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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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für seine auf sie Bezug nehmende Politik aufgebaut. Von Oestreich nicht
minder wie von den beiden Seemächten setzen wir voraus, daß es längst
darüber einig sei, was es hier will, was seinem Vortheil entsprechen wurde,
und was nicht.

Es ist schwer zu leugnen, daß die dereinstige Lösung der großen Frage
des Ostens ein doppeltes östreichisches Interesse berühren wird: ein commer-
cielles Und ein territoriales. Oestreich -- und das unterscheidet diesen Staat
von allen andern, die, auf nationaler Basis aufgebaut, keinen Beruf haben
über dieselbe hinauszugreifen, weil sie ihre innere Einheit dadurch brechen
würden -- ist ein Reich von großer Expansionsfähigkeit. Aus heterogenen
Bestandtheilen zusammengesetzt, wird es durch kein StaalSprincip verhindert,
andere, neue, ebenso heterogene Ländermassen in sich aufzunehmen. Wo dem¬
nach an Oestreichs Grenzen ein Gebiet streitig wird, empsinvel die Politik
dieser Monarchie ein Verlangen, sich einzumischen und den Versuch zu ma¬
chen, seinen Antheil davon sich zuzueignen. Das ist, wie gesagt, eine innere
Nothwendigkeit dieses Staats, die aus seinem Princip, aus dem Grundgesetz
ihrer Formation resultirt und darin nicht ihre rechtliche, wol aber ihre
politische Rechtfertigung findet. Was die türkischen Länder angeht, so liegen
sie zum Theil an Oestreichs Grenzen, und bei der Politik, welche das Kaiser¬
reich befolgt, ist es klar, daß eine Erweiterung seines Gebiets nach dieser Seite
hin nur eine Handlung der Konsequenz sein würde, welche außerdem umsomehr
von ihrem wagnißvollen Charakter, welchen Eroberungen immer haben, an sich
trägt, als die Schwächung Rußlands den einzigen Gegner hinter die Scene
werfen wird, welcher im Stande gewesen wäre, Oestreich eine etwaige Gebiets¬
erweiterung an der untersten Donau streitig zu machen.

Außer dem territorialen hat Oestreich bei der orientalischen Frage noch
ein stark ausgesprochenes Handelsinteresse. Obwol seither seinem Grundcharakter
nach ein Binnennaal, wiesen dennoch von jeher zwei Deboücheen seine cvm-
mercjelle Thätigkeit auf das Meer und, darüber hinaus, auf die orientalischen,
im besonderen türkischen Lande hin, der Lauf der Donau Und die Häfen am
Adriameere, vor allem Trieft. Allein von diesen Deboücheen war bis jetzt nur
das eine und zwar das unvortheilhaft gelegene, der rückwärtigen Verbindung
mit dem Staarskörper wenig theilhaftige und der fremden Coiicurrenz am
meisten dloßgegebene, nämlich Trieft, ein beständig offenes; die Donaumündung
dagegen würde durch russische Mißgunst zu einem äußerst schwierigen Passage¬
punkt gemacht, auf dem die Schiffahrt nicht selten absolute Hindernisse fand.
Dieses letztere Debouchee ist aber, wie gesagt, das richtigere; denn nicht nur
ist es dasjenige, durch welches seewärts die Verkehrslinien Jnnerasiens, die in
Trapezunt und an der abbasstschen Küste auslaufen, am ehesten erreicht werden
können: auch Kleinasien liegt auf diesem Wege Mitteleuropa am nächsten und


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für seine auf sie Bezug nehmende Politik aufgebaut. Von Oestreich nicht
minder wie von den beiden Seemächten setzen wir voraus, daß es längst
darüber einig sei, was es hier will, was seinem Vortheil entsprechen wurde,
und was nicht.

Es ist schwer zu leugnen, daß die dereinstige Lösung der großen Frage
des Ostens ein doppeltes östreichisches Interesse berühren wird: ein commer-
cielles Und ein territoriales. Oestreich — und das unterscheidet diesen Staat
von allen andern, die, auf nationaler Basis aufgebaut, keinen Beruf haben
über dieselbe hinauszugreifen, weil sie ihre innere Einheit dadurch brechen
würden — ist ein Reich von großer Expansionsfähigkeit. Aus heterogenen
Bestandtheilen zusammengesetzt, wird es durch kein StaalSprincip verhindert,
andere, neue, ebenso heterogene Ländermassen in sich aufzunehmen. Wo dem¬
nach an Oestreichs Grenzen ein Gebiet streitig wird, empsinvel die Politik
dieser Monarchie ein Verlangen, sich einzumischen und den Versuch zu ma¬
chen, seinen Antheil davon sich zuzueignen. Das ist, wie gesagt, eine innere
Nothwendigkeit dieses Staats, die aus seinem Princip, aus dem Grundgesetz
ihrer Formation resultirt und darin nicht ihre rechtliche, wol aber ihre
politische Rechtfertigung findet. Was die türkischen Länder angeht, so liegen
sie zum Theil an Oestreichs Grenzen, und bei der Politik, welche das Kaiser¬
reich befolgt, ist es klar, daß eine Erweiterung seines Gebiets nach dieser Seite
hin nur eine Handlung der Konsequenz sein würde, welche außerdem umsomehr
von ihrem wagnißvollen Charakter, welchen Eroberungen immer haben, an sich
trägt, als die Schwächung Rußlands den einzigen Gegner hinter die Scene
werfen wird, welcher im Stande gewesen wäre, Oestreich eine etwaige Gebiets¬
erweiterung an der untersten Donau streitig zu machen.

Außer dem territorialen hat Oestreich bei der orientalischen Frage noch
ein stark ausgesprochenes Handelsinteresse. Obwol seither seinem Grundcharakter
nach ein Binnennaal, wiesen dennoch von jeher zwei Deboücheen seine cvm-
mercjelle Thätigkeit auf das Meer und, darüber hinaus, auf die orientalischen,
im besonderen türkischen Lande hin, der Lauf der Donau Und die Häfen am
Adriameere, vor allem Trieft. Allein von diesen Deboücheen war bis jetzt nur
das eine und zwar das unvortheilhaft gelegene, der rückwärtigen Verbindung
mit dem Staarskörper wenig theilhaftige und der fremden Coiicurrenz am
meisten dloßgegebene, nämlich Trieft, ein beständig offenes; die Donaumündung
dagegen würde durch russische Mißgunst zu einem äußerst schwierigen Passage¬
punkt gemacht, auf dem die Schiffahrt nicht selten absolute Hindernisse fand.
Dieses letztere Debouchee ist aber, wie gesagt, das richtigere; denn nicht nur
ist es dasjenige, durch welches seewärts die Verkehrslinien Jnnerasiens, die in
Trapezunt und an der abbasstschen Küste auslaufen, am ehesten erreicht werden
können: auch Kleinasien liegt auf diesem Wege Mitteleuropa am nächsten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/315>, abgerufen am 22.07.2024.