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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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über den mexikanischen Meerbusen bemächtigen; jedoch es können leicht Zeiten
kommen, wo noch wichtigere Interessen diese Staaten nöthigen, mehr Werth
auf die Freundschaft mit Nordamerika, als auf die Erhaltung des Kolonial¬
besitzes Spaniens und des Statusquo im mexikanischen Meerbusen zu legen.
Weiter in die Zukunft blickende Spanier verhehlen sich auch nicht, was das
endliche Loos Cubas sein wird, und daß es jedenfalls klüger wäre, es jetzt zu
verkaufen, als später in einer Zeit der Schwäche und der innern Zerrüttung
es durch Gewalt zu verlieren; aber es gehört großer politischer Muth oder die
Abwesenheit alles nationalen Ehrgefühls dazu, um diesen Vorschlag zu machen,
und eine sehr befestigte politische Stellung, um ihn durchzusetzen.

Die gegenwärtige finanzielle Lage der spanischen Regierung macht aller¬
dings einen Zuschuß, wie ihn der Verkauf Cubas verschaffen würde, äußerst
wünschenswert!). Das Ministerium Sartorius hat sie in der beklagenswertesten
Verwirrung hinterlassen. Das gegenwärtige Ministerium fand bei seinem Amts¬
antritt leere Kasten; selbst von dem Zwangsanlehn, das ungefähr Mill.
Realen eingetragen hatte, waren nicht mehr als 13,000 Realen übrig. Be¬
sondere Commissarien mußten ernannt werden, um die in der größten Ver¬
wirrung befindlichen Rechnungen in Ordnung zu bringen und Einsicht in die
wirkliche Lage der Finanzen zu gewinnen. Mit jedem Schritt stieß man auf
die gröblichsten Mißbräuche. Zu gewissen Zahlungen bestimmte Summen, die
gesetzlich nicht anders verwendet werden konnten, waren ihrer Bestimmung ent¬
fremdet worden; ungeheure Summen waren für den geheimen Dienst voraus¬
gezahlt, ohne daß sich Rechnung darüber vorfand; alles was die Negierung
zu zahlen hatte, war im Rückstand, alles was sie zu fordern hatte, im Vorschuß.
Beim Abschluß der Rechnungen zeigte sich ein Deficit von 630 Mill. Realen,
wovon 132 sogleich bezahlt werden mußten. Um dieses Deficit zu decken, hatte
die Regierung absolut keine Mittel in den Händen. Die Provinzialkassen waren
bereits theils von den abgetretenen Ministern, theils von den Junten während
der allgemeinen Anarchie geleert worden, und während derselben Zeit blühte die
Schmuggelei so sehr, daß die Zollcinnahme des Monats Juli eine Vermin¬
derung um ein Fünftel zeigte. Diese verzweifelte Lage des Schatzes wurde
noch erhöht durch die übermäßigen Forderungen, mit denen sich das Ministerium
von Seiten derer, welche die Revolution unterstützt hatten, bestürmt sah,
denn politisches Märtvrerthum leiden, heißt in Spanien, keinen Regierungsgehalt
haben, und jeder Patriot verlangt für seine Anstrengungen ein Aemtchen, sei
es auch noch so klein. So eingewurzelt ist diese Aemtersucht in Spanien, daß
kein Ministerium, und wenn es den ehrlichsten Willen hat, sich auf keine un¬
rechtmäßige Weise Einfluß zu verschaffen, wagen darf, sie unbefriedigt zu lassen.
Daher rührt die ungeheure Last von Pensionen, Halbsolden, Nuhgehalten, denn
bei jedem Ministerwechsel muß eine Anzahl Beamter den Anhängern des neuen


über den mexikanischen Meerbusen bemächtigen; jedoch es können leicht Zeiten
kommen, wo noch wichtigere Interessen diese Staaten nöthigen, mehr Werth
auf die Freundschaft mit Nordamerika, als auf die Erhaltung des Kolonial¬
besitzes Spaniens und des Statusquo im mexikanischen Meerbusen zu legen.
Weiter in die Zukunft blickende Spanier verhehlen sich auch nicht, was das
endliche Loos Cubas sein wird, und daß es jedenfalls klüger wäre, es jetzt zu
verkaufen, als später in einer Zeit der Schwäche und der innern Zerrüttung
es durch Gewalt zu verlieren; aber es gehört großer politischer Muth oder die
Abwesenheit alles nationalen Ehrgefühls dazu, um diesen Vorschlag zu machen,
und eine sehr befestigte politische Stellung, um ihn durchzusetzen.

