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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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mung zu bilden. Er ist fünfundvierzig Jahre alt.und verhältnißmäßl'g noch
jung, namentlich wenn man ihn mit seiner Herrlichkeit vergleicht. Ob er ein
großer Strateg ist, d. h. ein Kopf, welcher die großen, namentlich räum¬
lichen Verhältnisse des Krieges zu erfassen weiß, muß ich dahingestellt sein
lassen. Seine Fähigkeit, Massen zu bewegen, steht außer Zweifel. Er ist au¬
ßerdem im Besitz der höheren Kunst, sie zu elektrisiren. Und bei dem allen
tauchen leise Zweifel in mir auf -- ob er sich aus der Höhe der Krisis befinde,
die mit der Schlacht von Jnkermau ihren Anfang genommen zu haben scheint.




Oestreichs politische Position.

Man kann aus Princip ein Gegner Oestreichs sein, wie die Italiener,
Polen und Ungarn von ihrem nationalen Standpunkte aus es sind und es sein
müssen, sobald sie denselben nicht verlassen wollen: aber d i e Anerkennung darf
man heute dem Kaiserstaate nicht versagen, daß seine Regierung es verstanden
hat, die großen Verhältnisse zu erfassen, in deren Mitte die Monarchie hinein¬
gestellt worden ist, und daß sie beim Erkennen der ihrer harrenden Aufgaben
der Klarheit, und beim Einschlagen der zu ihrer Lösung hinführenden Wege
deS richtigen Urtheils und der logischen Schärfe, insbesondere gepaart mit der
Fähigkeit, Entschließungen zu treffen, nicht ermangelte, wie selten dies alles
auch im sonstigen Deutschland ist. Nachdem die italienische und ungarische
Jnsmrection dem Wiener Cabinet die Nothwendigkeit dargelegt hatten, seine
innere Politik auf eine durchaus neue Basis zu stellen, und, um ähnliche
Ereignisse wie die in der Lombardei und im Magyarenlande für die Zukunft
zu vermeiden, fortan den homogenen Einheitsstaat als oberstes, höchstes Strebe¬
ziel hinzustellen, wirft plötzlich die orientalische Frage durch den Conflict zwischen
dem westlichen und östlichen Europa auch alle Stützen der seitherigen äußern
Politik Oestreichs darnieder, sprengt den großen, die Continentalvorgänge
bis dahin beherrschenden Dreibund der beiden deutschen Großmächte mit Ru߬
land, und führt es hart auf die Grenze des Bruchs mit dem letzteren Staate.

Von welchem anderen Reiche könnte man sagen, daß seine innere und
äußere Politik in derselben kurzen Zeit einen derartigen Umschwung erlitten
hätten! Frankreich, als es aus der Monarchie zur Republik sich umwandelte,
wechselte damit allerdings einen Theil seiner innern, aber sowenig seine äußern
Interessen, oder vielmehr die Grundsätze, nach welchen dieselben ihre Vertretung
sanden, daß man behaupten kann, König Ludwig Philipp und seine Minister


mung zu bilden. Er ist fünfundvierzig Jahre alt.und verhältnißmäßl'g noch
jung, namentlich wenn man ihn mit seiner Herrlichkeit vergleicht. Ob er ein
großer Strateg ist, d. h. ein Kopf, welcher die großen, namentlich räum¬
lichen Verhältnisse des Krieges zu erfassen weiß, muß ich dahingestellt sein
lassen. Seine Fähigkeit, Massen zu bewegen, steht außer Zweifel. Er ist au¬
ßerdem im Besitz der höheren Kunst, sie zu elektrisiren. Und bei dem allen
tauchen leise Zweifel in mir auf — ob er sich aus der Höhe der Krisis befinde,
die mit der Schlacht von Jnkermau ihren Anfang genommen zu haben scheint.




Oestreichs politische Position.

