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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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besitzt namentlich ein vortreffliches Interpersonal. Den Offizieren macht man,
wie allen englischen, zum Vorwurf, etwas zu sehr Gentlemen zu sein, zu
wenig mit dem Dienste und seinen Anforderungen verwachsene Soldaten.
Kommt eine englische Batterie von rückwärtsher in die Schlachtlinie und hat
sie abgeprotzt, so wird eine, uns Continentalmilitärö erschrecklich lang dünkende
Zeit folgen, bevor sie dazu gelangt, den ersten Schuß abzugeben. Dieser erste
Schuß aber weicht dann auch nur wenig vom Ziele ab, und die nächstfol¬
genden werden dasselbe schwerlich verfehlen.

Die französische Artillerie hat gleich der Infanterie, lange Zeit den Ruf
für sich gehabt, die erste in der Welt zu sein. Vielleicht ist sie dies in Wahrheit
noch. Aber nach dem zu urtheilen, was ich höre, schießt sie weder besser wie
die englische, noch wie die türkische. Das französische Material ist vortrefflich,
ob indeß die neuen Granatkanonen besonderes leisten und der Plan des
Kaisers Ludwig Napoleon, sie zum Normalgeschütz zu erheben, Beifall verdient,
lasse ich dahingestellt sein. Da General Canrobert über hundertundzehn
Geschütze zu verfügen hat, so wird er im Stande sein, einen Massengebrauch
von seiner Artillerie zu machen, und sich in dieser großen Kunst des ersten
Napoleon zu versuchen. Wir müssen abwarten, ob der Detailbericht über das
Treffen von Jnkerman einen derartigen Versuch schon nachweiset, und wie er
ausgefallen ist.

Die (russische) Artillerie ist lange Zeit für die schlechteste Waffe unseres
Gegners gehalten worden. Insofern man es jetzt noch thut, begeht man einen
Irrthum. In der Schlacht an der Alma schoß sie durchaus nicht schlecht,
und beim jüngsten Kampf vor Balaklava (23. und 26. October) bewahrte sie
den dort errungenen Ruf. Was sie bei Jnkerman geleistet, bedarf noch einer
näheren Feststellung. Die große Zahl der Getesteten aus Seite der Verbün¬
deten spricht aber für ihre Wirksamkeit vorläufig zur Genüge.

Vielleicht sind die Russen in der Gegenwart diejenigen, welche die oben
erwähnte Kunst Napoleons, die Artillerie massenweise ins Gefecht zu bringen,
am besten anzuwenden verstehen. Aber ihre Geschützlinien wissen nicht durch
rasche Offensivbewegungen den entscheidenden Punkt zu erreichen, wie dies die
ehemalig kaiserlich französischen bei Wagram.(Aderklaa) und Friedland (am
Sortlaker Wald) verstanden, sondern sie harren hinter maskirenden Jnsante-
rielinien, bis der Feind in ihren Bereich gekommen, und wirken auf diese
Weise zwar überraschend aber immerhin doch mehr als Positions- wie als
Manöverartillerie.

Diese Hinterhältigkeit der Schläge entspricht dem slawischen Charakter.
ES ist derselbe Zug, der sich in der Ermordung des englischen Offiziers auf
dem Schlachtfeld von Alma von Seiten eines russischen Verwundeten darstellt,
welchem jener eben zuvor aus seiner Feldflasche einen Trunk gereicht hatte.


besitzt namentlich ein vortreffliches Interpersonal. Den Offizieren macht man,
wie allen englischen, zum Vorwurf, etwas zu sehr Gentlemen zu sein, zu
wenig mit dem Dienste und seinen Anforderungen verwachsene Soldaten.
Kommt eine englische Batterie von rückwärtsher in die Schlachtlinie und hat
sie abgeprotzt, so wird eine, uns Continentalmilitärö erschrecklich lang dünkende
Zeit folgen, bevor sie dazu gelangt, den ersten Schuß abzugeben. Dieser erste
Schuß aber weicht dann auch nur wenig vom Ziele ab, und die nächstfol¬
genden werden dasselbe schwerlich verfehlen.

Die französische Artillerie hat gleich der Infanterie, lange Zeit den Ruf
für sich gehabt, die erste in der Welt zu sein. Vielleicht ist sie dies in Wahrheit
noch. Aber nach dem zu urtheilen, was ich höre, schießt sie weder besser wie
die englische, noch wie die türkische. Das französische Material ist vortrefflich,
ob indeß die neuen Granatkanonen besonderes leisten und der Plan des
Kaisers Ludwig Napoleon, sie zum Normalgeschütz zu erheben, Beifall verdient,
lasse ich dahingestellt sein. Da General Canrobert über hundertundzehn
Geschütze zu verfügen hat, so wird er im Stande sein, einen Massengebrauch
von seiner Artillerie zu machen, und sich in dieser großen Kunst des ersten
Napoleon zu versuchen. Wir müssen abwarten, ob der Detailbericht über das
Treffen von Jnkerman einen derartigen Versuch schon nachweiset, und wie er
ausgefallen ist.

Die (russische) Artillerie ist lange Zeit für die schlechteste Waffe unseres
Gegners gehalten worden. Insofern man es jetzt noch thut, begeht man einen
Irrthum. In der Schlacht an der Alma schoß sie durchaus nicht schlecht,
und beim jüngsten Kampf vor Balaklava (23. und 26. October) bewahrte sie
den dort errungenen Ruf. Was sie bei Jnkerman geleistet, bedarf noch einer
näheren Feststellung. Die große Zahl der Getesteten aus Seite der Verbün¬
deten spricht aber für ihre Wirksamkeit vorläufig zur Genüge.

Vielleicht sind die Russen in der Gegenwart diejenigen, welche die oben
erwähnte Kunst Napoleons, die Artillerie massenweise ins Gefecht zu bringen,
am besten anzuwenden verstehen. Aber ihre Geschützlinien wissen nicht durch
rasche Offensivbewegungen den entscheidenden Punkt zu erreichen, wie dies die
ehemalig kaiserlich französischen bei Wagram.(Aderklaa) und Friedland (am
Sortlaker Wald) verstanden, sondern sie harren hinter maskirenden Jnsante-
rielinien, bis der Feind in ihren Bereich gekommen, und wirken auf diese
Weise zwar überraschend aber immerhin doch mehr als Positions- wie als
Manöverartillerie.

Diese Hinterhältigkeit der Schläge entspricht dem slawischen Charakter.
ES ist derselbe Zug, der sich in der Ermordung des englischen Offiziers auf
dem Schlachtfeld von Alma von Seiten eines russischen Verwundeten darstellt,
welchem jener eben zuvor aus seiner Feldflasche einen Trunk gereicht hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/376>, abgerufen am 24.08.2024.