Die gegenwärtige finanzielle Lage der spanischen Regierung macht aller¬
dings einen Zuschuß, wie ihn der Verkauf Cubas verschaffen würde, äußerst
wünschenswert!). Das Ministerium Sartorius hat sie in der beklagenswertesten
Verwirrung hinterlassen. Das gegenwärtige Ministerium fand bei seinem Amts¬
antritt leere Kasten; selbst von dem Zwangsanlehn, das ungefähr Mill.
Realen eingetragen hatte, waren nicht mehr als 13,000 Realen übrig. Be¬
sondere Commissarien mußten ernannt werden, um die in der größten Ver¬
wirrung befindlichen Rechnungen in Ordnung zu bringen und Einsicht in die
wirkliche Lage der Finanzen zu gewinnen. Mit jedem Schritt stieß man auf
die gröblichsten Mißbräuche. Zu gewissen Zahlungen bestimmte Summen, die
gesetzlich nicht anders verwendet werden konnten, waren ihrer Bestimmung ent¬
fremdet worden; ungeheure Summen waren für den geheimen Dienst voraus¬
gezahlt, ohne daß sich Rechnung darüber vorfand; alles was die Negierung
zu zahlen hatte, war im Rückstand, alles was sie zu fordern hatte, im Vorschuß.
Beim Abschluß der Rechnungen zeigte sich ein Deficit von 630 Mill. Realen,
wovon 132 sogleich bezahlt werden mußten. Um dieses Deficit zu decken, hatte
die Regierung absolut keine Mittel in den Händen. Die Provinzialkassen waren
bereits theils von den abgetretenen Ministern, theils von den Junten während
der allgemeinen Anarchie geleert worden, und während derselben Zeit blühte die
Schmuggelei so sehr, daß die Zollcinnahme des Monats Juli eine Vermin¬
derung um ein Fünftel zeigte. Diese verzweifelte Lage des Schatzes wurde
noch erhöht durch die übermäßigen Forderungen, mit denen sich das Ministerium
von Seiten derer, welche die Revolution unterstützt hatten, bestürmt sah,
denn politisches Märtvrerthum leiden, heißt in Spanien, keinen Regierungsgehalt
haben, und jeder Patriot verlangt für seine Anstrengungen ein Aemtchen, sei
es auch noch so klein. So eingewurzelt ist diese Aemtersucht in Spanien, daß
kein Ministerium, und wenn es den ehrlichsten Willen hat, sich auf keine un¬
rechtmäßige Weise Einfluß zu verschaffen, wagen darf, sie unbefriedigt zu lassen.
Daher rührt die ungeheure Last von Pensionen, Halbsolden, Nuhgehalten, denn
bei jedem Ministerwechsel muß eine Anzahl Beamter den Anhängern des neuen


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[0354] über den mexikanischen Meerbusen bemächtigen; jedoch es können leicht Zeiten kommen, wo noch wichtigere Interessen diese Staaten nöthigen, mehr Werth auf die Freundschaft mit Nordamerika, als auf die Erhaltung des Kolonial¬ besitzes Spaniens und des Statusquo im mexikanischen Meerbusen zu legen. Weiter in die Zukunft blickende Spanier verhehlen sich auch nicht, was das endliche Loos Cubas sein wird, und daß es jedenfalls klüger wäre, es jetzt zu verkaufen, als später in einer Zeit der Schwäche und der innern Zerrüttung es durch Gewalt zu verlieren; aber es gehört großer politischer Muth oder die Abwesenheit alles nationalen Ehrgefühls dazu, um diesen Vorschlag zu machen, und eine sehr befestigte politische Stellung, um ihn durchzusetzen. Die gegenwärtige finanzielle Lage der spanischen Regierung macht aller¬ dings einen Zuschuß, wie ihn der Verkauf Cubas verschaffen würde, äußerst wünschenswert!). Das Ministerium Sartorius hat sie in der beklagenswertesten Verwirrung hinterlassen. Das gegenwärtige Ministerium fand bei seinem Amts¬ antritt leere Kasten; selbst von dem Zwangsanlehn, das ungefähr Mill. Realen eingetragen hatte, waren nicht mehr als 13,000 Realen übrig. Be¬ sondere Commissarien mußten ernannt werden, um die in der größten Ver¬ wirrung befindlichen Rechnungen in Ordnung zu bringen und Einsicht in die wirkliche Lage der Finanzen zu gewinnen. Mit jedem Schritt stieß man auf die gröblichsten Mißbräuche. Zu gewissen Zahlungen bestimmte Summen, die gesetzlich nicht anders verwendet werden konnten, waren ihrer Bestimmung ent¬ fremdet worden; ungeheure Summen waren für den geheimen Dienst voraus¬ gezahlt, ohne daß sich Rechnung darüber vorfand; alles was die Negierung zu zahlen hatte, war im Rückstand, alles was sie zu fordern hatte, im Vorschuß. Beim Abschluß der Rechnungen zeigte sich ein Deficit von 630 Mill. Realen, wovon 132 sogleich bezahlt werden mußten. Um dieses Deficit zu decken, hatte die Regierung absolut keine Mittel in den Händen. Die Provinzialkassen waren bereits theils von den abgetretenen Ministern, theils von den Junten während der allgemeinen Anarchie geleert worden, und während derselben Zeit blühte die Schmuggelei so sehr, daß die Zollcinnahme des Monats Juli eine Vermin¬ derung um ein Fünftel zeigte. Diese verzweifelte Lage des Schatzes wurde noch erhöht durch die übermäßigen Forderungen, mit denen sich das Ministerium von Seiten derer, welche die Revolution unterstützt hatten, bestürmt sah, denn politisches Märtvrerthum leiden, heißt in Spanien, keinen Regierungsgehalt haben, und jeder Patriot verlangt für seine Anstrengungen ein Aemtchen, sei es auch noch so klein. So eingewurzelt ist diese Aemtersucht in Spanien, daß kein Ministerium, und wenn es den ehrlichsten Willen hat, sich auf keine un¬ rechtmäßige Weise Einfluß zu verschaffen, wagen darf, sie unbefriedigt zu lassen. Daher rührt die ungeheure Last von Pensionen, Halbsolden, Nuhgehalten, denn bei jedem Ministerwechsel muß eine Anzahl Beamter den Anhängern des neuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/354>, abgerufen am 29.06.2024.