Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stambul, ja selbst Smyrna sind davon nicht ausgeschlossen. Mir will scheinen,
als . habe Nußland große Vortheile an kleine daran gesetzt, als es Oestreich
seinen danubisch-orientalischen Handel verleidete. Es mußte im voraus ahnen,
daß der deutsche Kaiserstaat sich diese commercielle Hauptader nicht werde
unterbinden lassen, ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, um sie wieder frei zu
machen, und daß dieses unfreundschaftliche Benehmen eine aufrichtige östreichisch¬
russische Allianz für immer unmöglich machte. Wir kennen die Denkschriften,
in denen der Zar dem Wiener Cabinet den Bissen Bosnien-Albanien als
Aequivalent für die Donaufürstenthümer und Bulgarien mundrecht zu machen
suchte. (Allgemeine Zeitung, Februar 1833.) Nie sind Staatsschriften von
ungeschickterer Hand geschrieben worden, und nie zugleich hatte Nußland die
Stimmung und Ansichten seines Alliirten und gehofften Contrahenten so falsch
und durchaus irrig beurtheilt, wie bei Gelegenheit dieser denkwürdigen Unter¬
handlung. Oestreich benahm sich, wie es scheint, sehr fein; nicht abweisend,
aber ausweichend, ließ den Zaren eine Zeitlang vollkommen im Dunkeln und
verwickelte ihn damit höchst' wahrscheinlich nur um so tiefer in die -von seiner
eignen Hand ausgeworfenen Netze. Denn in dem, was man jedenfalls
hyperbolisch die Diplomatie des Kaisers Nikolaus seit dem Jahre -1849 nennt,
hat man offenbar nicht sowol ein berechnetes, auf soliden Grundlagen auf¬
gerichtetes und in sich consequentes System, als vielmehr ein bloßes Aggregat
von Auskunstsmitteln des Augenblicks zu erkennen, die letztlich von immer
zweifelhafterer Zweckmäßigkeit wurden, jemehr die Lage des Se. Petersburger
Cabinets sich infolge der begangenen Fehler verschlimmerte und ausweg¬
loser wurde.

Abgesehen von jenen beiden großen Deboucheen seines maritimen Han¬
dels, beherrscht Oestreich, und zumal wenn Rußland auf die Dauer zurück¬
gedrängt werden sollte, eine Position, welcher sonst kein andrer Staat etwas
Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Der Habsburgische Kaiserstaat ist nämlich
das einzige eristirende Bindeglied zwichen dem mittleren und westlichen, Eu¬
ropa einerseits und den osmanischen Landen auf der anderen Seite, und eben
dieses Verhältniß mußte das Protectorat über die Donaufürstenthümer für
Rußland , auch wenn es dieselben nicht als Basis weiter südwärts vorschrei¬
tender Eroberungen angesehen hätte, von höchstem Werthe erscheinen lassen.
Sie waren seither der Keil, den der Zar, geschickt genug, zwischen einem
Theil dxr östreichischen und türkischen Monarchie mitteneingeschoben hatte, und
der weit genug reichte, um für die beiderseitige Verbindung nur die verhält¬
nißmäßig unwegsamen Provinzen Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien und
Dalmatien in gegenseitigem Contact zu belassen. Zum Ueberfluß errichtete
Rußland aus dem moldau-walachischen Ufer noch eine Quarantänelinie, welche
den Abschluß nach dieser Seite hin hermetisch herstellte.


Stambul, ja selbst Smyrna sind davon nicht ausgeschlossen. Mir will scheinen,
als . habe Nußland große Vortheile an kleine daran gesetzt, als es Oestreich
seinen danubisch-orientalischen Handel verleidete. Es mußte im voraus ahnen,
daß der deutsche Kaiserstaat sich diese commercielle Hauptader nicht werde
unterbinden lassen, ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, um sie wieder frei zu
machen, und daß dieses unfreundschaftliche Benehmen eine aufrichtige östreichisch¬
russische Allianz für immer unmöglich machte. Wir kennen die Denkschriften,
in denen der Zar dem Wiener Cabinet den Bissen Bosnien-Albanien als
Aequivalent für die Donaufürstenthümer und Bulgarien mundrecht zu machen
suchte. (Allgemeine Zeitung, Februar 1833.) Nie sind Staatsschriften von
ungeschickterer Hand geschrieben worden, und nie zugleich hatte Nußland die
Stimmung und Ansichten seines Alliirten und gehofften Contrahenten so falsch
und durchaus irrig beurtheilt, wie bei Gelegenheit dieser denkwürdigen Unter¬
handlung. Oestreich benahm sich, wie es scheint, sehr fein; nicht abweisend,
aber ausweichend, ließ den Zaren eine Zeitlang vollkommen im Dunkeln und
verwickelte ihn damit höchst' wahrscheinlich nur um so tiefer in die -von seiner
eignen Hand ausgeworfenen Netze. Denn in dem, was man jedenfalls
hyperbolisch die Diplomatie des Kaisers Nikolaus seit dem Jahre -1849 nennt,
hat man offenbar nicht sowol ein berechnetes, auf soliden Grundlagen auf¬
gerichtetes und in sich consequentes System, als vielmehr ein bloßes Aggregat
von Auskunstsmitteln des Augenblicks zu erkennen, die letztlich von immer
zweifelhafterer Zweckmäßigkeit wurden, jemehr die Lage des Se. Petersburger
Cabinets sich infolge der begangenen Fehler verschlimmerte und ausweg¬
loser wurde.

