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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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ligion nicht soweit ging, gradezu die heidnischen Vorstellungen als die besseren,
natürlicheren und menschlicherer zu präconistren, suchte sie doch wenigstens so¬
viel nachzuweisen, daß die vernünftige Grundlage aller Religionen dieselbe sei,
und daß, wenn man die barocken Erfindungen, mit welchen der ehrgeizige Be¬
trug der Priester die ursprüngliche Physiognomie der Religion übermalt, weg¬
wischte, überall das gleiche, reine Antlitz der Menschheit hervortrete. Solche
Vorstellungen wurden nicht blos durch die eigentlich theologischen Schriften,
nicht blos durch Raisonnement verbreitet, sondern namentlich auch durch die
Erfindungen der Romanschreiber. Wir erinnern nur an die Romane von
Cooper, aus denen vor noch nicht ganz einer Generation das ganze Publicum
seine Kenntnisse von den amerikanischen Zuständen geschöpft hat. In diesen
Romanen wurde der große Geist der Indianer mit dem lieben Gott der Christen
gradezu identificirt, ja er wurde als ein reinerer und vollendeterer Ausdruck des
im Christenthum nur unvollkommen entwickelten Gottesbegriffs dargestellt; we¬
der der Dichter noch das Publicum fanden ein Arg daran, daß so wüste, greu¬
liche Begriffe von der Sittlichkeit, wie sie die Indianer an den Tag legten,
mit einer reinen Neligionsform vereinbar gedacht werden sollten.

Es ist daher ein großes Verdienst von dem Verfasser der vorliegenden
Schrift, den ungeheuren Unterschied zwischen dem großen Geist der Indianer
und dem Gott der Christen an den Tag gelegt zu haben. Der große Geist
ist ein Natursymbol, also seinem Begriff nach der directe Gegensatz zum christ¬
lichen Gott. Der Verfasser fügt zu dieser vollkommen richtigen Auseinander¬
setzung hinzu, daß aus dem Heidenthum, dem Polytheismus, den Naturreli¬
gionen in natürlicher Entwicklung sich niemals jener spiritualistische Begriff
Gottes bilden könne, der mit dem Begriff einer geoffenbarten Religion unzer¬
trennlich verknüpft sei. Wir geben ihm insofern recht, als diese ungeheure Re¬
volution wenigstens immer eines äußeren Anstoßes, der Berührung mit einem
fremden Element bedarf, wodurch der elektrische Funke des neuen Glaubens
erweckt wird.

Es ist sehr wichtig, daß man diesen Gegensatz des Pantheismus und des
Spiritualismus, der im wesentlichen darin besteht, daß der erste die Welt und
das Leben auf das Naturgesetz, der zweite auf das Sittengesetz gründet, auch
in den concreten Erscheinungen der Geschichte überall festhält. Die Formen,
in denen das Naturgesetz und in denen das Sittengesetz sich dem Glauben und
der Vorstellung deutlich macht, mögen wechseln, soviel sie wollen, das Princip
bleibt immer dasselbe; und noch in der durch Kant und Fichte vollzogenen ra¬
tionalistischen Auflösung des Christenthums ist das Princip des kategorischen
Imperativs aus das strengste gewahrt: die Welt ist geschaffen, damit in der¬
selben das Recht zur Erscheinung komme. Dieses Princip unterscheidet die
Kantische Religion, obgleich sie alle Wunder, Dogmen und Symbole von sich


ligion nicht soweit ging, gradezu die heidnischen Vorstellungen als die besseren,
natürlicheren und menschlicherer zu präconistren, suchte sie doch wenigstens so¬
viel nachzuweisen, daß die vernünftige Grundlage aller Religionen dieselbe sei,
und daß, wenn man die barocken Erfindungen, mit welchen der ehrgeizige Be¬
trug der Priester die ursprüngliche Physiognomie der Religion übermalt, weg¬
wischte, überall das gleiche, reine Antlitz der Menschheit hervortrete. Solche
Vorstellungen wurden nicht blos durch die eigentlich theologischen Schriften,
nicht blos durch Raisonnement verbreitet, sondern namentlich auch durch die
Erfindungen der Romanschreiber. Wir erinnern nur an die Romane von
Cooper, aus denen vor noch nicht ganz einer Generation das ganze Publicum
seine Kenntnisse von den amerikanischen Zuständen geschöpft hat. In diesen
Romanen wurde der große Geist der Indianer mit dem lieben Gott der Christen
gradezu identificirt, ja er wurde als ein reinerer und vollendeterer Ausdruck des
im Christenthum nur unvollkommen entwickelten Gottesbegriffs dargestellt; we¬
der der Dichter noch das Publicum fanden ein Arg daran, daß so wüste, greu¬
liche Begriffe von der Sittlichkeit, wie sie die Indianer an den Tag legten,
mit einer reinen Neligionsform vereinbar gedacht werden sollten.

Es ist daher ein großes Verdienst von dem Verfasser der vorliegenden
Schrift, den ungeheuren Unterschied zwischen dem großen Geist der Indianer
und dem Gott der Christen an den Tag gelegt zu haben. Der große Geist
ist ein Natursymbol, also seinem Begriff nach der directe Gegensatz zum christ¬
lichen Gott. Der Verfasser fügt zu dieser vollkommen richtigen Auseinander¬
setzung hinzu, daß aus dem Heidenthum, dem Polytheismus, den Naturreli¬
gionen in natürlicher Entwicklung sich niemals jener spiritualistische Begriff
Gottes bilden könne, der mit dem Begriff einer geoffenbarten Religion unzer¬
trennlich verknüpft sei. Wir geben ihm insofern recht, als diese ungeheure Re¬
volution wenigstens immer eines äußeren Anstoßes, der Berührung mit einem
fremden Element bedarf, wodurch der elektrische Funke des neuen Glaubens
erweckt wird.

Es ist sehr wichtig, daß man diesen Gegensatz des Pantheismus und des
Spiritualismus, der im wesentlichen darin besteht, daß der erste die Welt und
das Leben auf das Naturgesetz, der zweite auf das Sittengesetz gründet, auch
in den concreten Erscheinungen der Geschichte überall festhält. Die Formen,
in denen das Naturgesetz und in denen das Sittengesetz sich dem Glauben und
der Vorstellung deutlich macht, mögen wechseln, soviel sie wollen, das Princip
bleibt immer dasselbe; und noch in der durch Kant und Fichte vollzogenen ra¬
tionalistischen Auflösung des Christenthums ist das Princip des kategorischen
Imperativs aus das strengste gewahrt: die Welt ist geschaffen, damit in der¬
selben das Recht zur Erscheinung komme. Dieses Princip unterscheidet die
Kantische Religion, obgleich sie alle Wunder, Dogmen und Symbole von sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/336>, abgerufen am 24.08.2024.