Man kann aus Princip ein Gegner Oestreichs sein, wie die Italiener,
Polen und Ungarn von ihrem nationalen Standpunkte aus es sind und es sein
müssen, sobald sie denselben nicht verlassen wollen: aber d i e Anerkennung darf
man heute dem Kaiserstaate nicht versagen, daß seine Regierung es verstanden
hat, die großen Verhältnisse zu erfassen, in deren Mitte die Monarchie hinein¬
gestellt worden ist, und daß sie beim Erkennen der ihrer harrenden Aufgaben
der Klarheit, und beim Einschlagen der zu ihrer Lösung hinführenden Wege
deS richtigen Urtheils und der logischen Schärfe, insbesondere gepaart mit der
Fähigkeit, Entschließungen zu treffen, nicht ermangelte, wie selten dies alles
auch im sonstigen Deutschland ist. Nachdem die italienische und ungarische
Jnsmrection dem Wiener Cabinet die Nothwendigkeit dargelegt hatten, seine
innere Politik auf eine durchaus neue Basis zu stellen, und, um ähnliche
Ereignisse wie die in der Lombardei und im Magyarenlande für die Zukunft
zu vermeiden, fortan den homogenen Einheitsstaat als oberstes, höchstes Strebe¬
ziel hinzustellen, wirft plötzlich die orientalische Frage durch den Conflict zwischen
dem westlichen und östlichen Europa auch alle Stützen der seitherigen äußern
Politik Oestreichs darnieder, sprengt den großen, die Continentalvorgänge
bis dahin beherrschenden Dreibund der beiden deutschen Großmächte mit Ru߬
land, und führt es hart auf die Grenze des Bruchs mit dem letzteren Staate.

Von welchem anderen Reiche könnte man sagen, daß seine innere und
äußere Politik in derselben kurzen Zeit einen derartigen Umschwung erlitten
hätten! Frankreich, als es aus der Monarchie zur Republik sich umwandelte,
wechselte damit allerdings einen Theil seiner innern, aber sowenig seine äußern
Interessen, oder vielmehr die Grundsätze, nach welchen dieselben ihre Vertretung
sanden, daß man behaupten kann, König Ludwig Philipp und seine Minister


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[0378] mung zu bilden. Er ist fünfundvierzig Jahre alt.und verhältnißmäßl'g noch jung, namentlich wenn man ihn mit seiner Herrlichkeit vergleicht. Ob er ein großer Strateg ist, d. h. ein Kopf, welcher die großen, namentlich räum¬ lichen Verhältnisse des Krieges zu erfassen weiß, muß ich dahingestellt sein lassen. Seine Fähigkeit, Massen zu bewegen, steht außer Zweifel. Er ist au¬ ßerdem im Besitz der höheren Kunst, sie zu elektrisiren. Und bei dem allen tauchen leise Zweifel in mir auf — ob er sich aus der Höhe der Krisis befinde, die mit der Schlacht von Jnkermau ihren Anfang genommen zu haben scheint. Oestreichs politische Position. Man kann aus Princip ein Gegner Oestreichs sein, wie die Italiener, Polen und Ungarn von ihrem nationalen Standpunkte aus es sind und es sein müssen, sobald sie denselben nicht verlassen wollen: aber d i e Anerkennung darf man heute dem Kaiserstaate nicht versagen, daß seine Regierung es verstanden hat, die großen Verhältnisse zu erfassen, in deren Mitte die Monarchie hinein¬ gestellt worden ist, und daß sie beim Erkennen der ihrer harrenden Aufgaben der Klarheit, und beim Einschlagen der zu ihrer Lösung hinführenden Wege deS richtigen Urtheils und der logischen Schärfe, insbesondere gepaart mit der Fähigkeit, Entschließungen zu treffen, nicht ermangelte, wie selten dies alles auch im sonstigen Deutschland ist. Nachdem die italienische und ungarische Jnsmrection dem Wiener Cabinet die Nothwendigkeit dargelegt hatten, seine innere Politik auf eine durchaus neue Basis zu stellen, und, um ähnliche Ereignisse wie die in der Lombardei und im Magyarenlande für die Zukunft zu vermeiden, fortan den homogenen Einheitsstaat als oberstes, höchstes Strebe¬ ziel hinzustellen, wirft plötzlich die orientalische Frage durch den Conflict zwischen dem westlichen und östlichen Europa auch alle Stützen der seitherigen äußern Politik Oestreichs darnieder, sprengt den großen, die Continentalvorgänge bis dahin beherrschenden Dreibund der beiden deutschen Großmächte mit Ru߬ land, und führt es hart auf die Grenze des Bruchs mit dem letzteren Staate. Von welchem anderen Reiche könnte man sagen, daß seine innere und äußere Politik in derselben kurzen Zeit einen derartigen Umschwung erlitten hätten! Frankreich, als es aus der Monarchie zur Republik sich umwandelte, wechselte damit allerdings einen Theil seiner innern, aber sowenig seine äußern Interessen, oder vielmehr die Grundsätze, nach welchen dieselben ihre Vertretung sanden, daß man behaupten kann, König Ludwig Philipp und seine Minister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/378>, abgerufen am 22.07.2024.