Abgesehen von jenen beiden großen Deboucheen seines maritimen Han¬
dels, beherrscht Oestreich, und zumal wenn Rußland auf die Dauer zurück¬
gedrängt werden sollte, eine Position, welcher sonst kein andrer Staat etwas
Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Der Habsburgische Kaiserstaat ist nämlich
das einzige eristirende Bindeglied zwichen dem mittleren und westlichen, Eu¬
ropa einerseits und den osmanischen Landen auf der anderen Seite, und eben
dieses Verhältniß mußte das Protectorat über die Donaufürstenthümer für
Rußland , auch wenn es dieselben nicht als Basis weiter südwärts vorschrei¬
tender Eroberungen angesehen hätte, von höchstem Werthe erscheinen lassen.
Sie waren seither der Keil, den der Zar, geschickt genug, zwischen einem
Theil dxr östreichischen und türkischen Monarchie mitteneingeschoben hatte, und
der weit genug reichte, um für die beiderseitige Verbindung nur die verhält¬
nißmäßig unwegsamen Provinzen Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien und
Dalmatien in gegenseitigem Contact zu belassen. Zum Ueberfluß errichtete
Rußland aus dem moldau-walachischen Ufer noch eine Quarantänelinie, welche
den Abschluß nach dieser Seite hin hermetisch herstellte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98630"/>
          <p xml:id="ID_1017" prev="#ID_1016"> Stambul, ja selbst Smyrna sind davon nicht ausgeschlossen. Mir will scheinen,<lb/>
als . habe Nußland große Vortheile an kleine daran gesetzt, als es Oestreich<lb/>
seinen danubisch-orientalischen Handel verleidete. Es mußte im voraus ahnen,<lb/>
daß der deutsche Kaiserstaat sich diese commercielle Hauptader nicht werde<lb/>
unterbinden lassen, ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, um sie wieder frei zu<lb/>
machen, und daß dieses unfreundschaftliche Benehmen eine aufrichtige östreichisch¬<lb/>
russische Allianz für immer unmöglich machte. Wir kennen die Denkschriften,<lb/>
in denen der Zar dem Wiener Cabinet den Bissen Bosnien-Albanien als<lb/>
Aequivalent für die Donaufürstenthümer und Bulgarien mundrecht zu machen<lb/>
suchte. (Allgemeine Zeitung, Februar 1833.) Nie sind Staatsschriften von<lb/>
ungeschickterer Hand geschrieben worden, und nie zugleich hatte Nußland die<lb/>
Stimmung und Ansichten seines Alliirten und gehofften Contrahenten so falsch<lb/>
und durchaus irrig beurtheilt, wie bei Gelegenheit dieser denkwürdigen Unter¬<lb/>
handlung. Oestreich benahm sich, wie es scheint, sehr fein; nicht abweisend,<lb/>
aber ausweichend, ließ den Zaren eine Zeitlang vollkommen im Dunkeln und<lb/>
verwickelte ihn damit höchst' wahrscheinlich nur um so tiefer in die -von seiner<lb/>
eignen Hand ausgeworfenen Netze. Denn in dem, was man jedenfalls<lb/>
hyperbolisch die Diplomatie des Kaisers Nikolaus seit dem Jahre -1849 nennt,<lb/>
hat man offenbar nicht sowol ein berechnetes, auf soliden Grundlagen auf¬<lb/>
gerichtetes und in sich consequentes System, als vielmehr ein bloßes Aggregat<lb/>
von Auskunstsmitteln des Augenblicks zu erkennen, die letztlich von immer<lb/>
zweifelhafterer Zweckmäßigkeit wurden, jemehr die Lage des Se. Petersburger<lb/>
Cabinets sich infolge der begangenen Fehler verschlimmerte und ausweg¬<lb/>
loser wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1018"> Abgesehen von jenen beiden großen Deboucheen seines maritimen Han¬<lb/>
dels, beherrscht Oestreich, und zumal wenn Rußland auf die Dauer zurück¬<lb/>
gedrängt werden sollte, eine Position, welcher sonst kein andrer Staat etwas<lb/>
Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Der Habsburgische Kaiserstaat ist nämlich<lb/>
das einzige eristirende Bindeglied zwichen dem mittleren und westlichen, Eu¬<lb/>
ropa einerseits und den osmanischen Landen auf der anderen Seite, und eben<lb/>
dieses Verhältniß mußte das Protectorat über die Donaufürstenthümer für<lb/>
