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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Es setzte wenig Scharfblick von der anderen Seite voraus, um zuerken¬
nen, daß Oestreich früher oder später, ein Mal aber sicherlich und am wahr¬
scheinlichsten bei der nächsten sich bietenden günstigen Gelegenheit, diese Bar¬
riere brechen werde. Aber, seltsam zu sagen, das Cabinet des Zaren scheint
in Betreff dieses wichtigen Punktes nicht nur alles Scharfblicks, sondern selbst
des gesunden Menschenverstandes ermangelt zu haben. Wäre dies nicht der
Fall gewesen, so würde es, als das Gewitter sich thürmte, nichts Eiligeres zu
thun gehabt haben, als an Oestreich Concessionen im weiten Umfange zu ma¬
chen, um sich, wenn auch nicht den Beistand, denn der konnte ihm nicht wer¬
den, so doch mindestens die Neutralität dieser Großmacht in dem bevorstehenden
Kampfe zu sichern. Aber Nußland widerstrebte in den letzten Jahren allen
Mahnungen der Vernunft und wir wünschen uns Glück dazu!

Die Erfolge Oestreichs während seiner letztjährigen Unterhandlungen mit
den Westmächten, mit Rußland und der Türkei sind darum so staunenswerth,
weil ihnen kein Schwertschlag vorangegangen ist. Jedenfalls sind die Vor¬
theile, welche sie bedingen, die Kosten der Mobilmachung einer großen Armee
von mehr als 300,000 Mann werth. Mit seinem rechten Flügel an Galacz
und Braila lehnend, hat der Kaiser Franz Joseph seiner türkischen Grenze die
dreifache Ausdehnung verliehen; noch ist, das muß allerdings eingeräumt
werden, Oestreichs Verhältniß zu den beiden Fürstentümern nicht geregelt,
aber alles spricht dafür, daß es ein directes werden und der Kaiserstaat,
wenn auch nur unter dem Namen eines Protectors, das behalten wird, was
er heute als Pfand übernommen.

Mir scheinen hieraus zwei Umstände, zwei Nothwendigkeiten besser gesagt,
zu erhellen. Der eine ist der Bruch Oestreichs mit Rußland und zwar für
immer; der andere der erhöhte Werth, den ein gutes Einverständniß zwischen
Wien und Konstantinopel von nun ab erhält.

Ersterer Punkt spielt auf das Feld der europäischen Politik im engeren
Sinne, letzterer mehr aus das der asiatischen, wenn dieser Ausdruck gestattet
ist, hinüber, und die Veränderungen, welche hier wie dort durch sie hervor¬
gerufen werden, sind von gleich schwerer Bedeutung. Wien und Petersburg
verfeinden heißt nämlich zugleich jenen unheilvollen Dreibund sprengen, den
einst Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament den Schlußstein der großen
europäischen. Allianz nannte. Für alle Zeiten sind wir hoffentlich damit von
jenen Tagen geschieden, in welchen an der Newa über Deutschlands Geschicke
mitberathen wurde und sie werden nie wiederkehren.

Der andere Punkt, die Nothwendigkeit eines guten Einvernehmens mit
dem osmanischen Reich, wenn anders die neugewonnene Grenzausdehnung
ihren vollen Werth nicht einbüßen soll, wirft Oestreich auf die vorher noch
unbeschrittene Bahn einer außereuropäischen Staatskunst und Machtentwicklung.


Es setzte wenig Scharfblick von der anderen Seite voraus, um zuerken¬
nen, daß Oestreich früher oder später, ein Mal aber sicherlich und am wahr¬
scheinlichsten bei der nächsten sich bietenden günstigen Gelegenheit, diese Bar¬
riere brechen werde. Aber, seltsam zu sagen, das Cabinet des Zaren scheint
in Betreff dieses wichtigen Punktes nicht nur alles Scharfblicks, sondern selbst
des gesunden Menschenverstandes ermangelt zu haben. Wäre dies nicht der
Fall gewesen, so würde es, als das Gewitter sich thürmte, nichts Eiligeres zu
thun gehabt haben, als an Oestreich Concessionen im weiten Umfange zu ma¬
chen, um sich, wenn auch nicht den Beistand, denn der konnte ihm nicht wer¬
den, so doch mindestens die Neutralität dieser Großmacht in dem bevorstehenden
Kampfe zu sichern. Aber Nußland widerstrebte in den letzten Jahren allen
Mahnungen der Vernunft und wir wünschen uns Glück dazu!

Die Erfolge Oestreichs während seiner letztjährigen Unterhandlungen mit
den Westmächten, mit Rußland und der Türkei sind darum so staunenswerth,
weil ihnen kein Schwertschlag vorangegangen ist. Jedenfalls sind die Vor¬
theile, welche sie bedingen, die Kosten der Mobilmachung einer großen Armee
von mehr als 300,000 Mann werth. Mit seinem rechten Flügel an Galacz
und Braila lehnend, hat der Kaiser Franz Joseph seiner türkischen Grenze die
dreifache Ausdehnung verliehen; noch ist, das muß allerdings eingeräumt
werden, Oestreichs Verhältniß zu den beiden Fürstentümern nicht geregelt,
aber alles spricht dafür, daß es ein directes werden und der Kaiserstaat,
wenn auch nur unter dem Namen eines Protectors, das behalten wird, was
er heute als Pfand übernommen.

