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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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gemacht, auf der Börse und in der Coulisse suchte man die Flausen des Ge¬
schäftes durch Spekulationen auf den Ultimo oder längsten Frist, die man den
Belagerern stellte, zu beleben -- Vergebens! Der Ultimo kam und der Tartar
kam nicht, Sebastobol blieb ä w dcmsss und die Wetter ir in, balgss fielen
wie die Fliegen im November, wenn der erste kalte Reis eintritt. Also auch
hier kein Amüsement, kein bischen Aufregung ohne Verlust, keine rechte
Stimmung für Austern und Champagner!

Was bleibt uns noch übrig als das Theater? Der "Fechter von Ravenna."
-- "Ein Einheimischer" ist der Dichter des "Fechters", das steht nun einmal fest.
AustriciSmen in der Diction. und in der Orthographie lassen keinen Zweifel
darüber. Ebendeshalb ist unsre ganze literarische Welt so ausnehmend pikirt
über die Anonymität des Dichters. Man greift jeden Namen auf, der nur
irgendeinmal auf einem östreichischen Theaterzettel gestanden, oder dessen Träger
einst einige dramatische Verse gelallt hat. Und da noch immer kein "hier!"
beim Ablesen des langen Registers erschallt, sucht man in den Höhen der
glänzenden Hofcirkel und in den Tiefen der schmuzigsten Kneipen, um den
großen Unbekannten, den neuen Hort des deutschen Dramas, zu entdecken. Sie
sehen aus dieser einen Geschichte, wie kritisch unsre Kritiker einem literarischen
Producte gegenüber zu Werke gehen. Ich fürchte nur, das Ausland-, ich
meine das deutsche Ausland, wird sich durch den gewaltigen Lärm unsrer
Einheimischen in seinen Erwartungen überspannt sehen und dann dem "Fechter"
einen minder günstigen Empfang zu Theil werden lassen, als er vielleicht ver¬
diente. Das Stück ist allerdings eines der bessern Producte unsrer neuern
dramatischen Literatur. Es ist klar und einfach in den Motiven der Handlung,
mit vielem scenischen Takt ausgearbeitet, in der Sprache edel und pointirt.
Die Charaktere scheinen richtig; ob sie es sind, weiß man nicht, denn es
kommt keiner zu einer wirklichen menschlichen Entwicklung. Sie ragen episodisch
ineinander hinein, stehen sich äußerlich gegenüber. Die Idee des Deutsch-
thums kämpft gegen die Fleischmasse eines naivbrutalen Knechtes und der
entnervte Cäsar hat sein launisches Spiel mit beiden. Von' einem eigentlichen
Kampf, von einer wirklichen Action dieser drei sich fremdartigen Mächte ist in
dem Stücke nichts zu sehen, oder zu fühlen, höchstens zu hören. Die dressirte
Metzgernatur des Fechters will nichts vom einigen Deutschland wissen, und
dieses klagt, daß es von dieser rohen Masse nicht verstanden wird. Caligula,
der blinde Zufall eines Sinnenkitzels, treibt endlich alles auf die tragische
Spitze; statt einer Komödie, in der Germania und ihr Sohn in der Original¬
maske erscheinen sollen, erlebt zuletzt der wüthende Cäsar den schmerzlichen
Spaß, daß die Germania erst ihren Sohn und dann sich selbst ersticht, um
nicht -- in der Nationalkleidung im Circus erscheinen zu müssen. -- Von
einem warmen Interesse an der Handlung und von den ernsthaften An-


gemacht, auf der Börse und in der Coulisse suchte man die Flausen des Ge¬
schäftes durch Spekulationen auf den Ultimo oder längsten Frist, die man den
Belagerern stellte, zu beleben — Vergebens! Der Ultimo kam und der Tartar
kam nicht, Sebastobol blieb ä w dcmsss und die Wetter ir in, balgss fielen
wie die Fliegen im November, wenn der erste kalte Reis eintritt. Also auch
hier kein Amüsement, kein bischen Aufregung ohne Verlust, keine rechte
Stimmung für Austern und Champagner!

Was bleibt uns noch übrig als das Theater? Der „Fechter von Ravenna."
— „Ein Einheimischer" ist der Dichter des „Fechters", das steht nun einmal fest.
AustriciSmen in der Diction. und in der Orthographie lassen keinen Zweifel
darüber. Ebendeshalb ist unsre ganze literarische Welt so ausnehmend pikirt
über die Anonymität des Dichters. Man greift jeden Namen auf, der nur
irgendeinmal auf einem östreichischen Theaterzettel gestanden, oder dessen Träger
einst einige dramatische Verse gelallt hat. Und da noch immer kein „hier!"
beim Ablesen des langen Registers erschallt, sucht man in den Höhen der
glänzenden Hofcirkel und in den Tiefen der schmuzigsten Kneipen, um den
großen Unbekannten, den neuen Hort des deutschen Dramas, zu entdecken. Sie
sehen aus dieser einen Geschichte, wie kritisch unsre Kritiker einem literarischen
Producte gegenüber zu Werke gehen. Ich fürchte nur, das Ausland-, ich
meine das deutsche Ausland, wird sich durch den gewaltigen Lärm unsrer
Einheimischen in seinen Erwartungen überspannt sehen und dann dem „Fechter"
einen minder günstigen Empfang zu Theil werden lassen, als er vielleicht ver¬
diente. Das Stück ist allerdings eines der bessern Producte unsrer neuern
dramatischen Literatur. Es ist klar und einfach in den Motiven der Handlung,
mit vielem scenischen Takt ausgearbeitet, in der Sprache edel und pointirt.
Die Charaktere scheinen richtig; ob sie es sind, weiß man nicht, denn es
kommt keiner zu einer wirklichen menschlichen Entwicklung. Sie ragen episodisch
ineinander hinein, stehen sich äußerlich gegenüber. Die Idee des Deutsch-
thums kämpft gegen die Fleischmasse eines naivbrutalen Knechtes und der
entnervte Cäsar hat sein launisches Spiel mit beiden. Von' einem eigentlichen
Kampf, von einer wirklichen Action dieser drei sich fremdartigen Mächte ist in
dem Stücke nichts zu sehen, oder zu fühlen, höchstens zu hören. Die dressirte
Metzgernatur des Fechters will nichts vom einigen Deutschland wissen, und
dieses klagt, daß es von dieser rohen Masse nicht verstanden wird. Caligula,
der blinde Zufall eines Sinnenkitzels, treibt endlich alles auf die tragische
Spitze; statt einer Komödie, in der Germania und ihr Sohn in der Original¬
maske erscheinen sollen, erlebt zuletzt der wüthende Cäsar den schmerzlichen
Spaß, daß die Germania erst ihren Sohn und dann sich selbst ersticht, um
nicht — in der Nationalkleidung im Circus erscheinen zu müssen. — Von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/312>, abgerufen am 24.08.2024.