Rußland , auch wenn es dieselben nicht als Basis weiter südwärts vorschrei¬<lb/>
tender Eroberungen angesehen hätte, von höchstem Werthe erscheinen lassen.<lb/>
Sie waren seither der Keil, den der Zar, geschickt genug, zwischen einem<lb/>
Theil dxr östreichischen und türkischen Monarchie mitteneingeschoben hatte, und<lb/>
der weit genug reichte, um für die beiderseitige Verbindung nur die verhält¬<lb/>
nißmäßig unwegsamen Provinzen Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien und<lb/>
Dalmatien in gegenseitigem Contact zu belassen. Zum Ueberfluß errichtete<lb/>
Rußland aus dem moldau-walachischen Ufer noch eine Quarantänelinie, welche<lb/>
den Abschluß nach dieser Seite hin hermetisch herstellte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Stambul, ja selbst Smyrna sind davon nicht ausgeschlossen. Mir will scheinen, als . habe Nußland große Vortheile an kleine daran gesetzt, als es Oestreich seinen danubisch-orientalischen Handel verleidete. Es mußte im voraus ahnen, daß der deutsche Kaiserstaat sich diese commercielle Hauptader nicht werde unterbinden lassen, ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, um sie wieder frei zu machen, und daß dieses unfreundschaftliche Benehmen eine aufrichtige östreichisch¬ russische Allianz für immer unmöglich machte. Wir kennen die Denkschriften, in denen der Zar dem Wiener Cabinet den Bissen Bosnien-Albanien als Aequivalent für die Donaufürstenthümer und Bulgarien mundrecht zu machen suchte. (Allgemeine Zeitung, Februar 1833.) Nie sind Staatsschriften von ungeschickterer Hand geschrieben worden, und nie zugleich hatte Nußland die Stimmung und Ansichten seines Alliirten und gehofften Contrahenten so falsch und durchaus irrig beurtheilt, wie bei Gelegenheit dieser denkwürdigen Unter¬ handlung. Oestreich benahm sich, wie es scheint, sehr fein; nicht abweisend, aber ausweichend, ließ den Zaren eine Zeitlang vollkommen im Dunkeln und verwickelte ihn damit höchst' wahrscheinlich nur um so tiefer in die -von seiner eignen Hand ausgeworfenen Netze. Denn in dem, was man jedenfalls hyperbolisch die Diplomatie des Kaisers Nikolaus seit dem Jahre -1849 nennt, hat man offenbar nicht sowol ein berechnetes, auf soliden Grundlagen auf¬ gerichtetes und in sich consequentes System, als vielmehr ein bloßes Aggregat von Auskunstsmitteln des Augenblicks zu erkennen, die letztlich von immer zweifelhafterer Zweckmäßigkeit wurden, jemehr die Lage des Se. Petersburger Cabinets sich infolge der begangenen Fehler verschlimmerte und ausweg¬ loser wurde. Abgesehen von jenen beiden großen Deboucheen seines maritimen Han¬ dels, beherrscht Oestreich, und zumal wenn Rußland auf die Dauer zurück¬ gedrängt werden sollte, eine Position, welcher sonst kein andrer Staat etwas Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Der Habsburgische Kaiserstaat ist nämlich das einzige eristirende Bindeglied zwichen dem mittleren und westlichen, Eu¬ ropa einerseits und den osmanischen Landen auf der anderen Seite, und eben dieses Verhältniß mußte das Protectorat über die Donaufürstenthümer für Rußland , auch wenn es dieselben nicht als Basis weiter südwärts vorschrei¬ tender Eroberungen angesehen hätte, von höchstem Werthe erscheinen lassen. Sie waren seither der Keil, den der Zar, geschickt genug, zwischen einem Theil dxr östreichischen und türkischen Monarchie mitteneingeschoben hatte, und der weit genug reichte, um für die beiderseitige Verbindung nur die verhält¬ nißmäßig unwegsamen Provinzen Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien und Dalmatien in gegenseitigem Contact zu belassen. Zum Ueberfluß errichtete Rußland aus dem moldau-walachischen Ufer noch eine Quarantänelinie, welche den Abschluß nach dieser Seite hin hermetisch herstellte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/316>, abgerufen am 24.08.2024.