Mir scheinen hieraus zwei Umstände, zwei Nothwendigkeiten besser gesagt,
zu erhellen. Der eine ist der Bruch Oestreichs mit Rußland und zwar für
immer; der andere der erhöhte Werth, den ein gutes Einverständniß zwischen
Wien und Konstantinopel von nun ab erhält.

Ersterer Punkt spielt auf das Feld der europäischen Politik im engeren
Sinne, letzterer mehr aus das der asiatischen, wenn dieser Ausdruck gestattet
ist, hinüber, und die Veränderungen, welche hier wie dort durch sie hervor¬
gerufen werden, sind von gleich schwerer Bedeutung. Wien und Petersburg
verfeinden heißt nämlich zugleich jenen unheilvollen Dreibund sprengen, den
einst Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament den Schlußstein der großen
europäischen. Allianz nannte. Für alle Zeiten sind wir hoffentlich damit von
jenen Tagen geschieden, in welchen an der Newa über Deutschlands Geschicke
mitberathen wurde und sie werden nie wiederkehren.

Der andere Punkt, die Nothwendigkeit eines guten Einvernehmens mit
dem osmanischen Reich, wenn anders die neugewonnene Grenzausdehnung
ihren vollen Werth nicht einbüßen soll, wirft Oestreich auf die vorher noch
unbeschrittene Bahn einer außereuropäischen Staatskunst und Machtentwicklung.


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[0317] Es setzte wenig Scharfblick von der anderen Seite voraus, um zuerken¬ nen, daß Oestreich früher oder später, ein Mal aber sicherlich und am wahr¬ scheinlichsten bei der nächsten sich bietenden günstigen Gelegenheit, diese Bar¬ riere brechen werde. Aber, seltsam zu sagen, das Cabinet des Zaren scheint in Betreff dieses wichtigen Punktes nicht nur alles Scharfblicks, sondern selbst des gesunden Menschenverstandes ermangelt zu haben. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so würde es, als das Gewitter sich thürmte, nichts Eiligeres zu thun gehabt haben, als an Oestreich Concessionen im weiten Umfange zu ma¬ chen, um sich, wenn auch nicht den Beistand, denn der konnte ihm nicht wer¬ den, so doch mindestens die Neutralität dieser Großmacht in dem bevorstehenden Kampfe zu sichern. Aber Nußland widerstrebte in den letzten Jahren allen Mahnungen der Vernunft und wir wünschen uns Glück dazu! Die Erfolge Oestreichs während seiner letztjährigen Unterhandlungen mit den Westmächten, mit Rußland und der Türkei sind darum so staunenswerth, weil ihnen kein Schwertschlag vorangegangen ist. Jedenfalls sind die Vor¬ theile, welche sie bedingen, die Kosten der Mobilmachung einer großen Armee von mehr als 300,000 Mann werth. Mit seinem rechten Flügel an Galacz und Braila lehnend, hat der Kaiser Franz Joseph seiner türkischen Grenze die dreifache Ausdehnung verliehen; noch ist, das muß allerdings eingeräumt werden, Oestreichs Verhältniß zu den beiden Fürstentümern nicht geregelt, aber alles spricht dafür, daß es ein directes werden und der Kaiserstaat, wenn auch nur unter dem Namen eines Protectors, das behalten wird, was er heute als Pfand übernommen. Mir scheinen hieraus zwei Umstände, zwei Nothwendigkeiten besser gesagt, zu erhellen. Der eine ist der Bruch Oestreichs mit Rußland und zwar für immer; der andere der erhöhte Werth, den ein gutes Einverständniß zwischen Wien und Konstantinopel von nun ab erhält. Ersterer Punkt spielt auf das Feld der europäischen Politik im engeren Sinne, letzterer mehr aus das der asiatischen, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, hinüber, und die Veränderungen, welche hier wie dort durch sie hervor¬ gerufen werden, sind von gleich schwerer Bedeutung. Wien und Petersburg verfeinden heißt nämlich zugleich jenen unheilvollen Dreibund sprengen, den einst Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament den Schlußstein der großen europäischen. Allianz nannte. Für alle Zeiten sind wir hoffentlich damit von jenen Tagen geschieden, in welchen an der Newa über Deutschlands Geschicke mitberathen wurde und sie werden nie wiederkehren. Der andere Punkt, die Nothwendigkeit eines guten Einvernehmens mit dem osmanischen Reich, wenn anders die neugewonnene Grenzausdehnung ihren vollen Werth nicht einbüßen soll, wirft Oestreich auf die vorher noch unbeschrittene Bahn einer außereuropäischen Staatskunst und Machtentwicklung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/317>, abgerufen am 25.08.2024.