegenheit Setzende Be¬
gegnung veranlaßt und den Oberfeldherrn dicht vor seiner Armee mit leichter
Mühe gefangen haben würde.

Die französischen Generale kennen das Handwerk genau; sie lassen sich
keinen Verstoß zu Schulden kommen, sind meistens da, wo sie hingehören, und
wenn sie etwas fortreißt, ist es allein der Ungestüm.

Ueber General Canrobert im besonderen vermochte ich mir noch keine Mei>


Grenzte" IV. Jeti^, i7

Die Leistungen der türkischen Artillerie sind in jüngster Zeit zu vielfach
besprochen worden, als daß es nicht wie überflüssig erscheinen müßte, hier
noch ein weiteres über sie zu bemerken. Wie man weiß, wurde sie durch den
Preußischen Oberstlieutenant von Kuczkowski (Muchklis Pascha) nach preußischem
Vorbild organisirt, wie denn derselbe Offizier noch jetzt die obere Leitung der
Waffe in Händen hat. Ohne Frage zielt der osmanische Artillerist besser
wie der russische. In der Affaire vor Balaklava waren die fünf Redouien
vor der englischen Fronte mit je zwei Geschützen besetzt; die türkischen > Ka¬
noniere dabei hielten damit mehre Stunden, lang gegen hundert russische
Kanonen Stand, von denen viele demontirt wurden.

Zum Schluß noch ein Wort über die höheren Befehlshaber. Lord Raglan
scheint in seiner Person die doppelte Natur eines tapferen und wackeren Sol¬
daten mit der eines Äußerst gewandten Diplomaten zu verbinden, eine Com-
position, die sich nicht selten findet, und für welche Wellington selbst als ein
andres Beispiel angeführt werden kann. Feldherrntalente hat Se. Herrlichkeit
nicht, und kaum kann man von ihm behaupten, daß er es verstehe, eine Armee
regelrecht ins Treffen zu führen, oder einen Marsch zu ordnen, oder endlich
die Vorpostenkette um ein Lager her zu etabliren.

In der Schlacht an der Alm« war Lord NaglanS Benehmen der Art, daß
es beinahe der Voraussetzung Raum gab, er habe eine recht in die Augen
fallende Bmvour entfalten wollen. Als nämlich eine englische Batterie ab¬
protzte, um eine russische Geschützreihe zum Schweigen zu bringen, nahm er,
mit seiner Suite dicht hinter den britischen Kanonen Stellung. Die russischen
Kugeln hagelten; der Dampf verhinderte ihn, irgendetwas zu sehen, aber —
er blieb. Er änderte auch seinen Posten nicht, als ein Adjutant dicht neben
ihm niedergeschlagen wurde. „Mein Gott! was macht denn aber Se. Herr¬
lichkeit!" rief ein beigeordneter französischer Offizier ein über das andre Mal
zu einem deutschen gewendet aus; — „was will er denn hier? — Haben Sie
jemals so etwas gesehen?"

Bei dem berühmten Umgehungsmarsch, mittelst welchem die englische Armee
von der Nordseite der Sebastopoler Bai nach Balaklava gelangte, ritt Lord
Raglan mitten im Walde, vor der Tete der vordersten Colonne. Hinter ihm
folgte Artillerie, sodann Infanterie, endlich Cavalerie. Das Ganze war der¬
maßen arrangirt, daß ein Pult Kosacken eine sehr in Verlegenheit Setzende Be¬
gegnung veranlaßt und den Oberfeldherrn dicht vor seiner Armee mit leichter
Mühe gefangen haben würde.

Die französischen Generale kennen das Handwerk genau; sie lassen sich
keinen Verstoß zu Schulden kommen, sind meistens da, wo sie hingehören, und
wenn sie etwas fortreißt, ist es allein der Ungestüm.

Ueber General Canrobert im besonderen vermochte ich mir noch keine Mei>


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[0377] Die Leistungen der türkischen Artillerie sind in jüngster Zeit zu vielfach besprochen worden, als daß es nicht wie überflüssig erscheinen müßte, hier noch ein weiteres über sie zu bemerken. Wie man weiß, wurde sie durch den Preußischen Oberstlieutenant von Kuczkowski (Muchklis Pascha) nach preußischem Vorbild organisirt, wie denn derselbe Offizier noch jetzt die obere Leitung der Waffe in Händen hat. Ohne Frage zielt der osmanische Artillerist besser wie der russische. In der Affaire vor Balaklava waren die fünf Redouien vor der englischen Fronte mit je zwei Geschützen besetzt; die türkischen > Ka¬ noniere dabei hielten damit mehre Stunden, lang gegen hundert russische Kanonen Stand, von denen viele demontirt wurden. Zum Schluß noch ein Wort über die höheren Befehlshaber. Lord Raglan scheint in seiner Person die doppelte Natur eines tapferen und wackeren Sol¬ daten mit der eines Äußerst gewandten Diplomaten zu verbinden, eine Com- position, die sich nicht selten findet, und für welche Wellington selbst als ein andres Beispiel angeführt werden kann. Feldherrntalente hat Se. Herrlichkeit nicht, und kaum kann man von ihm behaupten, daß er es verstehe, eine Armee regelrecht ins Treffen zu führen, oder einen Marsch zu ordnen, oder endlich die Vorpostenkette um ein Lager her zu etabliren. In der Schlacht an der Alm« war Lord NaglanS Benehmen der Art, daß es beinahe der Voraussetzung Raum gab, er habe eine recht in die Augen fallende Bmvour entfalten wollen. Als nämlich eine englische Batterie ab¬ protzte, um eine russische Geschützreihe zum Schweigen zu bringen, nahm er, mit seiner Suite dicht hinter den britischen Kanonen Stellung. Die russischen Kugeln hagelten; der Dampf verhinderte ihn, irgendetwas zu sehen, aber — er blieb. Er änderte auch seinen Posten nicht, als ein Adjutant dicht neben ihm niedergeschlagen wurde. „Mein Gott! was macht denn aber Se. Herr¬ lichkeit!" rief ein beigeordneter französischer Offizier ein über das andre Mal zu einem deutschen gewendet aus; — „was will er denn hier? — Haben Sie jemals so etwas gesehen?" Bei dem berühmten Umgehungsmarsch, mittelst welchem die englische Armee von der Nordseite der Sebastopoler Bai nach Balaklava gelangte, ritt Lord Raglan mitten im Walde, vor der Tete der vordersten Colonne. Hinter ihm folgte Artillerie, sodann Infanterie, endlich Cavalerie. Das Ganze war der¬ maßen arrangirt, daß ein Pult Kosacken eine sehr in Verlegenheit Setzende Be¬ gegnung veranlaßt und den Oberfeldherrn dicht vor seiner Armee mit leichter Mühe gefangen haben würde. Die französischen Generale kennen das Handwerk genau; sie lassen sich keinen Verstoß zu Schulden kommen, sind meistens da, wo sie hingehören, und wenn sie etwas fortreißt, ist es allein der Ungestüm. Ueber General Canrobert im besonderen vermochte ich mir noch keine Mei> Grenzte» IV. Jeti^, i7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/377>, abgerufen am 22.07.2024.